Zur Impfung, zur Vorsorge oder weil sie krank oder verletzt sind: Es gibt Situationen, in denen Katzen und Hunde den schweren Gang in die Tierarztklinik antreten müssen. Vor allem für Katzen ist dies ein Alptraum. Sie mögen keine Veränderung. In diesem Fall aber müssen sie ihre gewohnte Umgebung, ihr Revier verlassen und wissen nicht, wohin die Besitzerin sie bringt und was sie dort erwartet. Manch ein friedliches Büsi wird dann zum fauchenden und kratzenden Stubentiger.

Allein das Hervorholen der verhassten Transportbox löst bei den Katern Macho und Clarence Panik aus. Macho verschwindet unter dem Bett. Einmal eingefangen, versucht er, alle Viere von sich spreizend, zu verhindern, hineinbugsiert zu werden, beschreibt die Besitzerin ihren Kampf zu Hause. Der nächste Stressfaktor ist die Autofahrt, während der Clarence wie Macho ständig miauen und mit weit aufgerissenen Augen ängstlich aus der Box schauen.

Katzen, erklärt eine Tierärztin, wollen immer Herr der Lage sein – und dies seien sie weder in der Box noch im Auto. Die Box schaukle beim Tragen hin und her, während der Fahrt sei es laut. Das ist unangenehm und macht ihnen Angst. Anders als bei Hunden, die regelmässig zum Spazieren oder Wandern gefahren werden, sind solche Situationen für die Katzen ungewohnt. Sie assoziieren den Horror mit dem Besuch beim Tierarzt.

In der Praxis angekommen, geht das Drama für sie von vorne los. Fremde Geräusche, neue Gerüche oder Hunde und andere Tiere im Wartezimmer und eine unbekannte Person, die sie anfasst und ihr womöglich Schmerzen verursacht. Clarence zittere schon auf dem Behandlungstisch, sagt seine Halterin, und getraue sich erst nach einigem Zögern, die angebotenen Futterleckerli zu fressen. Andere Katzen sind so gestresst, dass sie beim Tierarztbesuch viele Haare verlieren.

Tipps zur Verhinderung von Dramen

Ist das ganze Prozedere vorbei und Macho wieder zu Hause, hat er es meistens schnell wieder vergessen. Andere Katzen dagegen sind noch tagelang beleidigt. Deshalb jedoch den Gang zum Tierarzt aufzuschieben, davon raten Expertinnen ausdrücklich ab. Wer seine Katze nicht behandeln lässt, riskiert, dass sich die Beschwerden verschlimmern. Doch die gute Nachricht ist: Der Mensch kann mit seinem Vierbeiner den Tierarztbesuch trainieren und simulieren, damit es das nächste Mal nicht zu den üblichen Dramen kommt.

An die Transportbox gewöhnen. Statt sie nur vor dem Tierarztbesuch hervorzuholen und damit bei der Katze negative Erinnerungen zu wecken, stellt man die Box wie ein gewöhnliches Möbelstück in die Wohnung. Das Türchen offenlassen und in den Käfig das liebste Spielzeug und mal ein Leckerli legen. Mit der Zeit wird die Katze die Box ungezwungen beschnuppern und sie betreten. Hat sie ihre Angst davor abgebaut und nach etwa zwei Wochen gelernt, dass das Ding keine Gefahr darstellt, beim nächsten Besuch der Box die Klappe schliessen, hochheben und damit täglich im Haus herumlaufen.

Autofahren üben. Hat sich die Katze daran gewöhnt und geht entspannt mit der Box als Möbelstück um, geht es als Nächstes ins Auto. Die Box auf den Rücksitz stellen, mit dem Sicherheitsgurt befestigen und dabei mit sanfter Stimme mit der Katze reden. Dann kurz den Motor anlassen und wieder ausschalten. Erst nachdem dies mehrere Tage hintereinander geübt wurde, kann man die erste, nicht länger als zehn Minuten dauernde Probefahrt absolvieren. Reagiert das Büsi gelassen darauf, steht einer grundsätzlich stressfreien Fahrt zum Arzt nicht mehr viel im Weg.

[IMG 2]

Richtige Box auswählen. Zur Entspannung kann man die Box eine halbe Stunde vor der Fahrt mit einem Pheromon-Spray besprühen. Auch die Lieblingsdecke oder ein Spielzeug hineinzulegen, schafft Vertrauen. Die bekannten Gerüche beruhigen. Wichtig ist auch die Wahl der Box. Körbe aus Bast mit nur einer Öffnung sind für Tierarztbesuche nicht geeignet, da sich die angstvolle Katze darin verkriechen kann und regelrecht aus ihrer Höhle gezerrt werden muss. Sinnvoller sind Boxen, die sich auch von oben öffnen lassen. Da ist es möglich, dass der Tierarzt das Büsi bereits streichelt und beispielsweise abhört, wenn es sich noch in seinem sicheren Rückzugsraum befindet.

Untersuchung simulieren. Abtasten, Abhören und Untersuchen des Körpers können zu Hause trainiert werden. Zum Beispiel indem die Katze auf einer glatten Oberfläche sitzend gebürstet und gestreichelt wird. Wer dabei quasi «nebenbei» in die Ohren schaut sowie die Nase und die Augen überprüft oder beim Kuscheln sanft das Maul öffnet, erhält einerseits einen Überblick über den Gesundheitszustand seines Lieblings und baut die Übung «angstfrei Berührungen zulassen» andererseits in die Alltagsroutine ein. Danach die Katze mit einem Leckerli belohnen.

Wichtig bei all diesen Vorbereitungen ist, keinen Druck auf die Katze auszuüben. Damit erreicht man bei ihr nichts. Geduld ist gefragt und sich genug Zeit zu lassen, bis das Büsi lernt, dass weder die Box noch das Auto noch der fremde Mensch im weissen Kittel ihm Böses wollen. Hilfreich ist, eine neue Praxis ohne eigentliche Untersuchung kennenzulernen. Viele Tierärztinnen haben Verständnis dafür.

Auch sie haben etwas davon, wenn die Katze die neuen Gerüche und Eindrücke im Wartezimmer bereits einmal verarbeitet hat – und dann beim eigentlichen Termin entspannter ist. Sinnvoll ist überdies, sich zu erkunden, wann in der Praxis weniger los ist, und um einen Termin ausserhalb der Stosszeiten oder morgens, wenn die Räume noch neutral riechen, zu bitten.

Digitaler Ausflug
Die internationale Gesellschaft für Katzenmedizin ISFM vergibt ein spezielles Label für katzenfreundliche Praxen. In der Schweiz befand sich die erste «cat friendly clinic» in Laufen BL. Mittlerweile gibt es weitere in Dornach SO, Oftringen AG, Biel BE, Saint-Prex VD und Etoy VD.
catfriendlyclinic.org

Genug Zeit einplanen

Am Tag der Impfung oder der Untersuchung ist auch für den Besitzer die richtige Vorbereitung alles: Alle Papiere wie Impfpass oder Krankheitsunterlagen rechtzeitig bereitlegen, Leckerli einpacken, genügend Fahrzeit einplanen und ruhig bleiben. Denn ist der Halter gestresst, verändern sich seine Stimme und sein Gesichtsausdruck, spürt die Katze ganz genau, dass etwas Ungewohntes vor sich geht.

In der Praxis angekommen, die Box im Wartezimmer auf den Stuhl neben sich stellen. Dann ist der Kater zwar nicht Herr der Lage, aber er hat alles im Blick. Etwa auch Hunde, die sich ihm nicht nähern sollten. Gewisse Hunde sind Draufgänger und reagieren neugierig auf all das Unbekannte. Andere aber reagieren selbst mit Panik auf den Tierarztbesuch. So geht Labrador-Hündin Mila keinen Schritt weiter, sobald sie ein Haus wittert, in dem sich ein Tierarzt, selbst ein ihr nicht bekannter, befindet. Sie zieht mit aller Kraft in die andere Richtung – und muss in die Praxis hineingetragen werden, wo sie sich regelrecht windet.

[IMG 3]

Übung macht den Meister

Bei einigen Hunden ist der Ort mit schmerzhaften Erinnerungen behaftet. Andere sind grundsätzlich skeptisch, wenn eine fremde Person sich ihnen zu sehr nähert, und mögen es gar nicht, dass der Mensch dies nicht respektiert und sie gar noch anfasst. Auch Hunde kann man auf den Tierarztbesuch vorbereiten. Am besten beginnt man im Welpenalter.

• Beim Gassigehen regelmässig am Haus des Tierarztes vorbeilaufen. So nimmt der Hund den Weg als normalen Teil seines Alltags wahr.

• Beim ersten Besuch dem Hund Zeit lassen, die Tierärztin ein wenig kennenzulernen. Ein kurzes Spiel und das eine oder andere Leckerli helfen dabei. Fehlt dafür die Zeit, dem Welpen Praxis und Wartezimmer ohne Untersuchung zeigen, ihn etwas suchen lassen und mit einer Leckerei belohnen.

• Damit der Vierbeiner sich daran gewöhnt, dass ein Mensch ihn überall anfasst, die Untersuchung zu Hause in den Alltag einbauen. Schritt für Schritt vorgehen und den Vierbeiner nach jedem Schritt belohnen. Zuerst den Hund auf eine erhöhte Fläche wie einen Tisch heben. Es folgen fünf Übungen: Ohren sanft abtasten; Maul und Zähne überprüfen; Lefzen anheben und Mund sanft öffnen; Pfoten heben und Zehen abtasten; Rumpf, Bauch und Beine streicheln und abtasten; den Hund an die Seitenlage gewöhnen.

• Ist der Welpe aufgeregt, lohnt es sich, ihm dabei eine Lecktube vor die Nase zu halten. Schlecken beruhigt ihn – und er assoziiert das Prozedere mit etwas Positivem.

• Nach jedem Training kuscheln oder spielen.

• Hat der Hund sich an die Übung gewöhnt, können sie auch andere Personen, Freunde oder Bekannte, durchführen.

• Am Tag des Termins und während des Praxisbesuches ruhig bleiben. Dies gibt dem Hund Sicherheit. Nervosität von Herrchen oder Frauchen dagegen überträgt sich auf ihn.

• Auch erwachsenen Hündinnen und Rüden kann man die Angst etwas nehmen, indem man dort, wo ihr Stress beginnt, mit ihnen trainiert. Kleine Such- oder Apportierspiele auf dem Parkplatz, vor dem Haus, im Warte- oder Behandlungszimmer beschäftigen sie und lenken sie ab. Bekommen sie dafür ein Leckerli, verbinden die Vierbeiner den Ort künftig entspannter mit etwas Positivem.

• Reagiert der Hund gestresst auf die fremden Gerüche und auf Artgenossen im Wartezimmer, hilft es, eine zusätzliche Runde zu drehen oder im Auto zu warten, bis die Untersuchung anfängt. Eine leere Blase vor und die Schlecktube während der Prozedur beruhigen auch ausgewachsene Hunde.

Mehr spannende Artikel rund um Tiere und die Natur?Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe Nr 24/2022 vom 1. Dezember 2022. Mit einem Schnupperabo erhalten Sie 6 gedruckte Ausgaben für nur 25 Franken in Ihren Briefkasten geliefert und können gleichzeitig digital auf das ganze E-Paper Archiv seit 2012 zugreifen. In unserer Abo-Übersicht  finden Sie alle Abo-Möglichkeiten in der Übersicht.

Jetzt Schnupperabo abschliessen

Zur Abo-Übersicht