Eindrücke ferner Lebensräume lassen sich auch ganz in der Nähe gewinnen, ohne lange Flugreise. Zum Beispiel bei Les Pléiades im Waadtland. Im Hochmoor zwischen Prantin und Lally sieht es aus, wie in einem Moor in Nordamerika. Dafür verantwortlich sind die besonderen Krugpflanzen (Sarracenia purpurea).

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Normalerweise gedeihen diese Art und ihre Unterarten über weite Teile Nordamerikas, von der Grenze zu Kanada im Norden bis nach Florida im Süden. Die fleischfressende Pflanze verleiht Mooren ein besonderes, fast unwirkliches Aussehen. Die schlauchartigen Blätter sind grün bis rötlich gefärbt und breiten sich in Horsten über grosse Flächen aus.

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Mystik im Moor

Fleischfressende Pflanzen sind faszinierend, besonders die Krugpflanzen. Um einen grossen Bestand zu sehen ist lediglich eine Reise auf den wundervollen Aussichtspunkt Les Pléiades im Waadtland notwendig.

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Von Vevey aus führt eine sympathische Bahn bis zuoberst. Östlich der Bergstation, etwas unterhalb, zwischen Prantin und Lally, breitet sich das grosse Hochmoor aus, das Marais des Tenasses. Holzstege führen durch das Naturschutzgebiet, das von der Universität Lausanne betreut wird. Auch im milden Herbst, wenn auf 1300 Meter Höhe noch kein Schnee liegt, entfaltet es seine besondere Mystik.

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Rote Farbtupfer überall

Wer den Weg vom Parkplatz an der Route de Lally aus wandert, trifft zuerst auf einzelne Föhren mit gedrungenem Wuchs. Gelbes Gras wiegt sich im Wind, Wacholderdrosseln zettern in den entfernten Tannenwipfeln. Nach der Informationstafel zum Naturschutzgebiet des Hochmoors führt der rechte Holzsteg direkt nach Nordamerika. Das heisst, schon bald hinter den ersten Föhren entfalten sich die eigentümlichen Krugpflanzen. Die rötlichen Blätter verleihen der ganzen offenen, sumpfigen Fläche einen unerwarteten Farbtupfer.

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Auswilderung vor über 100 Jahren

Die nordamerikanische Krugpflanze wird auch Rote Schlauchpflanze genannt, denn die krugbildenden Blätter sind in gewissen Entwicklungsstadien rot gefärbt. Eine Infotafel im Gebiet verweist darauf, dass die Art bereits 1919 hier ausgewildert wurde. Es sei heute verboten, gebietsfremde Pflanzen anzusiedeln. Die Krugpflanze bilde aber kein Problem, da sie nicht invasiv sei, sich also nicht auf Kosten anderer Arten ausbreite, steht da weiter.

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Sonnentau aus der Schweiz

Fleischfressende Pflanzen sind aber nicht immer Exoten. Im Marais des Tenasses beispielsweise wächst auch der Rundblättrige Sonnentau, eine einheimische Art. An der Spreite der Pflanze befinden sich klebrige Drüsen, die aussehen wie kleine Härchen. Daran bleiben kleine Insekten kleben und werden von der Pflanze verdaut.

Härchen verhindern Hinauskrabbeln

Auch die Krugpflanze hat es auf Insekten abgesehen. Sie fängt sie in ihren wie Krüge oder Schläuche geformten Blättern, die innen mit Härchen versehen sind, die abwärts zeigen. Sie verhindern, dass ein hineingefallenes Insekt wieder herausklettern kann. Die Krugpflanze oder Rote Schlauchpflanze wird von Botanikern entwicklungsgeschichtlich als frühe Form der Schlauchpflanzengewächse bezeichnet, denn ihre Krüge sind nicht geschützt. Darin sammelt sich Regenwasser, und sie produzieren im Gegensatz zu ihren Verwandten weniger Verdauungsenzyme. Krugpflanzen zersetzen die gefangenen Insekten mit Hilfe von Bakterienkulturen, die sich im Regenwasser im Krug bilden. Neuere Arten der Gewächse der Schlauchpflanzen haben Schirme oberhalb der Gefässe ausgebildet, die verhindern, dass Regenwasser eindringt. Sie bilden ein eigenes Sekret, das die hineingefallenen Insekten auflöst, respektive verdaut. Die Verdauungstechnik wurde also weiterentwickelt.

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Nährstoffe auf andere Art

Fleischfressende Pflanzen haben gemeinsam, dass sie auf wenig nährstoffreichen Böden wachsen. Die Bestände im Moor von Tenasses wurzeln in säurehaltiger Moorerde, die kaum Mineralien oder andere Nährstoffe enthält, die ansonsten Pflanzen zum Wachsen brauchen. Fleischfressende Pflanzen aber haben sich auf genau solche Lebensräume spezialisiert, da sie sich Nährstoffe mit dem Fang von Insekten zuführen, die sie verdauen. Sie gedeihen darum oft in Mooren oder in den Tropen auf Tafelbergen, wo der Regen allen Humus wegschwemmt und fast nur eine Steinschicht vorhanden ist.

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Fenster in die Ferne

Reisen in Naturlebensräume in der Schweiz sind stets interessant – und manchmal öffnen sie gar ein Fenster in ferne Lebensräume, zum Beispiel in die Moore Nordamerikas.

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Marais des Tenasses
Die Fahrt per Bahn von Vevey auf Les Pléiades ist stündlich möglich und dauert 42 Minuten. Oben angekommen, liegt der Lac Léman zu Füssen. Les Pléiades ist im Mai und Juni auch für die blühenden Narzissen bekannt. Das Hochmoor von Les Tenasses mit den Krugpflanzen befindet sich leicht östlich und unterhalb des Aussichtspunkts.