Friedlich scharren Glucksi und Grosi an diesem grauen Nachmittag in Horgen ZH im Gras, während sich «das Adoptivhuhn» im Sandbad putzt. Neun Hennen bewohnen den Hühnerhof in der Fischenrüti. Die Tiere leben auf einer riesigen Fläche mit Gras, Bäumen und Sträuchern – einmal entlang der zum Wohnhaus ausgebaute Scheune eines ehemaligen Bauernhofes. Glucksi und ihre Kolleginnen haben so viel Platz, dass anderen Hühnern vor Neid die Körner aus dem Schnabel fallen würden.

Die neun Hennen sind Teil der Gemeinschaft «Verein in der Fischenrüti». Menschen verschiedener Herkunft und Altersklassen wohnen und arbeiten hier individuell – beleben, gestalten und bewirtschaften ihren Lebensraum aber zusammen. Dazu gehören Gemeinschaftsräumlichkeiten, eine Spielgruppe, ein interkultureller Garten und eben die neun Hühner. Ziel der kurligen Kommune sind Austausch und Begegnung.

[IMG 2-11]

Alle sechs Wochen Hühnerdienst

Und den Auftrag nehmen Glucksi und die acht anderen Damen ernst. Fast jeder, der an dem Hühnerhof mit seinen wilden Bäumen und dem giftgrünen Zirkuswagen vorbeiläuft, verweilt, hat Fragen und Freude. «Das Schönste sind die Kinder. Wir geniessen es unheimlich zu sehen, wie fasziniert sie von den Hühnern sind», sagt Sybille Jäggli. Sie und ihr Mann Peter leben in der Erdgeschoss-Wohnung mit direktem Blick auf das Federvieh. Sie sind auch diejenigen, die Interessierten oft Rede und Antwort stehen.

Sechs Parteien mit insgesamt 17 Menschen im Alter von 1 bis 83 Jahren versorgen und verwöhnen die neun Hennen. Alle sechs Wochen steht der Hühnerdienst an. «Es ist wichtig, dass wir wissen, was in der Vorwoche passiert ist», sagt Martina Soldati, die mit ihren Söhnen Adrian und Raffael Teil der Gruppe ist. «So kann man sich optimal um die Hühner kümmern und weiss auch, auf welches man achten muss.» Und das beschreibt das Leben von Glucksi und Co. sehr treffend, denn gemäss ihren vielen Besitzerinnen und Besitzern sind sie die wohl verwöhntesten Hühner der Schweiz.

[IMG 12]

Wenig Ahnung — viel Liebe für Hühner

Die Idee, als Gemeinschaft Hühner zu halten, hatten Martin Hallersleben und seine Partnerin Delphine Eynaudi. Ein kurzer Austausch und schon waren Mitstreiter gefunden, die Bewilligung von der Grundbesitzerin eingeholt und der Ausbau des Hühnerstalls konnte losgehen. Rund drei Monate dauerte es, dann war der ehemalige Bauwagen mit Fenstern, Hühnerstangen, Nestern, Kotbrett und Solarstrom ausgerüstet. Zusätzlich wurde ein Innengehege mit Sandbad und vielen Pflanzen umzäunt und ein Aussenbereich mit Schutz vor Raubvögeln angelegt. Am 31. Mai 2020 dann zogen die Hühner ein. Wirklich Ahnung hatte zu diesem Zeitpunkt keiner der Mitstreiter. Als Leitfaden galt «Das grosse Buch der Hühnerhaltung im eigenen Garten» und der gute Wille, alles möglichst hühnerfreundlich zu gestalten.

 

[IMG 13]

Zusammen Lösungen suchen

Wo viele Menschen gemeinsam arbeiten, kommunizieren und einen Konsens finden müssen, gibt es Meinungsverschiedenheiten. Besonders dann, wenn es um Tiere geht. «Das Hühnerprojekt ist etwas, wo ich wirklich viel gelernt und über mich selbst erfahren habe», sagt Marion Bernegger, die mit ihrem Sohn Elia und ihrem Mann Thomas zur Hühnergruppe gehört. «Ich bin sehr sensibel, wenn es um das Wohlbefinden von Lebewesen geht und mache mir oft mehr Sorgen als andere. Und man muss eine Einigung finden, ob man zum Beispiel ein angeschlagenes Huhn zum Tierarzt bringt oder nicht. Das gab auch schon Konflikte.» Und Martina Soldati fügt an: «Wenn ich noch einmal von vorne anfangen könnte, würde ich sicher erst einmal besprechen, wie alle in der Gruppe zum Einschläfern, zu Tierarztbesuchen und zu Tierwohl im Allgemeinen stehen.»

Es sei klar, dass man auch so Konflikte nicht vermeiden könne. «Aber man rennt nicht unvorbereitet in eine solch emotional geladene Situation.» Die beiden Frauen beschreiben den kleinen weissen Sorgenfall des Hühnerhofes in der Fischenrüti. Whitey hatte nur wenige Monate nach dem Einzug der neunköpfigen Gruppe eine schwere Legedarm-Entzündung, die medikamentös behandelt werden musste. Die Prognose der Tierärztin auf vollständige Gesundung war nicht optimistisch.

Lieber Hühner als Eier

Eine Situation, die die Gruppe vor eine Herausforderung stellte. Wie viel Zeit sind die Mitglieder bereit, in die Pflege eines kranken Tieres zu investieren? Wie viel Handling will man dem Huhn zumuten? Die Gruppe entschied gemeinsam, Whitey mindestens einen Monat zu behandeln, und hatte Erfolg. Die weisse Henne wurde wieder gesund, ist nun wesentlich zutraulicher und der heimliche Liebling ihrer Menschen. «Das ist das Beste daran, dass wir eine Gruppe sind», sagt Peter Jäggli. «Man ist nie allein in solchen Situationen, kann auch mal abgeben und einander helfen.» Thomas Baumgartner fügt an: «Allein, als privater Hühnerhalter wäre es mit Whitey viel schwieriger gewesen.»

Einig ist sich die 17-köpfige Gruppe in einer Sache: Es geht keinem allein um die Eier. «Wir würden sie nie weggeben oder einschläfern, nur weil sie nicht mehr legen. Dann sind sie halt einfach unsere alten Hennen», sagt Marion Bernegger stellvertretend für die Gemeinschaft.