Damit Kühe konstant Milch liefern, müssen sie einmal pro Jahr kalben. Viele Konsumentinnen und Konsumenten wissen nicht, dass Milchkühe und ihre Kälber sich in der Regel nur ganz kurz  oder gar nicht kennenlernen. Beim Genuss eines echten Wienerschnitzels aus Kalbfleisch stellt man sich gerne vor, das Kalb habe ein paar Monate mit seiner Mutter auf der Weide verbracht. Das ist selten so. Denn nur rund 60 der schweizweit etwa 26 000 Milchwirtschaftsbetriebe praktizieren mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht.

Der immer bescheidener werdende Preis für Milch erfordert von den Landwirten eine Hochleistungs-Milchviehhaltung – nicht selten mit Melkrobotern, Milchmengenerfassung per Computer, gut gefüllten Raufutterkrippen und Tränke-Automaten. Sie haben eine möglichst geringe Keimbelastung der Milch anzustreben. Da hat es keinen Platz für gemütlich säugende Muttertiere.

In der konventionellen Haltung tragen viele Milchbauern das Kalb unmittelbar nach der Geburt von der Mutter weg, um keinen Trennungsschmerz entstehen zu lassen. Sie ziehen es vor, die Kuh zu melken und dem Kalb schon die erste Milch mit dem Nuckel, dem Zitzenersatz aus Gummi, zu servieren. Darf das Neugeborene bei der Mutter bleiben, steht es bereits eine Stunde nach der Geburt auf wackligen Beinen, geht an das Euter der Mutter und trinkt die Biestmilch. Dieses
Kolostrum ist die erste und wichtigste Mahlzeit seines Lebens, da sie zur Bildung der Immun­abwehr des Kalbes beiträgt.

Saugen und melken
Nach einer kurzen Biestmilchfütterung gehen Kalb und Mutter aber auch hier bald getrennte Wege. Die Kälber erhalten Ersatzmilch, die aus Wasser und Pulver mit genau abgestimmten Proteinen, Fetten, Eisen und Vitaminen besteht. Die Kleinen werden zuerst einzeln in Iglus gehalten, um das gegenseitige Besaugen zu vermeiden. Später leben sie in Gruppen und versorgen sich an Selbsttränke-
Automaten, derweil die Mutterkühe für die Milchwirtschaft gemolken werden.

Einen anderen Weg gehen die Landwirte bei der mutter- und ammengebundenen Kälberaufzucht beispielsweise auf den Höfen der deutschen «Öko Melkburen». Hier leben die Kälber drei Monate lang mit ihren Müttern im Herdenverband, tollen herum und saugen direkt ab dem Euter der Kuh, wann immer sie wollen. «Wir gewähren unseren Kühen Elternzeit», sagt Hans Möller. Er gehört zu den Landwirten, die sich im März 2018 zu einer Gruppe zusammengetan haben, um sich einer ethischen Nutztierhaltung zu widmen.

Die Idee hinter der Elternzeit: Ein neugeborenes Kälbchen braucht noch nicht viel – ein paar Liter Milch pro Tag. Aber auf dem Biohof bekommt es die von der Mutter. Weil die Kuh aber viel mehr produziert, als ihr Nachwuchs braucht, wird sie auch noch gemolken. Und diese Milch wird unter dem Label «Frühlingsmilch» vermarktet und steht in Norddeutschland in den Regalen einiger Supermärkte. Die Kunden greifen gerne nach diesen Packungen, obwohl der Liter rund 30 Cents teurer ist.

In der Schweiz ist der Verkauf solcher Milch offiziell nicht gestattet. Es gilt immer noch ein Gesetz in der Verordnung über
Lebensmittel, welches vorschreibt, dass das «ganze Gemelk» in der Molkerei abzuliefern ist – ohne dass ein Kalb einen Teil davon getrunken hat. Das Gesetz hatte vor hundert Jahren durchaus seine Berechtigung. Es kam einst zustande, weil vereinzelt Bauern vor dem Gang zur Hütte in Versuchung gerieten, den Rahm abzuschöpfen oder Wasser zuzugeben. Bei den heutigen Kontrollen samt Keimzahlenprüfungen käme das keinem Produzenten mehr in den Sinn.

Nachfrage auch in der Schweiz
Die Nationalrätin und ETH-Agronomin Martina Munz aus Schaffhausen hat darum schon im September 2018 in Bern eine Motion eingereicht, die verlangt, dass der Verordnungstext so abzuändern sei, dass Höfe mit muttergebundener Aufzucht ihr Produkt legal vermarkten können. «Die Verordnung ist in der Vernehmlassung und wird vermutlich im Mai oder Juni in Kraft gesetzt», sagt Munz zum momentanen Stand.

Die Nachfrage für Elternzeit-Milch wäre auch in der Schweiz vorhanden: Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau im aargauischen Frick Fibl erhält bereits jetzt Anfragen von Konsumenten, die wissen möchten, wo sie solche Milch kaufen könnten. Gegen die Motion Munz ist in Bern eigentlich niemand, weder Bundesrat Alain Berset, in dessen Departement das für den Vorstoss zuständige Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen angesiedelt ist, noch Bauernpräsident Markus Ritter, der seinen Biobauernkollegen die zusätzliche Absatzmöglichkeit gönnt. 

Tatsächlich sind auch die wenigen Schweizer Landwirte überzeugt von der muttergebundenen Kälberaufzucht. Es gebe weniger Arbeit als das Aufziehen mit Nuckeln und die Tiere seien gesünder und vitaler, da sie mit natürlichen Abwehrstoffen versorgt würden, sagte Bäuerin Martina Knoepfel der «Bauernzeitung». Für Meinrad Betschart vom Biohof Husmatt in Rickenbach ob Schwyz ist es die beste, natürlichste und gesündeste Art, um Kälber auf einem Milchwirtschaftsbetrieb aufzuziehen, wie er dem Magazin «Bio Aktuell» verriet.

In der Schweiz ist auch weitere Unterstützung am Start: In Bern gibt es jetzt den Verein «Cowpassion», der von Produzenten und Konsumenten initiiert wurde, um die Mutter-Kalb-Haltung zu fördern. Im Dezember sind die ersten MuKa-Käse geliefert worden. Und Demeter startete das Projekt «Rinder im Glück», das ebenfalls vorsieht, dass die Kälber bis zum Absetzen am Euter trinken dürfen.

www.cowpassion.ch