Schafe schubsen. Was nach einem Nachtbubenstreich für die ländliche Jugend klingt, kann in Wirklichkeit Leben retten – zumindest wenn stimmt, was in den Sozialen Medien landauf, landab immer wieder herumgeteilt wird. Ein Beitrag aus dem Jahr 2018 macht derzeit nicht nur in Norddeutschland die Runde – dort kommt er nämlich her –, sondern wird auch in der Schweiz rege kommentiert und weitergeleitet.

Das Foto zum Beitrag zeigt ein lebloses Schaf, das mit von sich gestreckten Beinen auf der Seite liegt, während zwei Lämmer hinter ihm stehen und verunsichert in die Kamera schauen. «Leider kamen wir heute zu spät», fängt der Text dazu an, «und konnten dieses Schaf nicht mehr schubsen.» Das Tier habe nicht mehr von allein aufstehen können und hätte, so die Verfasser des Beitrags, von zig Rad- und Autofahrern gerettet werden können: «Ein beherzter Griff in den Pelz und das Schaf ein wenig schubsen, dann kommt es wieder auf die Beine!»

Nicht immer ist, was im Internet steht und von massenhaft Menschen geteilt wird, auch wahr. Deshalb soll ein Experte für den Durchblick sorgen: Tierarzt Sven Dörig ist Leiter der Sektion Schafe beim Beratungs- und Gesundheitsdienst für Kleinwiederkäuer. Er sagt: «Wenn ein Schaf in Brustlage nicht mehr selber aufstehen kann, bringt es wenig, es wieder aufzustellen. Das Stehvermögen ist bei diesen Tieren meist nicht mehr erhalten.» Dann liege eine ernste Erkrankung vor, die tierärztlich behandelt werden müsse.

«Dieses Festliegen ist ein bekanntes Krankheitsbild, für das es verschiedene Gründe gibt.» So bestehe etwa ein Risiko für gut genährte Schafe, die mit Mehrlingen trächtig seien. «Es kommt vor, dass sie dann nicht mehr so viel Energie aufnehmen können, wie sie brauchen, um die Föten zu versorgen.» Dadurch würden sie ihre Körperfettreserven rasch abbauen, was zu Schläfrigkeit und Energielosigkeit führe. 

Schafe schubsen

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Andere mögliche Ursachen für ein Festliegen seien etwa Mängel von Kalzium oder Magnesium sowie – gerade bei Jungtieren – der klassische Wundstarrkrampf. Egal, was nun der Auslöser ist; wer an einer Schafherde vorbeiwandert und ein auf dem Bauch festliegendes Schaf sieht, soll keine Zeit mit Schubsen verschwenden, sondern sich an den Halter wenden. «Heute stehen die Kontaktdaten des Tierhalters ja oft auf einer Tafel irgendwo am Rand der Weide.» 

Bei Seitenlage zupacken!
Liegt ein Schaf allerdings auf der Seite – wie das beim rege im Internet geteilten Beitrag der Fall ist – oder gar auf dem Rücken, sieht die Situation laut Dörig anders aus: «Nach Regenperioden fängt das abtrocknende Vlies der Schafe gerne an zu jucken. Um diesen Juckreiz zu lindern, legen sich die Schafe auf die Seite, um zu scheuern.

Wenn es dumm geht und ein hochträchtiges Schaf zum Beispiel in einer Mulde in Seitenlage gerät, kann es wirklich nicht mehr aufstehen. Dann fehlt ihm der Schwung, um wieder auf die Beine zu kommen.» Diesen Tieren müsse schnellstmöglich wieder auf die Beine geholfen werden. Steht das Schaf zudem kurz vor der Schur und hat es lange, schwere Wolle, wird es noch schwieriger, sich von allein wieder aufzurichten. 

Vielleicht ist es auch bezeichnend, dass der Internetbeitrag aus Norddeutschland stammt, wo die Schafe oftmals sehr dichte Wolle tragen. Dennoch kann so etwas laut Dörig auch bei uns passieren, wo die Schafe in der Regel etwas weniger stark bewollt sind. Und dann sei ein beherztes Zupacken durchaus angebracht, denn: «Es kann schnell lebensgefährlich für das Tier werden.» In Seitenlage, erklärt der Tierarzt, werde der Ausgang der Speiseröhre vom Panseninhalt blockiert. Der Wiederkäuer könne die Gase, die er produziert, nicht mehr ausrülpsen, wodurch sich sein Pansen aufblähe und den Kreislauf des Tieres binnen einer halben Stunde zum Kollaps bringen könne.

Für einmal stimmt also, was im Internet steht: Schafe schubsen kann durchaus Leben retten, sofern das betroffene Tier auf der Seite oder auf dem Rücken liegt. Nur die eigene Haut, rät Sven Dörig noch, sollte dabei niemand aufs Spiel setzen: «Wenn ein Maremmano-Herdenschutzhund die Schafherde bewacht, ruft man vielleicht doch besser zuerst kurz den Bauern an, bevor man auf die Weide rennt.»

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