Schon aus 50 Metern Entfernung riecht es verführerisch nach gegrilltem Fleisch, als ich mich am Dienstagmittag zwischen den Berner Marktständen in Richtung Waisenhausplatz hindurchschlängle. Am Grillstand beäugen Passanten schüchtern, aber neugierig ein Plakat, das zur Burger-Degustation einlädt. Gratis-Hamburger, mitten in der Stadt: Gibt's das? Ja, das gibt es. Und als sich einer ein Herz fasst und sich bedienen lässt, fallen die Hemmungen, nun wollen alle einen Burger haben.

Vorurteile gegen «stinkende» Eber
Pascal Girod freut's. Er ist Leiter des Projekts «Eber statt Kastraten», aufgestellt von der Tierschutzorganisation KAGfreiland. Mit der Aktion im Herzen Berns will Girod die Öffentlichkeit auf sein Anliegen aufmerksam machen. «1,3 Millionen männliche Ferkel werden in der Schweiz jedes Jahr kastriert», beklagt er, «weil sowohl im Detailhandel als auch bei den Konsumenten Vorurteile herrschen.»

Tatsächlich tritt bei 5 bis 10 Prozent der Eber, also der unkastrierten Schweine, ein übler Geruch auf, der ihr Fleisch in gebratenem Zustand ungeniessbar macht. Verantwortlich dafür sind die beiden Substanzen Androstenon und Skatol, die bei kastrierten Schweinen, Borge genannt, nicht vorkommen. Die Furcht vor einem «versauten» Schnitzel scheint also gross zu sein.

Doch Girod will dies ändern. «Es kann zuverlässig nachgewiesen werden, ob ein Eber geruchsbelastet ist», behauptet er. Dazu werden von geschulten Personen Geruchsproben genommen. Da der Ebergeruch nur bei gegartem Fleisch auftritt, wird es kurz erhitzt und dann daran geschnuppert. Die Eber, die stinken, können zu rohen Wurstwaren verarbeitet werden, die «sauberen» zu Koteletten und Bratwürsten.

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Die Schlange vor dem Stand der KAGfreiland ist mittlerweile so lang, dass der Grillmeister kaum mehr nachkommt mit burgerbraten. Die meisten der Wartenden sind hungrige Passanten, die zufällig vorbeispazierten, einige waren sich gar nicht bewusst, dass ihr Mittagessen aus Eberfleisch besteht, doch keiner reagiert schockiert, als ich ihn aufkläre. So schlimm scheint es also gar nicht zu sein mit den Vorurteilen. Nur eine ältere Frau winkt ab, als ich sie überzeugen will, einen Eberburger zu kosten: «Das ist bestimmt gut», sagt sie, «aber nichts für mich.»

Ohne Angebot keine Nachfrage
Hauptsächlich sind es die Produzenten, die skeptisch sind. Die KAGfreiland sucht laut Girod den Dialog mit den Grossverteilern und will, dass diese das Fleisch von unkastrierten Schweinen in ihr Sortiment aufnehmen. Denn er ist sich sicher: «Wenn einer aufspringt, dann geht's von alleine». Ein Teufelskreis: Die Produzenten haben Angst vor der Ablehnung ihrer Kundschaft und einer mangelnden Nachfrage nach Eberfleisch und die Bevölkerung findet kein Angebot, um sich eine Meinung bilden zu können.

Eberfleisch kann bisher nur bei einigen wenigen Metzgern und Bauern gekauft werden. Kaltprodukte werden dabei explizit als «unkastriert» deklariert, während Waren zum gekocht essen meist nur mit «Schweinefleisch» angeschrieben werden. Dies sei auch das Ziel: Eberfleisch soll zur Normalität werden. Deshalb spricht Girod an seinem Grillstand auch von einem «stinknormalen» Burger. Nur stinken soll er nicht.

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Tut er auch nicht. Die Burger-Verköstigung kommt gut an bei den Passanten. Auf Nachfrage finden alle Gefallen am «Geschmack von ganzen Kerlen», mit dem der Eberburger auf dem Plakat angepriesen wird. Eine junge Frau versichert mir: «Ich würde sofort Eberfleisch kaufen, wenn ich welches im Ladenregal finden würde.» Und auch dem Mädchen schmeckt sein Mittagessen, das ihm fast zu gross zum abbeissen ist. Mir übrigens auch.

Die Schweiz ruht sich auf ihren Lorbeeren aus
Erstaunlich findet Girod, dass gerade die Schweiz bei der Ebermast anderen Ländern hinterherhinkt. In Deutschland etwa würden immer mehr männliche Ferkel nicht kastriert. Die Geruchsprobe scheint dort zu funktionieren. Es gibt aber auch andere Ansätze, den unappetitlichen Ebergeruch zu vermeiden. In Grossbritannien werden laut Girod männliche Schweine oft geschlachtet, kurz bevor sie ausgewachsen und voll von geruchsintensiven Hormonen sind. Dadurch kann aus ihnen zwar etwas weniger Fleisch erzeugt werden, dafür fallen Kosten und Aufwand für die Kastration und den «Schnuppertest» weg.

Auch in der Schweiz gibt es Bemühungen, männliche Ferkel weniger leiden zu lassen. Seit 2010 ist es hierzulande verboten, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren. «Darauf ruhen sich die Schweizer nun aus», meint Girod. Er will aber einen Schritt weiter gehen. Die Bauern hätte er jedenfalls auf seiner Seite, ist er sich sicher. «Viele würden sofort auf Ebermast umstellen, wenn die Nachfrage gross genug wäre.»

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Bis das soweit ist, könnte es noch eine Weile dauern, doch vielleicht sehen wir den Eberburger ja bald in den Regalen der Schweizer Supermärkte – ob als solcher deklariert oder als «stinkgewöhnliches» Schweinefleisch.