Was sind eigentlich Schmerzen? Die internationale Schmerzgesellschaft hat dazu folgende Definition: «Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.» Ähnlich wie Kälte, Geruch oder Berührungen nehmen Mensch und Tier auch Schmerzen wahr. Diese signalisieren, dass irgendetwas nicht stimmt. Leuchtet dieses Warnsignal auf Dauer, kann sich der Schmerz zu einer eigenständigen Erkrankung entwickeln, dem chronischen Schmerz.

Schmerz soll also warnen, vor grösseren Schaden bewahren und den Patienten ruhig halten, damit die Erkrankung oder die Verletzung nicht verschlimmert wird. Hat das Pferd etwa schlechte Erinnerungen an den Tierarzt, vermischt sich der Schmerz zudem mit Angst und Stress. Dadurch werden nicht nur körpereigene Hormone wie Cortisol und Adrenalin mobilisiert, die helfen, den Stress zu bewältigen, sondern auch Endorphine, die ihn lindern. 

Schmerzen sind subjektiv
Um auf sich und seinen Schmerz aufmerksam zu machen, fangen Menschen in der Regel an zu jammern oder zu weinen. Nicht so Pferde. Bei sehr starken Schmerzen entweicht ihnen unter Umständen mal ein Stöhnen, sie flehmen oder knirschen mit den Zähnen, aber meist leiden sie stumm. In freier Wildbahn ist das ein kluger Schachzug. So vermuten zumindest einige Fachleute, dass das eher lautlose Leiden zur Überlebensstrategie eines Fluchttieres gehört. Würden verletzte, vielleicht sogar bewegungsunfähige Pferde in freier Wildbahn schmerzvolle Laute von sich geben, wären sie leichte Beute. Vor allem Lahmheiten sollen kaschiert werden. Ausgehend von den domestizierten Bedingungen ist dieses Verhalten allerdings nicht zielführend. Denn dadurch ist es schwierig, etwas zu kurieren, von dem man nichts weiss. 

Wenn einem Pferd am Bewegungsapparat etwas wehtut, wird es sich instinktiv weniger bewegen oder die betroffene Gliedmasse weniger belasten.

Regula Bettschart-Wolfensberger
Veterinärmedizinische Fakultät Uni Zürich

Immerhin gibt es noch weitere Möglichkeiten sich mitzuteilen. «Wenn einem Pferd am Bewegungsapparat etwas wehtut, wird es sich instinktiv weniger bewegen oder die betroffene Gliedmasse weniger belasten», sagt Regula Bettschart-Wolfensberger, Leiterin der anästhesiologischen Abteilung der Veterinärmedizinischen Fakultät der Uni Zürich. Gesten wie Schweifschlagen, Wälzen, Scharren oder plötzliche Unruhe geben dagegen eher Hinweise auf Bauchschmerzen. Auch Verspannungen, Zuckungen, Krämpfe oder Kopfschütteln gehören dazu. 

 Allerdings werden Schmerzen von Tier zu Tier und von Mensch zu Mensch anders wahrgenommen. Während das eine Pferd beim kleinsten Kratzer am Bein humpelt, läuft sein Artgenosse vielleicht noch mit einer Fleischwunde unbeeindruckt über die Weide. Für den Pferdehalter bleibt da nur eines: genaues Beobachten und sein Pferd einzuschätzen lernen. Hilfe bietet dabei das Mienenspiel des Tieres. «Die Mimik bei Schmerzen verändert sich sehr ähnlich wie bei einem Menschen mit Schmerzen», erklärt die Tierärztin. Die Ohren liegen leicht zurück, die Gesichtsmuskeln sind angespannt, der Lidspalt ist verengt.  Wer genau hinsieht, entdeckt einige Zeichen (siehe ausklappbare Box).

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Auf die Intensität kommt es an
Ist man schliesslich fündig geworden, kommt normalerweise der Arzt. Bevor dieser allerdings mit einer Therapie beginnt, muss er nicht nur die Wurzel allen Übels finden und eliminieren, sondern auch die Schmerzintensität abschätzen. Dafür gibt es verschiedene Skalen wie die Schmerzskala nach Bussières oder die der Pferdetierärztevereinigung American Association of Equine Practitioners (AAEP). Auch Bettschart-Wolfensberger und ihr Team bedienen sich solcher Instrumente: «Wir arbeiten mit verschiedenen Schmerzskalen. Dabei ist es wichtig, dass sie schmerzspezifisch sind», sagt die Expertin. Habe ein Pferd zum Beispiel Bauchschmerzen, sei es komplett anders zu beurteilen, als wenn es Schmerzen am Skelett hätte. 

Ausserdem sei es wichtig, die Situation immer wieder aufs Neue zu beurteilen: «Wichtig ist, dass man therapiert und dann nach der Zeit, die das Schmerzmittel braucht, bis es wirkt, neu evaluiert, um sicherzugehen, dass man genügend vom richtigen Schmerzmittel verabreicht hat», sagt Bettschart-Wolfensberger. Bei akuten Verletzungen setzen Tierärzte meist die sogenannten nicht-steroidalen antientzündlichen Medikamente (NSAID = «non-steroidal anti-inflammatory drugs») ein. Diese «Cox-Hemmer» blockieren das Enzym Cyclooxygenase, wodurch die Entzündung gehemmt wird und es weniger schmerzt.

Nach Operationen oder bei sehr schweren Verletzungen kommen mitunter auch Opioide zum Einsatz, die häufig einen Klinikaufenthalt erfordern. Diese beeinflussen die Weiterleitung des Schmerzreizes über die Nerven nicht, sondern unterdrücken seine Wahrnehmung im Gehirn. 

Dauern die Schmerzen länger an und werden chronisch, können NSAIDs auch über mehrere Monate verabreicht werden – vorausgesetzt, das Pferd zeigt keine Nebenwirkungen wie etwa Verdauungsprobleme. Für Opioide ist das weniger zu empfehlen. Zu gross ist die Gefahr einer aufkommenden Sucht. Handelt es sich um eine unheilbare Erkrankung wie etwa Arthrose, empfiehlt Bettschart-Wolfensberger die Gabe von starken Schmerzmitteln beim akuten Schub. Zwischendurch sollten nur so viele Schmerzmittel gegeben werden wie nötig, um die Beweglichkeit des Patienten zu erhalten, ohne schlimme Nebenwirkungen wie Magengeschwüre hervorzurufen.

Wer sich nicht ausschliesslich auf die Schulmedizin verlassen möchte, kann die Behandlung mit Haus- oder alternativen Heilmitteln unterstützen. Kälte verringert beispielsweise die Durchblutung und hilft so bei akuten Entzündungen oder Verletzungen. Wärme lockert dagegen verspannte Muskeln und regt die Durchblutung an, sodass die die Entzündung auslösenden Substanzen schneller abtransportiert werden können. Auch Physiotherapie und Akupunktur können die schulmedizinische Behandlung unterstützen. Ganz nach dem Motto: Was dem Menschen guttut, schadet auch dem Pferd nicht.