Die Spanische Hofreitschule in Wien ist die weltweit einzige Institution, wo die klassische Reitkunst in der Tradition der Hohen Schule seit mehr als 450 Jahren unverändert gepflegt wird. Doch wieso ist eine Spanische Reitschule in der Hauptstadt Österreichs zu finden? Der Name hat seinen Ursprung im 16. Jahrhundert. Dann nämlich wuchs Ferdinand I., späterer Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, in Spanien auf und brachte iberische Pferde nach Wien.

Die Lipizzanerhengste, die heute im prunkvollen Reitsaal mit ihren Vorführungen Pferdefreunde aus aller Welt begeistern, sind Nachkommen dieser spanischen Pferde. Die Rasse entstand aus einer Kreuzung von spanischen mit arabischen und Berberpferden. Sie dürfen als älteste Kulturpferderasse ganz Europas bezeichnet werden. Ursprünglich war die Reitschule mitten im Palastkomplex der Ausbildung des Jungadels vorbehalten. In der Hofreitschule erhielt die kaiserliche Jugend Unterricht und Übung, vermittelt wurden Reitlektionen für den militärischen Gebrauch.

Heute sieht in der traditionsreichen Institution das meiste noch genau gleich aus wie damals, ein Hauch Modernität hielt jedoch Einzug. So durften sich 2008 erstmals auch Frauen den kaffeebraunen Frack der Reituniform überziehen und eine Ausbildung zur Bereiterin in Angriff nehmen. Momentan sind drei Oberbereiter, neun Bereiterinnen und Bereiter, drei Bereiteranwärterinnen und Bereiteranwärter, zwei Elevinnen und drei Lehrlinge sowie 20 Pferdepfleger um das Wohl der edlen Pferde besorgt.

Daneben dürfen auch die zahlreichen Personen, die Eintrittstickets für die Morgentrainings und Vorführungen verkaufen oder Rundgänge sowie Architekturführungen durch die historischen Gebäulichkeiten anbieten, nicht vergessen werden. Die zwischen 1729 bis 1735 erbaute Winterreitschule ist ein Schmuckstück. Wenn die imposanten Hengste im mit riesigen Kronleuchtern behängten, mit Stuckaturen und hohen Pilastern ausgeschmückten Saal zu klassischer Musik tanzen, verschlägt es auch manch einem Pferdebanausen den Atem.

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Nur die Besten in Wien

Bis Pferd und Reiter sich an einer Vorführung der Schulquadrille präsentieren können, ist der Ausbildungsweg allerdings lang und fordert viel Durchhaltewillen und Können. «Eine grosse Liebe zum Pferd allein reicht nicht aus, um bei der Bewerbung an der Hofreitschule zu reüssieren. Grosses Reittalent muss auch vorhanden sein», weiss Rudolf Rostek. Er ist als Oberbereiter ganz oben an der streng strukturierten Ausbildungsskala angelangt.

Diese beginnt mit der Lehre zum Pferdewirtschaftsfacharbeiter und kann, bei entsprechendem reiterlichem Können, als sogenannter Eleve fortgesetzt werden. Es dauert ungefähr weitere drei Jahre, bis der Sprung vom Eleven zum Bereiteranwärter gemeistert wird. Die Bereiteranwärter bekommen nun einen jungen Hengst in ihre Obhut, den sie selbstständig so weit ausbilden, bis beide – Pferd und Reiterin – ihr Können vor Publikum im Zuge einer Vorführung darzubieten vermögen.

Auch bei den Vierbeinern dürfen nur die besten das Tor zur Hofreitschule durchschreiten. Im Gestüt Piber in der Weststeiermark verbringen die Lipizzaner, die übrigens schwarz geboren werden und erst im Verlauf der Jahre das perlweisse Fellkleid bekommen, ihre Kinderjahre.

Nur die besten der dreieinhalb- bis vierjährigen Hengste werden für die Spanische Hofreitschule ausgewählt. Neben den 70 weissen Hengsten ist immer ein dunkelbrauner Lipizzaner als Glücksbringer in den Stallungen der Hofburg einquartiert. Stuten sind keine in Wien, weil es kaum möglich ist, auf dem engen Raum Hengste und Stuten gemeinsam zu halten und zu trainieren. Und Wallache sind keine anzutreffen, weil mit den hervorragenden Pferden, die es bis an die Hofreitschule schaffen, gezüchtet wird, erklärt Rudolf Rostek.

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Hohe Kunst der Dressur

Fast jeden Morgen gibt es die Möglichkeit, die Dressurarbeit der Lipizzaner und ihrer Reiter zu verfolgen. In der Reitbahn wird die Geschmeidigkeit, Gehorsamkeit, Durchlässigkeit und Ruhe der Pferde immer weiter verbessert. An diesen Grundlagen klassischer Reitkunst hat sich auch die moderne Reiterei orientiert. «Wir fokussieren darauf, unsere Pferde zu gymnastizieren, und das Ziel ist es, die schwierigen, versammelnden Übungen so aussehen zu lassen, als wären sie federleicht», so Oberbereiter Rostek.

Darin liegt das Talent der Lipizzaner, somit ist das Piaffieren (Trab auf der Stelle) und Passagieren (Trab in verzögerten Tritten) ihre Stärke. Die berühmten Schulsprünge, die Levade, Courbette und Kapriole, beherrschen allerdings nur wenige, besonders talentierte Hengste. Etwa sechs Jahre dauert es, bis ein Hengst in der Quadrille eingesetzt werden kann. Es ist der Hengst, der die Ausbildungsdauer bestimmt.

Wer viel arbeitet, muss auch ausspannen dürfen. Das können die Hengste der Spanischen Hofreitschule auf dem Heldenberg, rund 60 Kilometer ausserhalb Wiens. Im Trainingszentrum können sich die Pferde während der Sommerpause bei Ausritten erholen und die pensionierten Lipizzaner geniessen ihren Lebensabend auf grossen Weiden. «Hier werden auch unsere Jungpferde angeritten», erklärt Rudolf Rostek.

Genau wie das 1798 gegründete Gestüt Piber, wo die Lipizzaner traditionellerweise seit 1920 für die Spanische Hofreitschule gezüchtet werden, steht auch der Heldenberg für Besuche offen. Bei einer Reise nach Österreich lassen sich also alle Facetten der tanzenden weissen Hengste erleben. Und wer sich bis über beide Ohren in die Lipizzaner verliebt hat, findet in Piber sogar einen neuen Sport- oder Freizeitpartner. Pferdeliebhaber queer durchs Band interessieren sich für die Lipizzaner, Freizeit- und Dressurreiter, aber auch viele Fahrsportler. «Erst kürzlich haben wir Pferde nach Costa Rica oder in die USA verkauft», verrät Rostek.

Lipizzaner live erleben
Spanische Hofreitschule in Wien:
Hier können Trainingseinheiten und Vorführungen sowie Rundgänge durch die historischen Gebäude besucht werden.
srs.at
Gestüt Piber:
Das Lipizzanergestüt kann mit einem Tageseintritt auf eigene Faust besichtigt werden. Wissenswertes über die Pferde und die Geschichte des Gestüts erfährt man an einer Führung.
piber.com
Trainingszentrum Heldenberg:
Der Ausbildungsstandort und Sommerquartier der Hengste ist immer einen Ausflug wert. Oft finden dort auch Seminare oder Theorielehrgänge im Zusammenhang mit Pferden statt.
srs.at/heldenberg