Das Emmental zeigt sich von seiner Schokoladenseite. Die sanft geschwungenen, mit Schnee verzuckerten Hügel werden bestrahlt von der Wintersonne. Perfekt zu dieser Idylle passt ein Mann in Bauerntracht, der auf dem Rasen vor dem Thanhof in Ranflüh BE steht: Es ist Schwingerkönig Matthias Sempach. Ein Kasten von einem Mann. 1,94 Meter gross, 110 Kilo schwer. Doch gegen das Kraftpaket neben ihm könnte selbst er wohl wenig ausrichten. Der mächtige Stier bringt ein Kampfgewicht von 1100 Kilo auf die Waage. Man muss sich aber nicht vor ihm fürchten. «Er hat ein sehr angenehmes Wesen und ist mediengewandt», sagt Sempach schmunzelnd. So bleibt der Muni laut dem Emmentaler jeweils auch bei grossem Rummel und vielen Leuten, die ihn gerne streicheln wollen, ruhig und lässt alles stoisch über sich ergehen.

Der Prachtsstier ist Sempachs Siegestrophäe. 2013 holte er sich beim «Eidgenössischen» in Burgdorf den grössten Sieg, der in der Schweizer Nationalsportart Schwingen möglich ist. Matthias Sempach zeigte sich als «Herr der Sägemehlringe», legte jeden Gegner auf den Rücken und wurde Schwingerkönig. «Der Sieg war eine riesige Genugtuung für mich», sagt er. Denn er habe jahrelang auf dieses Ziel hingearbeitet. 

Sempach verzichtete auf viel Geld
Als Preis erhielt er diesen Stier. Ein Exemplar der Rinderrasse «Swiss Fleckvieh» mit einem Namen, der durchaus eines «Monarchen» würdig ist: «Fors vo dr Lueg». Matthias Sempach durfte wählen zwischen zwei Möglichkeiten: entweder den Muni zu behalten oder  aber den Gegenwert von 22 000 Franken ausbezahlt zu bekommen. Von Anfang an spürte der 27-jährige Schwinger eine 

spezielle Bindung zu dem Tier. «Ich konnte nicht anders, als Fors zu behalten. Das Finanzielle stand für mich nicht im Vordergrund. Und wenn ich ihn sehe, kommen die schönen Erinnerungen an meinen Sieg hoch.»

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 Fors vo dr Lueg in seinem Quartier. 

Der drei Jahre alte Muni hat Ende Januar auf dem «Thanhof», dem Bauernhof des Landwirts Simon Hertig, Sempachs Cousin, Unterschlupf gefunden – in einem komfortablen Einzelstall mit Aussicht auf den Vorhof. Er kann auch jederzeit raus auf das Stück Weide, das für ihn reserviert ist. Gestriegelt und gepflegt wird er vom befreundeten Nachbarn Hans Bichsel, der auch während des «Eidgenössischen» für die Betreuung von Fors verantwortlich zeichnete. Sempach will den Muni so oft wie möglich in seinem neuen Heim besuchen. «Er wird mich auch an Auftritte bei Firmenanlässen oder Sponsoren begleiten», sagt der Emmentaler. 

Der Muni wird für viel Nachwuchs sorgen
Vor seiner Einstallung bei Hertig «arbeitete» Fors vo dr Lueg für vier Monate bei der Firma «Swissgenetics» in Mülligen AG: Dort wurde der Samen des Stiers abgezapft. «Zwei Mal pro Woche besprang der Muni einen künstlichen Bock in Kuhform. So konnten wir dann seinen Samen entnehmen», erzählt Josef Kneubühler, Tierarzt und Teamleiter Tierhaltung von «Swissgenetics». Das «Lebenselixier» wurde dann abgefüllt. «Insgesamt wurden circa 10 000 Dosen produziert», sagt Kneubühler. Das sei aber eine normale Ausbeute. «Fors war ungefähr gleich produktiv wie andere Stiere.» In jedem Samenröhrchen stecken mindestens 15 Millionen Spermien von Sempachs Muni. Die Behältnisse werden nun für 50 Franken pro Stück verkauft. 

Damit sollen möglichst viele Kühe befruchtet werden – es werden also viele Söhne und Töchter von Fors auf die Welt kommen. Der Verkauf laufe gut, sagt Sempach. «Im Oktober gibt es schon den ersten Nachwuchs.» Einen Teil der Einnahmen will der Schwingerkönig Jungzüchtern sowie einer Hilfsorganisation, die kranke Kinder unterstützt, zukommen lassen. Welche es genau sein wird, ist aber noch unklar. 

Fors vo dr Lueg ist nicht das einzige Tier, das Sempach besitzt. Er hat ausserdem noch  drei Rinder, die bei einem befreundeten Bauern untergebracht sind. Sempach leistet dort gelegentlich Stalldienst und melkt die Tiere. «Viehzucht war schon immer ein Hobby von mir», sagt er. Sempach wuchs die ersten sieben Lebensjahre auf einem Bauernhof auf, sein Vater war dort Pächter. 

Der Schwingerkönig wurde selber ebenfalls Landwirt und absolvierte zudem eine Lehre als Metzger. Momentan fehlt ihm aber die Zeit, um in diesen Berufen zu arbeiten, zu sehr ist er beschäftigt mit Werbeauftritten und Repräsentationsaufgaben für seine Sponsoren. Die Medienanfragen haben seit dem Titel deutlich zugenommen. Sempach hat damit und auch mit dem gesteigerten Interesse an seinem Privatleben keine Mühe. «Das gehört jetzt halt auch dazu, es ist mir einfach wichtig, dass das Schwingen nicht darunter leidet», sagt er. Erst im Juni will Sempach eine neue Stelle antreten: Er wird zu 50 Prozent bei einer Futtermittelfirma als Verkaufsberater tätig sein.

Saison-Highlight in Kilchberg ZH
Bereits jetzt bereitet sich Sempach ausserdem intensiv auf die neue Schwing-Saison vor, die im Frühling beginnen wird. «Ich trainiere sechs bis sieben Mal in der Woche, dazu kommt Krafttraining. Der Aufwand beträgt etwa 16 Stunden in der Woche», sagt er. Das heurige Highlight ist für ihn das «Kilchberg-Schwinget», das nur alle sechs Jahre stattfindet. «Dort hoffe ich vorne mitschwingen zu können», sagt er. Bei der letzten Austragung 2008 stellte er im Schlussgang gegen den Berner «Mocken» Christian Stucki und musste ihm den Triumph überlassen –  den gleichen Gegner bezwang er dafür in der entscheidenden Runde des «Eidgenössischen». 

Der Kampfsport Schwingen war schon in Kinderjahren Sempachs grösste Leidenschaft. Er gehört nun zu den «bösesten» Schwingern des Landes und hat schon 80 Kränze geholt, unter anderem gewann er auch das renommierte Bergschwinget auf dem Brünig. Und 2016 ist es dann so weit: In Estavayer-le-Lac am Neuenburgersee steigt das nächste «Eidgenössische». Dort will der Schwingerkönig seinen Titel verteidigen.

Schwingen auf höchstem Niveau möchte Sempach noch mindestens sechs Jahre. Für später hat er schon Pläne: «Ich kann mir sehr gut vorstellen, dann eine Familie zu gründen.» Momentan lebt er mit seiner Freundin Heidi Jenny noch in einem Fünfzimmerhaus in Alchenstorf bei Burgdorf. «Mein Traum ist es aber, einen eigenen Bauernhof zu führen», sagt er.