Wilde Beeren für jeden Geschmack
Im Zürcher Weinland wachsen nicht nur Trauben, sondern ein Haufen Beeren in allen Farben und Formen. Auf dem Räss Wildbeerenhof findet man von Himbeeren über Stachelbeeren bis hin zu Exoten wie Goji und Aronia alles, was Herz und Gaumen begehren.
Süss, sauer, erfrischend oder leicht bitter – welche Art von Beere darf es denn sein? Wer über das Land der Familie Räss schlendert, hat die Qual der Wahl. Wo früher Kartoffeln wuchsen, schiessen heute Beerenkulturen aller Art aus dem Boden. Mit den ersten Erdbeeren im April bis zu den letzten Himbeeren im späten November gibt es hier ständig etwas zu naschen. Das Herzstück des Hofes sind Spezialkulturen wie Aronia, Goji, Maibeeren oder Felsenbirnen. Letztere haben es Mitinhaber Simon Räss besonders angetan. «Die Felsenbirne ist sehr süss und in wilder Form in der ganzen Schweiz zu finden», schwärmt der hochgewachsene Landwirt. «Wie der Name schon sagt, ähnelt der Geschmack einer Birne, mich erinnert sie aber immer auch etwas an Amaretto», sagt er mit einem Grinsen. Die Faszination für ausgefallene Sorten ist dem studierten Betriebswissenschafter leicht anzusehen. Kein Wunder, fand er gemeinsam mit Bruder Christoph den Mut, den elterlichen Betrieb 2015 komplett auf eine hochmoderne Obstproduktion auszurichten.
Dank Selbstvermarktung den Nischen treu
Auf die Idee der Beerenkulturen kamen die Brüder dank Christophs Partnerin Michelle Schumann. Als gelernte Drogistin wusste sie um die wertvollen Inhaltsstoffe von Aronia und die Nachfrage für heimische Produktion. Nach einer vertieften Marktanalyse, die ihre Chancen in der Branche bestätigten, fassten sich die Gebrüder Räss samt Partnerin Michelle ein Herz und starteten mit den ersten Wildbeerenkulturen. Was dabei den entscheidenden Schub gegeben haben dürfte, verrät Simon Räss ohne Umschweife: «Wir sind alle drei riesige Beerenfans!» Doch wie es eben so ist, klappte für die Neulinge trotz viel Herzblut nicht alles gleich auf Anhieb. «Wir hatten praktisch keine Berater», erinnert sich Räss. «Das liegt auch daran, dass viele unserer Kulturen in der Schweiz kaum angebaut werden.»
Ein Paradebeispiel ist hier die Gojibeere. Als erster Schweizer Betrieb überhaupt traute sich der Räss Wildbeerenhof an die in Asien beheimatete Frucht heran, wo sie eine lange Tradition als Nahrungsmittel und Heilpflanze innehat. Doch was auf dem Papier gut klang, stellte sich als zu optimistisch heraus. «Die Ernte der Gojibeere ist so zeitaufwendig, dass sie mit der ganzen Pflegearbeit und der Vermarktung extrem teuer wurde», erklärt Simon Räss. «So entschieden wir, die rund eine Hektare grosse Anbaufläche auf 10 Aren runterzuschrauben und die restliche Ernte selbst zu vermarkten.» Eine Massnahme, die sich auch bei anderen Nischenprodukten wie Sanddorn, Stachelbeeren, Felsenbirnen und Maibeeren bewährte. «Vor drei Jahren mussten wir viel korrigieren, um endlich schwarze Zahlen zu schreiben», erzählt Räss. Neben einer aufpolierten Selbstvermarktung hiess das, verstärkt auf traditionelle Sorten wie Himbeeren und Erdbeeren zu setzen. Dies nicht etwa, weil sie weniger aufwendig wären im Anbau. Die Nachfrage ist schlicht grösser und damit der Anbau lohnenswerter. Der angepasste Plan ging auf. «Heute geht es uns gut bis sehr gut», sagt Räss strahlend. «Damit haben wir genügend Mittel, um die Spezialkulturen weiter anzubauen».
Landwirtschaft mit Weitblick
Experimentierfreudig ist das Unternehmer-Trio nicht nur in Sachen Beeren, sondern auch bei anderen Produktionszweigen. Nebst diversen Obstbäumen gehört auch eine grosse Weintraubenanlage zum Betrieb. Doch wer hier nach bekannten Sorten wie Sauvignon oder Riesling-Silvaner Ausschau hält, sucht vergeblich. Stattdessen prägen spezielle pilzwiderstandsfähige Sorten – auch Piwi genannt – das Bild. «Mit herkömmlichen Sorten müssten auch wir als Biobetrieb viel zu viel spritzen», sagt Simon Räss. Er reisst ein paar Blätter ab und zeigt die verwachsenen Stellen. «Diese Sorten bekommen auch Pilze, aber sie wehren sich selbst dagegen und nehmen keinen Schaden», erklärt er. Da die Traubensorten noch sehr unbekannt sind, sei es allerdings nicht ganz einfach, den Wein unter die Leute zu bringen. «Manche haben noch nicht mal einen Namen, sondern nur eine Nummer», sagt Räss und lacht. «Doch das ist es wert. Vor allem bei diesem unbeständigen Wetter sind wir sehr froh um unsere pilzresistenten Sorten.»
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Das Wetter ist denn auch die grösste Sorge des Landwirtes, wenn er in die Zukunft schaut. «Da wir extrem abhängig von den Witterungen sind, beunruhigt es uns schon, wenn es wochenlang nicht regnet und dann einfach nur noch schüttet», so Räss. Was ihn als Co-Chef von einigen Dutzend Menschen ebenfalls beschäftigt, ist der aktuelle Fachkräftemangel. «Es ist bedenklich, wie wenig Fachleute, aber auch einfache Erntehelfer auf dem Markt zu finden sind», so Räss. «Zum Glück dürfen wir auf viele langjährige Mitarbeitende zählen, was sehr viel Spass macht», betont er.
Multikulti im Zürcher Weinland
Während der Erntespitzen im Hochsommer wuseln auf dem Wildbeerenhof bis zu 70 Angestellte der unterschiedlichsten Nationen umher. Für Festangestellte ist das gemeinsame Mittagessen auf dem Hof Pflicht. «Einerseits stellen wir so sicher, dass die Leute richtig essen, damit sie auch fit für die Arbeit sind», erklärt Simon Räss. «Andererseits möchten wir damit auch was zur Integration beitragen. Denn als Biohof verstehen wir uns als soziales Unternehmen.» Hierzu gehört auch ein gesichertes Einkommen. «Wenn eine Ernte früher zu Ende ist als geplant, zahlen wir den Lohn trotzdem aus und beschäftigen die Leute anderweitig», erklärt Räss. Genug zu tun gibt es immer. Sogar im Winter werden 20 Angestellte auf dem Wildbeerenhof beschäftigt; sie kümmern sich um Reparatur- und Schneidarbeiten. Übers ganze Jahr hinweg macht das im Durchschnitt 40 Vollzeitstellen. Und wenn man die wertvollen Nützlinge dazuzählen würde, wären es noch einige mehr.
Pilzbefallene Hummeln als Nützlinge
Zur ausgeklügelten Strategie der Biobauern gehört auch, Pflanzenschutz zu delegieren, wo nur möglich. So werden Raubmilben gegen Spinnmilben eingesetzt, Schwebfliegenlarven gegen Läuse und Hummeln gegen Pilze. Letzteres funktioniert auf eine besonders ausgefuchste Art und Weise: «Wir schicken die Hummeln durch einen Kasten, wobei ein Pilz an ihren Beinchen klebenbleibt», erklärt Simon Räss. «Diesen bringen sie dann auf die Blüten, wo sich in der Folge keine schädlichen Pilze mehr breitmachen können.»
Die Ideen gehen nicht aus
Nach den turbulenten Anfangsjahren ist auf dem Wildbeerenhof etwas Ruhe eingekehrt. Doch die unternehmungslustigen Räss-Brüder stehen immer mit einem Fuss in der Zukunft. Schon vor drei Jahren begannen sie mit der Planung einer Agri-Solaranlage. Die Idee dahinter: sämtliche Obstanlagen, die ohnehin gedeckt sind, mit Photovoltaik auszustatten und damit Strom zu produzieren. «Auf unserer grossen Anlage könnten wir schätzungsweise zwei Gigawattstunden Strom produzieren», so Räss. Trotz enormen bürokratischen Hürden bleibt er optimistisch: «Wir hoffen, dass wir bis in zwei Jahren mit dem Bau beginnen können.»
Waschechte Wildbeeren
2015 startete der Betrieb Räss Wildbeeren mit dem Fokus auf Beerensorten, die genau so noch in ihrer Wildform vorkommen. Noch immer werden die folgenden drei Beeren auf dem Hof kultiviert, wenn auch auf reduzierter Fläche:
Aronia
Der bis zu drei Meter hohe Aronia-Strauch blüht von Mai bis Juli in strahlendem Weiss. Von August bis Oktober können die kleinen, schwarzblauen Beeren geerntet werden, die an Heidelbeeren erinnern. Roh schmecken sie leicht süss und etwas säuerlich-herb. Aufgrund ihrer zahlreichen Vitamine und der besten antioxidativen Wirkung in der Welt der Früchte, gilt die eisenhaltige Beere als regelrechtes Superfood.
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Felsenbirnen
Sie sind eng verwandt mit Birnen und schmecken auch ein bisschen so. Nebst ihrem saftig-süssen Geschmack wird ihr aber auch eine dezente Marzipan-Note nachgesagt. Dieser verdankt sie ihr Übername «Pralinenbaum». Von aussen wirken die rosafarbene bis violette Felsenbirne jedoch wie eine typische Beere, die an den heimischen Sträuchern in Hülle und Fülle wächst.
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Sanddorn
Im Herbst ist dieser hochgewachsene Strauch reich bestückt mit orangefarbenen Früchten. Sie ist zwar sehr sauer, enthält aber mehr Vitamin C als Orangen und Zitronen. Auf dem Räss Wildbeerenhof wird das Obst für die industrielle Weiterverarbeitung angebaut.
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Das wächst auf dem Räss Wildbeerenhof:
- Tafelbeeren für den Direktkonsum: Erdbeer, Himbeer, Brombeer, Heidelbeer, Johannisbeer (rot und weiss), Stachelbeer (rot und grün), Jostabeer, Maibeer und Felsenbirnen
- Verarbeitungsbeeren für Saft oder Konzentrat: Cassis, Aronia, Johannisbeer (rot), Stachelbeer (grün) und Sanddorn
- Medizinalpflanzen: Cassis, Himbeer und Brombeer
- Weitere Früchte: Wein- und Tafeltrauben, Quitten, Birnen, Kirschen und Zwetschgen
- Baumschule: Himbeerpflanzen
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