Wie sind Sie auf den Bären gekommen, Herr Schlup?

Ich interessiere mich seit jeher für Wildtiere. Während meines Zoologiestudiums war ich unter anderem Feldassistent in einem Projekt zu Waldbisons in Kanada. Da beobachtete ich auch Schwarzbären. Bären waren dort ein omnipräsentes Thema, in positivem Sinn. Das Tier faszinierte mich von Anfang an. Seine Biologie und besonders auch die Fortpflanzung und Jungenaufzucht mit der langen Führungszeit der Kleinen sind einmalig. Der Bär ist, trotz seiner Grösse, ein sehr gemütliches, tolerantes Tier, wenn man richtig mit ihm umgeht. Er hat viele Parallelen zum Menschen. Es ist kein Zufall, dass Teddys im Kinderbett liegen.

Wie viele Bären leben derzeit im Tierpark Bern?

Der Tierpark Bern hält aktuell fünf Bären. Im Bärenpark leben drei Europäische Braunbären, im Dählhölzli zwei Ussurische Braunbären.

Haben Sie nach Ihrer Studienzeit weiter Bären in der Natur beobachtet?

2023 war ich in Alaska mit dem Naturfilmer und Buchautor Reno Sommerhalder unterwegs und habe gezielt Grizzlybären beobachtet.

Was war das für ein Gefühl?

Wunderbar, ein bleibendes Erlebnis, die grossen eindrücklichen Tiere in der fantastischen Wildnis Alaskas zu sehen! Mich hat die Toleranz der Grizzlies beeindruckt. Wenn man sich richtig verhält, sind wir für sie nicht interessant. Wir sahen sie auf 50 bis 100 Meter Distanz.

Wie verhält man sich richtig bei einer Bärenbegegnung in der Natur?

Man muss ruhig bleiben, nicht wegrennen. Bären sind Nasentiere, ihre Sehsinne sind nicht so gut ausgebildet. Rennt etwas weg, kann es sein, dass ein Bär hinterherhetzt. Das könnte tödlich enden, denn ein Bär verfügt über je fünf messerscharfe Krallen an seinen Pranken. Man sollte sich gross machen, sich zeigen und mit ruhiger Stimme irgendetwas erzählen. In Alaska rief Reno Sommerhalder: «Hallo Bär, hier sind wir, es ist alles gut!» Von dem Moment an ist der Mensch nicht mehr interessant für den Bären. Wir gehören nicht auf den Menüplan von Wildtieren. Sobald ein Bär uns als Menschen erkennt, verschwindet er oder lässt sich kaum stören. Ganz wichtig ist, nicht zwischen Mutter und Junge zu geraten. Wenn es trotzdem passiert, machen Bärenmütter häufig Scheinangriffe. Sie rennen auf einen zu, kurz vorher aber zweigen sie ab.

Sie leiten im Juni eine Reise mit Arcatour nach Slowenien. Sind denn Bärenbeobachtungen dort wirklich garantiert?

Nein, es wäre unseriös, bei Wildtieren Sichtungen zu garantieren. Die Wahrscheinlichkeit ist aber sehr hoch, dass wir Bären sehen werden.

Was ist das für ein Wald, in dem die Bären leben?

Es handelt sich um einen naturbelassenen Wald. Wir besuchen den Notranjska-Nationalpark. Dabei handelt es sich um das grösste zusammenhängende Waldgebiet in Zentraleuropa. Zuerst werden wir noch im Triglav-Nationalpark im Norden wandern gehen.

Wie hoch ist die Bärenpopulation in Slowenien?

Ungefähr 900 Bären leben in diesem Land, das halb so gross ist wie die Schweiz. 62 Prozent der Fläche bestehen aus Wald. Der Bär ist ein Opportunist. Er lebt in grossen Wäldern, jedoch auch oberhalb der Wald-grenze, in trockenen Gebieten und auf offenen Flächen, und er frisst, was er findet.

Ist der Braunbär in Slowenien auf dem Vormarsch?

Nein, er lebte immer dort und gehört somit zur einheimischen Fauna.

Gibt es dort auch negative Vorfälle?

Kaum. Es gibt weltweit nur wenige Unfälle mit Bären. Der Bär ist keine Gefahr für Menschen. Das richtige Verhalten ist entscheidend.

Was macht es aus, dass in Slowenien Bär und Mensch so gut zusammenleben und dass sogar touristische Reisen möglich sind? In der Schweiz hat man bereits ein Problem, wenn ein Bär über die Grenze schaut.

Slowenien ist mit ca. zwei Millionen Menschen dünner besiedelt. Dort leben seit jeher Bären, hier sind sie seit 150 Jahren ausgerottet, die Erfahrung bei uns ist also weg. Mythen und Geschichten, die sich um Wildtiere ranken, verfestigten sich in der Bevölkerung. Hier wird der Bär als Raubtier wahrgenommen, viele haben unbegründete Angst. Wir müssen wieder lernen, mit Raubtieren zusammenzuleben.

Werden Sie in Slowenien lange wandern und an einem Ort ausharren, um Bären zu sehen?

Wir sind maximal drei Stunden unterwegs. Beobachtungstouren können sich über mehrere Stunden hinziehen. Wenn man Wildtiere sehen will, braucht es Geduld.

Ist es möglich, dass Sie im Juni auf eine Bärenmutter mit Jungen treffen?

Ja, absolut. Bärinnen führen ihre Jungen zwei bis drei Jahre. Zugleich sind wir während der Fortpflanzungszeit der Bären im Gebiet. Sie sind also auch unterwegs auf der Suche nach einem Partner oder einer Partnerin.

Sind die Bären an Menschen gewöhnt?

Ja. Die Bären kennen die Beobachtungshütten und können es einschätzen, wenn Menschen auf den normalen Wegen wandern.

Zur PersonDer Biologe Peter Schlup war 14 Jahre im Tierpark Bern tätig. Er arbeitete in der Zoopädagogik und war für den Bärenpark in Bern zuständig. Seit Februar dieses Jahres ist er pensioniert. Er hält aber weiterhin Spezialführungen im Tierpark und leitet im Juni eine Bärenreise von Arcatour nach Slowenien.
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