Vierbeiner als Lawinenretter
Wie Barry der Bernhardiner Menschen rettete
Zur Zeit, als die Hospiz-Bernhardiner auf dem Grossen Sankt Bernhard Menschen gerettet haben, galten die Berge als bedrohlich. Heute haben sie ihren Schrecken weitestgehend verloren. Gefahren lauern aber noch immer, auch wenn der Schnee schwindet.
Er steht mit liebem und geduldigem Blick in einer Vitrine. Barry. Der alte und legendäre Bernhardiner, der 40 Menschenleben gerettet hat. Stellvertretend für seine Rasse, deren Geschichte eng verknüpft ist mit dem Grossen-Sankt-Bernhard-Pass, der von Martigny im Wallis nach Aosta in Italien führt. «Barry ist kein wissenschaftliches Objekt, sondern eine Legende», sagt Dora Strahm vor dem Stopfpräparat des berühmten Bernhardiners im Naturhistorischen Museum Bern. Gerade das fasziniere sie. Strahm hat die beliebte Spezialausstellung zu Barry kuratiert und sagt, dass hinter jeder Barry-Legende ein wahrer Kern stecke. «Barry war im Hospiz auf dem Grossen Sankt Bernhard von 1800 bis 1812 im Einsatz.» Dieser Pass sei der Ursprungsort der Lawinenrettung.
Eine Alpenüberquerung sei in früherer Zeit sehr risikoreich gewesen. «Die Leute machten das aus Notwendigkeit, nicht zur Freude.» Sie seien ärmlich gekleidet gewesen, ein Wetterumschwung ereigne sich in den Bergen schnell, man erfriere rasch. «Es gab keine Superanzüge.» Kein Wunder also, dass die Berge damals furchteinflössend waren. Darum gingen die Marroniers – das waren die Helfer der Augustiner-Chorherren des Hospizes – mit Bernhardinern die Passpfade täglich ab. «Die Bernhardiner bellten, wenn sie jemanden fanden», erklärt Dora Strahm. Die Legende besage, dass sie Kinder auf ihrem Rücken ins Hospiz getragen hätten. «Viel mehr aber war es so, dass die Hunde den Weg zum Hospiz auch bei dichtestem Nebel oder Schneegestöber zurückfanden. Sie waren so etwas wie lebendige GPS-Geräte», so Strahm.
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Robuster Bauernhund
Der 41. Mensch, den Barry retten wollte, sei ein Soldat gewesen. Mitten im Schneesturm habe er vermutet, dass sich ein Wolf über ihn hermachen wolle – und Barry deshalb erstochen. Eine weitere Legende. Denn es ist Tatsache, dass der damalige Prior der Augustiner-Chorherren auf dem Grossen Sankt Bernhard den Hund 1812 nach Bern gegeben hat, sodass er seinen Lebensabend in Ruhe verbringen konnte. 1814 ist Barry eines natürlichen Todes verstorben. Darum ist er heute im Naturhistorischen Museum Bern als Stopfpräparat zu sehen. Allerdings wurde es verschiedentlich auf-gefrischt. «Um die 1920er-Jahre wurde Barry beispielsweise ein neuer Kopf geformt, der den ästhetischen Vorstellungen mehr entsprach.» Beim Fell handle es sich aber um das Original.
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Der ursprüngliche Bernhardiner sei ein robuster Bauernhund gewesen. Er stehe im krassen Gegensatz zum heutigen Rassetier, das zur Schnee- und Lawinenrettung unbrauchbar sei. «Er ist zu schwer und hat ein zu langes Fell», sagt Strahm. Das Leben der historischen Bernhardiner sei karg gewesen, heute seien es sehr umsorgte Schönlinge. Das Naturhistorische Museum Bern beherbergt eine der weltweit grössten Sammlungen an Hundeschädeln, was es ermöglicht, die Entwicklung des Bernhardiners anhand der Kopfform zu verfolgen. «Wir wollen die Legende von diesem lieben Hund nicht zerstören», betont Dora Strahm. Darum lässt die seit 2014 existierende Ausstellung die vielen Geschichten, die um Barry und seine Kumpane kreisen, aufleben, klärt aber auch darüber auf, was sich dahinter verbirgt.
Barry lebt weiter
Die Hunde des Grossen Sankt Bernhard seien die Vorbilder für Barryvox. Dabei handelt es sich um ein digitales Gerät, das Berggänger mitnehmen und dank dem sie, wenn sie verschüttet werden, geortet werden können. Die Kuratorin betont: «Schon eine 30 Zentimeter dicke Schneeschicht wirkt wie Beton, man kann sich nicht selbst daraus befreien.» Es sei ganz wichtig, schnell gefunden zu werden, denn nach spätestens zehn Minuten stelle sich der Tod ein.
«Die Bernhardiner fanden den Weg zum Hospiz auch bei dichtem Nebel.»
Mit dem Thema Schnee hat sich auch Hannes Mangold beschäftigt, im Rahmen einer ehemaligen Sonderausstellung zur Schnee- und Lawinenforschung in der Schweizerischen Nationalbibliothek, nur einige hundert Meter vom Naturhistorischen Museum entfernt. Der Ausstellungsmacher sagt: «Klimatologen haben errechnet, dass vor 2,4 Milliarden Jahren der erste Schnee auf die Erde fiel.» Vor gut 46 000 Jahren sei der Mensch erstmals nach Europa eingewandert, und seit der Industrialisierung und der Erfindung des Verbrennungsmotors würde er auf das Klima einwirken. «Schneit es in Zukunft noch?», fragt Mangold.
Schnee sei in früherer Zeit etwas Beängstigendes, Einengendes gewesen. «Die Poesie des Schnees wurde erst in neuerer Zeit beschrieben.» Dass die Menschen sich über Schnee freuten, hänge mit der touristischen Nutzung der Berge zusammen. 1943, also mitten im zweiten Weltkrieg, habe der Bundesrat der Finanzierung des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung zugestimmt. «Die Legitimation lag an der doch langen Tradition der Schnee- und Lawinenforschung in der Schweiz.» Man habe die Kontinuität aufrechterhalten wollen, Persönlichkeiten aus dem Alpenland hätten sich seit jeher auf diesem Gebiet hervorgetan, so wie beispielsweise der Glaziologe Louis Agassiz (1807–1873). Sofort nach dem Krieg wurde das Institut weltführend. Man ergründete beispielsweise die Eisschichten und forschte zu Lawinen.
Während Barry und seine Kumpane mehrheitlich Menschen retteten, die von schlechtem Wetter überrascht wurden, begann man um die 1930er-Jahre, Hunde spezifisch als Lawinenretter zu trainieren. Sie wurden in einem Netz mit Fallschirm von einem Flugzeug aus abgeworfen, der Führer sei dann separat abgesprungen. Mit der Erfindung des Helikopters sei es einfacher geworden, in Einsatzgebiete in den Bergen zu gelangen. Mit zunehmender touristischer Nutzung der Alpen stieg aber auch das Sicherheitsbedürfnis. Die Schweizer Armee und das Institut für Schnee- und Lawinenforschung entwickelten erste Lawinensuchgeräte. 1975 sei dann Barryvox auf den Markt gekommen und seither verfeinert worden.
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«Wenn die Menschheit so weitermacht, wird es künftig hierzulande wegen der Klimaerwärmung kaum noch heftig schneien», sagt Hannes Mangold. Die Schneeforschung befasse sich heute insbesondere mit der Klimaerwärmung. Lawinen gebe es aber trotzdem, jedoch aus Geröll und Morast. «Durch das Auftauen der Böden verändert sich die Statik.»
Barry aber lebt weiter. Im Museum, in seinen Legenden, im Namen eines digitalen Geräts, aber auch ganz konkret in seinen Nachfahren, die noch heute im Sommer auf dem Hospiz des Grossen Sankt Bernhard bewundert werden können. Auch Augustiner-Chorherren sind immer noch auf dem Pass und leben Gastfreundschaft. Die Bernhardiner haben sie in die Obhut der Fondation Barry gegeben. Sie kümmert sich um die Rassenzucht.
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