Fotografin Sandra Culand über die Eringer Kühe
«Mehr als kämpfende Kraftpakete»
Jedes Jahr zwischen März und Mai fechten im Wallis die stämmigen, dunklen Eringer Kühe bei einer Reihe von Ringkämpfen aus, wer ihre Königin ist. Die Westschweizer Fotografin Sandra Culand hat dieses Stück Kulturerbe mit einfühlsamem Blick dokumentiert.
Die Eringer Rinder sind im Kanton Wallis heimisch. 1920 wurde der Schweizerische Eringerzuchtverband gegründet und seit dann wird ein Herdebuch geführt. Die Eringer sind einfarbig dunkelbraun oder dunkelrot-schwarz und von kleiner, muskulöser Statur. Die Kühe verfügen über einen ausgeprägten Rangordnungssinn und kämpfen jeweils um die Anführerinnenposition in der Herde. Aus dieser Eigenschaft leitet sich die Tradition der Ringkuhkämpfe im Kanton Wallis ab. Die Kühe werden in Alters- und Gewichtskategorien eingeteilt und können sich im Ring ihre Gegnerinnen frei aussuchen. Tiere, welche einen Kampf verlieren oder ihm entfliehen, scheiden aus. Den Höhepunkt bildet jeweils das Finale der Ringkuhkämpfe im Mai in Aproz, wo die Königin der Königinnen gekürt wird.
Frau Culand, wie kam es dazu, dass Sie Ringkämpfe von Eringer Kühen fotografisch festgehalten haben?
Begonnen hat alles mit einer Fotoreportage, die ich für das Journal «Terre et Nature» machen durfte. Es war im Jahr 2011, als ich erstmals ins Wallis reiste, umeinen Kuhkampf fotografisch zu begleiten. Dort kam ich mit verschiedenen Besitzern von Eringer Kühen ins Gespräch und wurde auf eine Alp eingeladen, um die Ankunft und das Aufeinandertreffen der Herden mitzuerleben. Beim Alpauftrieb in Combreye entstanden dann eindrückliche Aufnahmen davon, wie diese Kühe die Hierarchie untereinander ausfechten. Der andere Teil des Portfolios ist am nationalen Finale in Aproz 2017 entstanden, wo jeweils die Königin der Königinnen erkoren wird. Sie sehen: Diese Muskelpakete haben mich vollkommen in den Bann gezogen und lassen mich nicht mehr los. Sie vereinen diese ungeheure Kraft mit einer sehr sanften, menschenbezogenen Seite. Mich beeindruckten ihre Intelligenz und Ausdruckskraft – vielleicht hängt das ja auch damit zusammen, dass ich Stier im Sternzeichen bin.
Sie haben fast ausschliesslich Detailaufnahmen der Tiere gemacht – die Kampfszenen sind nicht wie bei anderen Fotografen aus der Distanz sichtbar.Was für Einblicke möchten Sie so den Betrachtern bieten?
Ich bin eine grosse Liebhaberin von Formen. Diese will ich mit meinen Fotos herausarbeiten. Das Spiel der Muskeln, das pechschwarze Fell, die Mimik der Kühe, ihre Kampfgesten empfinde ich als sehr besonders und ästhetisch. Die Betrachterinnen meiner Fotos möchte ich auf diese Aspekte aufmerksam machen und nicht einfach das Spektakel des Kampfes abbilden.
Das zähe Ringen der Kühe miteinander drückt sich in den Fotos aus. Man hat das Gefühl, es handelt sich genauso um psychologische Auseinandersetzungen wie um physische Kämpfe. War das Ihr Eindruck von diesem Kräftemessen?
Auf jeden Fall, diese Auseinandersetzungen sindpsychologischer Natur. Die Kühe haben ja den Drang, die Hierarchie untereinander auszufechten. Dahinter steht der unbedingte Wille, die Königin zu sein und dieHerde anzuführen. Das liegt in ihrem Charakter und ist nicht antrainiert.
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Der Blick ruht entweder auf den Köpfen der Kühe oder aber wir Betrachter nehmen die Perspektive der Tiere ein. Es scheint, als sollten wir uns in die Gedankenwelt der Kämpferinnen hineinversetzen.
Mit der Wahl dieser Perspektiven möchte ich deutlich machen, dass diese Eringer Kühe fühlende Lebewesen sind mit Emotionen und Ideen. Es handelt sich nicht nur um Kraft und Physis, die hier aufeinandertreffen. Mir ist wichtig aufzuzeigen, dass Tiere genau wie wir Menschen empfindsame Wesen sind – ohne sie jedoch zu vermenschlichen. Mit dem fotografischen Blick in die Augen, möchte ich einen Blick in die Seele dieser Kühe werfen. Den Kühen ist eine grosse Konzentration anzusehen.
«Die Eringer vereinen diese ungeheure Kraft mit einer sanften Seite.»
Bitte nehmen Sie uns kurz mit in eine Kampfarena und beschreiben die Stimmung, die dort herrscht.
Die Geräuschkulisse ist beeindruckend. Gleichzeitig sind jeweils mehrere Kampfpaare im Ring. Alle Kühe tragen massive Glocken und beim Aufeinanderstossen der Köpfe knallt es richtiggehend. Die Zuschauerinnen und Kuhbesitzer verfolgen die Kämpfe äusserstkonzentriert und mit viel Sachverstand. Den positiven wie negativen Emotionen wird Luft gemacht undder Applaus für eine Siegerin ist jeweils tosend. Ich möchte unterstreichen, dass diese Kuhkämpfe keinesfalls mit den «corridas de toros», den spanischen Stierkämpfen, verglichen werden können. Hier geht es nicht darum, den Kühen Leid zuzufügen. Klar, ab und an gibt es auch Blessuren, dann wird die Kuh jedoch sofort aus dem Kampf genommen und tierärztlich versorgt.
Obwohl Sie meist Nutztiere fotografieren, auch Pferde, Ziegen oder Hühner, treten Menschen in Ihren Fotos kaum auf. Interessieren Sie sich mehr für das Wesen der Tiere als für den Austausch zwischen Mensch und Tier?
Tiere sind wunderschön, darum stehen sie bei mir im Fokus. Ganz ohne Schminke oder aufwändige Frisur scheint mir jedes einzelne Tier in seiner Individualität perfekt. Mir geht es darum, diese natürliche Schönheit und Ausdruckskraft, aber auch die grosse Diversität der verschiedenen Arten und Rassen aufzuzeigen. Vor allem den Nutztieren möchte ich mehr Sichtbarkeit geben, denn sie sind ein enorm wichtiger und grosser Bestandteil unserer Gesellschaft. Mit meinen Fotos möchte ich dazu anregen, dass wir uns Gedankendarüber machen, wie wir Tiere nutzen wollen, und darauf hinweisen, dass es jedes Tier verdient hat, mit Respekt behandelt zu werden. In dem Sinne verstehe ich meine Aufnahmen als Hommage an die Nutztiere.
Bei Ihren Tierfotos finden sich sehr viele Nah- und Detailaufnahmen, manchmal auch aus unüblichen Perspektiven. Was möchten Sie über diese Bilder vermitteln?
Es gibt das Sprichwort, dass in jedem Fotografen ein Maler schlummert. In diesen teils abstrakten Ansichten kommt meine künstlerische Ader zum Ausdruck. Ich möchte den Blick leiten und zeigen, dass sich hinter dem Tier auch ein Kunstwerk verbirgt. Es sind aber nicht alle Menschen fähig oder willens, diesem künstlerischen Blick zu folgen.
Zur PersonUrsprünglich im Marketing und in der Werbekommunikation tätig, verschreibt sich die Waadtländerin Sandra Culand schliesslich der Fotografie. Als freiberufliche Fotografin hält sie die Perfektion landwirtschaftlicher Arbeit, die Intensität eines tierischen oder menschlichen Blicks oder die Anmut von übers Wasser tanzenden Segelbooten fest. Ihre Aufnahmen von Pferden, Kühen oder Ziegen bringen das Wesen der Tiere zum Vorschein und spielen zugleich mit abstrakten Formen.
sandraculand.com
Es scheint, als haben Sie sich sehr nah an die Kühe herangetraut, sich direkt vor oder hinter sie gestellt für die Aufnahmen. Wie lief das Fotoshooting ab, waren Sie während der Kämpfe mit den Kühen in der Arena?
Nein, direkt im Kampfring war ich nicht, das wäre zu gefährlich. Aber ich war jeweils ganz am Rand hinter der Absperrkordel positioniert, wo sich auch die Besitzer der Kühe während den Kämpfen aufhalten. Dann musste ich jeweils ausharren, bis ein kämpfendes Paar ganz nah kam. Da die Kühe ziemlich lange in derselben ineinander verkanteten Position ausharren, bleib mir genügend Zeit für die Aufnahmen. Auf der Alpweide war ich allerdings sehr nahe an den Kühen dran und habe mich beispielsweise direkt hinter ihnen positioniert. Angst hatte ich dabei nie, aber wie im Umgang mit allen Tieren muss man stets aufmerksam sein und beobachten, wie das Tier reagiert. Die Kühe sollten wissen, dass man sich in ihrer Umgebung aufhält. Sich ohne Vorwarnung direkt hinter eine Kuh zu stellen und sie dadurch zu erschrecken, ist eine schlechte Idee.
Ihr Portfolio ist äusserst vielfältig, neben Tieren und Menschen porträtieren Sie auch Städte oder Baustellen. Was rücken Sie als nächstes ins Licht?
Aufgrund des Coronavirus musste ich einige Projekte auf Eis legen. Nun stehe ich aber in den Startlöchern zu einem Projekt, auf das ich mich riesig freue, auch weil es wieder im Bezug zu Tieren steht. Gemeinsam mit einem Journalisten arbeite ich an einem Buch über die sogenannten «Poyas». Das sind auf Holz festgehaltene Gemälde, die den Alpaufzug oder -abzug darstellen. Diese Bilder sind vor allem in der Region La Gruyère im Kanton Freiburg an Bauernhäusern angebracht. Wir wollen die Tradition dieses kulturellen Erbes beleuchten und die Geschichten zu einzelnen Bildern erzählen. Es gibt sehr alte, in einer traditionell naiven Malerei festgehaltene Poyas, aber auch moderne, stilisierte Gemälde. Die Auswahl wird uns schwerfallen, denn wir können ja kein 600-seitiges Buch herstellen.
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