Merlyn Xiva, Merlyn Flizy und Merlyn Amelie: Die drei Milchkühe mit den klingenden Namen tragen keine Hörner. So weit, so unspektakulär. Denn auch die rund 120 anderen Kühe im Stall von Landwirt Thomas Gerber sind hornlos – so wie 90 Prozent der Kühe in der Schweiz.

Und dennoch sind die drei Red-Holstein-Kühe anders: Sie haben von Natur aus keine Hörner. «Weniger Arbeitsaufwand, geringerer Medikamenteneinsatz und weniger Stress für die Kälber», fasst Gerber die Vorteile der natürlichen Hornlosigkeit zusammen. Denn normalerweise brennt er Kälbern im Alter von wenigen Wochen die Hornanlagen mit einem Brennstab aus – nach vorgängiger Betäubung. Zwischen 60 und 70 Kälber enthornt er pro Jahr. Das nimmt Zeit in Anspruch und verursacht Kosten.

Dass die drei Milchkühe keine Hörner haben, ist kein Zufall. Gerber, der im luzernischen Dagmersellen einen 54-Hektaren-Betrieb bewirtschaftet, schaut bei der Zucht seit längerem nicht mehr nur auf Merkmale wie Milchleistung oder Körperform, sondern zunehmend auch auf genetische Hornlosigkeit seiner Tiere. In seinem Stall sind vor ein paar Tagen Ladd Rigona und Ladd Barbarella zur Welt gekommen – zwei natürlich hornlose Kälber. Gerber ist überzeugt, dass das die Zukunft sein wird.

Hornlos-Stiere sind gefragt
Damit ist Thomas Gerber nicht allein. Swissgenetics, Marktleader im Bereich der künstlichen Besamung, verzeichnet eine steigende Nachfrage nach genetisch hornlosen Stieren. «Vor 10 Jahren erkundigte sich drei bis vier Mal pro Jahr ein Bauer nach natürlich hornlosen Stieren, heute klingelt das Telefon diesbezüglich alle zwei Wochen», erklärt Jürg Stoll von Swissgenetics. Aufgrund der zunehmenden Nachfrage hat Swissgenetics zum ersten Mal einen hornlosen Red Holstein-Stier ins Standardangebot aufgenommen: Parma-ET PP. Dieser ist reinerbig hornlos. Das heisst, wird eine Kuh mit dem Sperma von Parma besamt, wird das Kalb garantiert hornlos sein. Ein kompletter Stier sei Parma, erklärt Stoll. Er verfüge über eine solide Abstammung, einen idealen Körperbau und vererbe gute Euter.

Auch wenn Hornlos-Stiere immer beliebter werden bei den Bauern, sind sie nach wie vor eine Nische. Lediglich wenige hundert von knapp 600'000 Milchrasse-Samendosen, die Swissgenetics im letzten Jahr verkauft hat, enthielten Erbgut von natürlich hornlosen Stieren.

Grund dafür ist das bis jetzt beschränkte Angebot. Denn genetische Hornlosigkeit war bei der Zucht bestenfalls ein erwünschtes Nebenprodukt. Im Vordergrund standen Merkmale wie etwa Fruchtbarkeit, Nutzungsdauer, Körperbau oder eine hohe Milchleistung. Und diejenigen Hornlos-Stiere, die es gab, vererbten zwar keine Hörner, oft brachten sie aber auch keine Hochleistungskühe hervor. Entsprechend wenig gefragt waren solche Stiere bei den Bauern. Denn Landwirte verdienen ihr Geld in erster Linie mit der Milch.

«Hype» in Deutschland
Nun hat der Wind gedreht. Laut Stoll schaut Swissgenetics vermehrt auf Hornlosigkeit ihrer Stiere. Das Angebot sei in letzter Zeit breiter und besser geworden. Und nicht nur in der Schweiz: Das deutsche Landwirtschaftsmagazin «Top Agrar» spricht schon von einem Hype.

Den Trend hin zu genetisch hornlosen Tieren verfolgt der Schweizer Tierschutz mit Interesse. Das Enthornen bleibe trotz Betäubungsmitteln ein belastender Eingriff für die Kälber, erklärt Geschäftsführer Hansuli Huber. Wenn das umgangen werden könne, sei aus tierschützerischer Sicht nichts dagegen einzuwenden. Dass viele Bauern heute keine behornten Kühe mehr wollen, sei eine Tatsache. Gleichwohl unterstütze der STS weiterhin die Haltung von Hornkühen, so Huber.