Zero Waste
Selina Wälti lebt seit Jahren fast ohne Müll
In einer Welt, die zunehmend unter Plastikmüll und Umweltverschmutzung leidet, bietet der Zero-Waste-Lebensstil eine Lösung. Er zielt darauf ab, Müll zu minimieren, Verschwendung zu reduzieren und einen bewussten Konsum zu fördern. Selina Wälti zeigt, wie sie diese Prinzipien in ihrem Alltag umsetzt und welche Herausforderungen sie dabei meistert.
Selina Wältis Reise zum Zero-Waste-Lebensstil begann vor etwa vier Jahren während der Corona-Pandemie. «Die Pandemie hat weltweit einen massiven Anstieg an Einwegmaterialien wie Masken und Handschuhen verursacht, das hat etwas in mir ausgelöst», erzählt die 38-Jährige. Sie war schockiert über die Menge an Abfall, die sich plötzlich auftat. «Ich suchte nach einem Weg, um in meinem Rahmen der Möglichkeiten etwas zu bewirken, und so bin ich auf Zero Waste gekommen.»
Es folgte ein Prozess, der sowohl von anfänglichen Erfolgen als auch von Herausforderungen geprägt war. Selina Wälti wechselte auf Produkte, die sie in wiederverwendbare Behälter abfüllen konnte, wie zum Beispiel abfüllbare Reinigungsmittel. «Zu Beginn war es recht einfach, denn ich habe dort angesetzt, wo es für mich nicht schwierig war», erzählt Wälti. An Reinigungsmittel stellte sie keine besonderen Ansprüche, was den Umstieg erleichterte.
[IMG 2]
Seitdem setzt Selina Wälti beim Einkaufen auf das Zero-Waste-Prinzip. Sie nutzt wiederverwendbare Beutel und Behälter und kauft vorzugsweise in Unverpacktläden oder direkt beim Bauern. «Ich nehme meine eigenen Behälter und Beutel mit, um Plastikverpackungen zu vermeiden», berichtet sie. Einmal alle sechs Wochen leiht sie sich ein Auto, um grössere Mengen haltbarer Lebensmittel wie Spaghetti und Nüsse zu kaufen. «So müssen wir nicht ständig schwereLasten tragen und können den wöchentlichen Einkauf auf das Nötigste reduzieren», erklärt sie. Unter derWoche besorgt sie frisches Gemüse beim örtlichenBauern oder geht auf den Markt. In kürzester Zeitkonnte Selina Wälti so eine erhebliche Menge an Plastikmüll vermeiden.
Der Kampf um Verpackungsfreiheit
Nach einigen Monaten merkte Selina Wälti allerdings, dass die Umstellung schwieriger wurde. Nach den ersten Erfolgen konnte sie immer weniger Abfall reduzieren. Insbesondere bei Kosmetikprodukten schien es unmöglich, verpackungsfreie Alternativen zu finden. «Zudem habe ich auch höhere Erwartungen an die Qualität und Wirksamkeit dieser Produkte. Passende Alternativen zu finden, ist daher extrem schwierig», erklärt sie.
Wälti fühlte sich frustriert, plagte sich mit Selbstzweifeln und dem Gefühl, nicht genug zu tun. «Das Schwierigste war für mich wohl mein Anspruch, zu 100 Prozent Zero Waste zu sein. Es dauerte eine Weile, bis ich akzeptierte, dass bis auf sehr wenige Menschen niemand zu 100 Prozent Zero Waste leben kann. Vielmehr ist dies ein lebenslanger Prozess, bei dem Perfektion nicht das Ziel sein sollte, sondern kontinuierliche Verbesserungen.» Diese Einsicht half ihr, den Druck zu verringern und weiterhin motiviert zu bleiben.
Pragmatische Wege aus dem Dilemma
In Situationen, in denen Zero-Waste-Optionen begrenzt oder nicht verfügbar sind, sucht Wälti heute nach pragmatischen Lösungen und Kompromissen. «Dann versuche ich, die bestmögliche nachhaltige Entscheidung zu treffen», erklärt sie. Wenn sie nicht ihre eigenen Behälter mitnehmen kann oder Grosspackungen zur Verfügung stehen, versucht sie, ihren Konsum bewusst zu reduzieren. Denn: Zero Waste bedeutet für Selina Wälti nicht nur, keinen Abfall zu produzieren, sondern vor allem keine Verschwendung. «Zero Waste wird gerne als ‹kein Abfall› verstanden. Wenn man es sich aber auf Englisch anschaut, heisst Zero Waste auch oder vor allem ‹keine Verschwendung›», erklärt die Insiderin. Für sie geht es daher vermehrt darum, bewusst zu konsumieren und nur das zu kaufen, was wirklich benötigt wird.
So ist nachhaltige Mode für Selina Wälti ein wichtiger Aspekt ihres Zero-Waste-Lebensstils. «Ich kaufe hauptsächlich Secondhand-Kleidung und habe eine Zeit lang meine Kleidung sogar selbst aus Baumwolle genäht», erzählt sie. Durch den Kauf von Secondhand-Kleidung vermeidet sie nicht nur Müll, sondern reduziert auch die Nachfrage nach neuen, oft umweltschädlich produzierten Textilien. «Mir ist jedoch bewusst, dass auch viele Secondhand-Kleider aus Polyester bestehen, was Mikroplastik freisetzt», fügt sie hinzu.
Auch im Bereich der Elektronik setzt Selina Wälti auf Langlebigkeit und Reparatur. «Wir verwenden unsere Elektronik so lange wie möglich und nutzen Ökostrom», sagt sie. Sie kauft oft gebrauchte Geräte und mietet Dinge, die sie nur selten braucht. «Wir versuchen, nicht mehrere Geräte für den gleichen Zweck zu haben. Nebst einem Computer haben wir statt Laptop und Tablet nur ein Gerät, und beide nutzen wir möglichst lange», erklärt sie. «Das Ziel ist es, Produkte möglichst lange zu nutzen, wiederzuverwenden und unnötigen Konsum zu vermeiden.» Dieser ressourceneffiziente Lebensstil soll dazu beitragen, dass Konsumgüter wieder einen Wert erhalten und nicht nach kurzer Zeit als Abfall enden.
Nachhaltiger Start in den Tag
Heute beginnt Selina Wältis Tag mit einem bewussten, müllfreien Frühstück. «Mein Frühstück besteht aus Nüssen und Obst, die ich unverpackt kaufe», erzählt sie. Brot backt sie selbst, wobei sie Mehl in grossen Säcken kauft. «Mehl ist lange haltbar, daher kaufe ich es in 10-Kilo-Säcken, um Verpackungsmüll zu vermeiden», sagt sie. Auch für ihre Haustiere sucht Wälti stets nach nachhaltigen Lösungen. «Für meine Katzen nutze ich biologisch abbaubares Katzenstreu und kaufe Futter von einer Biometzgerei, die das ganze Tier verarbeitet.» Aus den nicht für den menschlichen Verzehr geeigneten Teilen der Tiere stellt diese Biometzgerei hochwertiges Tierfutter her, das in grossen Würsten verpackt ist, um Verpackungsmüll zu minimieren. «Die Würste friere ich in kleineren Portionen ein, damit nichts verdirbt», erklärt Selina Wälti.
Gemeinsam für Zero Waste
Ihre Lebensphilosophie versucht Selina Wälti auch beruflich umzusetzen. Als Nachhaltigkeitsverantwortliche begleitet sie Hotels auf ihrem Weg in eine nachhaltige Zukunft. Darüber hinaus unterrichtet sie an der Hochschule Luzern und führt Workshops durch. Mit ihrer vielfältigen Expertise ist sie auch eine treibende Kraft hinter Zero Waste Switzerland und setzt sich dafür ein, die Gesellschaft für einen ressourceneffizienteren Konsum zu sensibilisieren. «Unser Ziel ist es, zu zeigen, dass weniger Konsum nicht Verzicht bedeutet, sondern mehr Lebensqualität», erklärt Selina Wälti. Die Organisation bietet Workshops, Vorträge und Beratungen an, um Menschen praktische Tipps und Strategien für ein müllfreies Leben zu vermitteln.
Um Zero Waste in der Schweiz besser umsetzen zu können, sind jedoch Veränderungen in grossem Rahmen notwendig. «Es braucht politische Massnahmen wie höhere Flugpreise und wirtschaftliche Initiativen, um nachhaltige Produkte attraktiver zu machen», betont Wälti. Darüber hinaus müsse die Wirtschaft umweltfreundliche Alternativen fördern und den Konsumenten zugänglich machen. «Nur durch gemeinschaftliche Anstrengungen und ein Umdenken auf allen Ebenen kann der Weg zu einer Zero-Waste-Gesellschaft erfolgreich beschritten werden.»
Zero WasteDie Bewegung und der Verein Zero Waste Switzerland wurde 2015 in der Westschweiz gegründet und zählt heute 800 Mitglieder sowie 100 Freiwillige. Pro Jahr organisiert Zero Waste Switzerland rund 300 Veranstaltungen mit dem Ziel, den Konsum und somit auch den Abfall zu minimieren.
zerowasteswitzerland.ch
Schritt-für-Schritt-Anleitung für den Einstieg in Zero Waste
Klein beginnen
Realistische Ziele setzen und mit einfachen Umstellungen beginnen, wie Reinigungsmittel in wiederverwendbare Behälter abzufüllen.
Prioritäten setzen
Sich zuerst auf die Dinge konzentrieren, die am wenigsten Aufwand bereiten.
Sich nicht überfordern
Der Zero-Waste-Lebens-stil ist ein kontinuierlicher Prozess. Sobald eine Veränderung integriert wird, dann zur nächsten übergehen.
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren