Anfang Februar sind sie alle zu Hause, doch ab März gehen sie wieder auf Tour: Die 65 Laufenten von Amélie Lindner. An einem nebligen Samstagnachmittag ruhen sie sich im Gras neben einem Bauernhaus in Leimiswil (BE) aus. Zwei weisse Gänse wachen über den Trupp. Andernorts weiden Kühe auf Flächen, wie sie Amélie Lindners Wassergeflügel zur Verfügung haben. Sobald die junge Frau mit Gummistiefeln, Jacke und wehenden schwarzen Haaren durch die Weide stapft, kommt Leben in die Schar.

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«Die Weibchen schnattern immer», sagt die 22-Jährige lachend. «Es gibt nichts Schöneres, als im Sommer in der Entenweide auf der Bank zu sitzen», setzt sie nach. Die Laufenten watscheln in aufrechter Haltung seitlich dem Hang entlang, wie Wächter, die neugierig um sich schauen.

Amélie Lindner begeistert sich seit Kindheit für Tiere. Die Enten haben es ihr dabei besonders angetan. Sie lebt, seit sie elf Jahre alt ist, im oberaargauischen Leimiswil. Vorher wuchs sie in Berlin auf. «Wenn wir den Zoo besuchten, zog es mich nicht zu Giraffe und Löwe, sondern an den Ententeich», sagt die junge Frau. Als dann ihre Mutter Diana mit ihr, ihrer Schwester Felicia und zwei Hunden in das Bauernhaus in Leimiswil zog, eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten. «Schon ein halbes Jahr später hatte ich meine ersten vier Laufenten», erzählt die fröhliche Entenfreundin, derweil ein Teil ihres Trupps im Schlick einer feuchten Stelle schnäbelt. Der Weg von 4 zu 65 Laufenten war nicht ohne Hindernisse. Sie habe Fehler gemacht, gibt Amélie Lindner unumwunden zu.

«Ich merkte rasch, dass mir drei Erpel und nur eine Ente verkauft wurden, und dass es mit diesem unausgeglichenen Geschlechterverhältnis nicht gut geht», erzählt die Laufentenliebhaberin. Wenn die Paarungs- und Brutzeit ab März einsetze, würden sich Erpel um Enten streiten. «Ein Erpel sitzt acht bis zehn Mal pro Tag auf», sagt Amélie Lindner. Sie separierte die beiden überzähligen Erpel. Wenn sie ohne Kontakt- und Sichtmöglichkeit zu Enten gehalten werden, können Erpelgruppen problemlos zusammenleben.

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Mit der Mauser im Frühling entwickelt sich das Prachtkleid. Locken in der Bürzelgegend weisen auf Erpel hin. Amélie Lindner erzählt von einer interessanten Beobachtung: «Wenn zu viele Erpel vorhanden sind, machen die wenigen Weibchen eine hormonelle Änderung durch und werden dann äusserlich und vom Verhalten her zu Erpeln.» So verlören die Erpel das Interesse an ihnen. Durch die zahlreichen eigenen Erfahrungen, Recherchen und Gespräche entwickelte sich die junge Frau zur Spezialistin für Laufenten. Darum weiss sie auch: Paare bleiben meist zusammen. «Laufenten haben Verlustängste, rufen unendlich, wenn der Partner gestorben ist, und suchen Halt.»

Der Weg zum Laufentenverleih

Amélie Lindner wurde rasch zur Züchterin. Das Weibchen des abgesonderten Paars baute ein Nest im kleinen Stall. Aus elf Eiern schlüpften nach einer Brutzeit von 28 Tagen acht Küken. Nach etwa neun Wochen gingen die Jungenten eigene Wege. Heute reiche sie Enten mit Jungen zerstampfte Rüebli und Erbsen, später mische sie das Pelletfutter darunter.

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Amélie Lindners Entenabenteuer nahm nun so richtig Fahrt auf: «Ich verkaufte die Jungen, weil ich eine neue Blutlinie wollte.» Sie sei dann mit ihrer Mutter zu einer Züchterin gefahren – und mit zehn jungen Laufenten zurückgekehrt. «Zum Glück habe ich eine tierliebende Mutter», schwärmt Amélie Lindner und lächelt verschmitzt. Der Weg zum Entenverleih war nicht mehr weit. Sie stellte rasch fest, dass sie Schnecken den Garaus machen. Eine Freundin borgte deswegen zwei der aufrecht gehenden Läufer. Die Geburtsstunde von Amélies Laufentenverleih.

«Die Leute hatten dermassen Freude an den Enten», erinnert sich die initiative Frau. Sie sagte sich: «Warum nicht weitermachen, das wäre mega cool.» Sie habe ein Kleininserat geschaltet, dann eine Website installiert. Die Ausleihzahlen seien in die Höhe geschossen. Amélie war damals noch ein Mädchen. «Meine Mutter fuhr mit mir und den Enten zu den Leuten.» Die hätten dann gemeint, dass ihre Mutter die Enten verleihe, erinnert sich Amélie Lindner mit einem Schmunzeln. Sie wurde als Schülerin nicht nur zur Laufentenexpertin, sondern auch Geschäftsfrau und Ansprechpartnerin bei Haltungsfragen. Eine Laufente werde 12 bis 17 Jahre alt, betont die Laufentenzüchterin.

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Schwarz schillernde, graue, fahle, weisse, wildfarbene, erbsgelbe Enten trippeln wie Pinguine vor ihr über das Feld. Ab März touren sie wieder durch die ganze Schweiz. Für einen Garten mit 300 Quadratmetern würden zwei Enten während vier Wochen reichen, um der Schneckenplage Herr zu werden. «Sie fressen insbesondere Nacktschnecken.» Es gebe aber auch solche, die Häuschenschnecken ins Wasser werfen würden. Dann kommen sie heraus – und werden gefressen. «Vier Wochen sind notwendig, damit sich die Enten einleben können und keinen Stress haben. Die zwei Tiere watscheln dann bis im Oktober als Schneckenschreck durch Schweizer Gärten, denn sie ziehen immer weiter. «Es wäre zu stressig für sie, wenn sie sich zeitweise zu Hause wieder in eine Gruppe integrieren müssten», sagt die Entenkennerin.

Schutz vor Marder und Fuchs

Amélie Lindner verleiht ihre Enten mit Häuschen, Pelletfutter und einem Bassin. «Wer keinen geeigneten Zaun um den Garten hat, dem liefern wir einen mit.» Das kostet 240 Franken zuzüglich 70 Rappen pro Kilometer. Sie bringe alle Enten persönlich, denn sie wolle sehen, wo sie lebten. Es sei schon vorgekommen, dass sie die Enten wieder zurückgenommen habe, wenn der Ort nicht dem entsprochen habe, was ihr am Telefon erzählt worden sei.

«Ich bin sehr froh, dass mir jetzt mein Freund Raphael hilft. Ich würde es sonst kaum noch schaffen.» Ab dem Frühling sind die beiden an jedem Wochen-ende unterwegs mit Laufenten. In Zürich und Winterthur hätten sie besonders viele Kunden. Ein weiterer positiver Effekt eines Entenkurzaufenthalts im Garten sei, dass Gras nachher wieder gut wachse. Durch ihre Exkremente düngen sie die Wiese.

Den Überblick verliert die enthusiastische Frau nie. «Ich kenne jede einzelne meiner 65 Laufenten», sagt Amélie Lindner. Sie habe handschriftlich eine Zuchtkontrolle geführt, bis dann ihr Freund eine Excel-Liste angelegt habe. «Es ist sehr wichtig, Inzucht zu vermeiden», betont die Entenexpertin. Sie streicht gleich noch ein weiteres Muss bei der Entenhaltung heraus: «Eine dreimal jährlich durchgeführte Entwurmung ist wichtig.» Das Mittel beziehe sie beim spezialisierten Vogeltierarzt und gebe es jeder Ente mit einer Spritze in den Schnabel ein. Das Wasser im Teich wechselt Amélie Lindner dank eigener Quelle mehrmals wöchentlich, was zur guten Gesundheit der Enten beiträgt.

Ihre Laufenten übernachten auch im Winter gruppen- oder paarweise in ihren Häuschen, die sich in einem grossen Stall befinden. «In gleicher Konstellation gehen sie dann in die Ausleihe.» Die Enten watscheln bei Dunkelheit zwar selbst in die Häuschen, bis aber alle am richtigen Platz sind, dauert es mindestens 20 Minuten. Fuchs und Marder sind ein grosses Problem für die flugunfähigen Wasservögel, die um 1850 aus Asien nach England importiert wurden. Es handelt sich um eine alte Zuchtform. Vorfahren sind Stockenten. Amélie Linder hat um ihre riesige Weide einen drei Meter hohen Maschendrahtzaun erstellen lassen, der in den Boden eingegraben ist. Die ganze Entenweide ist mit dreifachem Elektrodraht gesichert. So leben ihre Schnatterer unbehelligt im Laufentenparadies.

Enten beschäftigen Amélie Lindner auch in ihrer Maturaarbeit. Ihr Ziel: Veterinärmedizin. «Ich möchte Tieren helfen können», sagt sie, strahlt über das ganze Gesicht, ihre Augen leuchten, derweil ihre Pfleglinge interessiert zu ihr schauen, wie Marktbesucherinnen in Erwartung der Auslagen.

amelieslaufentenverleih.ch