Eines gleich vorweg: Der Titel dieses neuen Buches – «Die Mäuse und ihre Verwandten» – ist etwas irreführend. Das kürzlich im Berner Haupt Verlag erschienene Werk befasst sich nämlich nicht nur mit Mäusen und anderen Nagetieren, sondern widmet sich zu gleichen Teilen einer anderen Gruppe von Kleinsäugern: den Insektenfressern. Und diese sind mit den Nagetieren nur entfernt verwandt.

Nichtsdestotrotz nennt man einige Mitglieder dieser Ordnung im Volksmund Spitzmäuse. Ebenfalls zu den in der Schweiz heimischen Insektenfressern gehören die Maulwürfe und die Igel. Gleich zu Beginn erklärt der Autor Jürg Paul Müller, warum die Spitzmäuse eben keine Mäuse sind. Das einzige gemeinsame Merkmal, so schreibt er, ist die geringe Körpergrösse. Ansonsten haben Spitzmäuse kleine, scharfe Zähne, mit denen sie ihre Insekten-Beute verzehren. Sie sind gewissermassen «Raubtiere im Mini-Format», während die Nagetiere grösstenteils Vegetarier sind und ihre stets nachwachsenden Zähne durch ständiges Nagen in Form halten müssen.

Mäuse sehen nicht rot
Der Biologe Jürg Paul Müller gehört zu den führenden Experten für Kleinsäuger in der Schweiz. Er leitete zudem während fast 40 Jahren das Bündner Naturmuseum in Chur. Müllers riesiger Erfahrungsschatz spricht aus jedem Satz seines Buches. Nicht nur zeigt er die Vielfalt der heimischen Nager und Insektenfresser auf, sondern beleuchtet auch die verschiedenen Facetten ihrer Lebensweise. Und da gibt es einiges Spannendes zu entdecken, denn während man vielleicht öfter mal eine Hausmaus an einem Bahnhof über die Geleise huschen sieht oder am Hafen eine Wanderrate erblickt, bekommt man andere Mäuse nur selten zu Gesicht. Zudem haben ausser einem Igel die Meisten wahrscheinlich noch nie einen Insektenfresser gesehen.

Im Buch erfährt man nun aber, dass viele Spitzmausarten und auch Maulwürfe einen äusserst feinen Geruchssinn haben und sich mittels Duft-Botschaften alles mögliche mitteilen können. Oder dass Insektenfresser und Nagetiere Rot und Grün nicht unterscheiden können, da sie die entsprechenden Sehfarbstoffe nicht besitzen. Dafür erscheint ihnen die Nacht nicht schwarz wie uns Menschen, sondern in verschiedenen Abstufungen von Grau.

Grundlage des Ökosystems
Auf die Vor- und Nachteile einer geringen Körpergrösse wird ebenso eingegangen wie auf die Tatsache, dass die Kleinsäuger eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele Fleischfresser und damit eine des ganzen Ökosystems darstellen. Und obwohl sie eigentlich sehr erfolgreiche Gruppen von Säugetieren sind, gibt es unter ihnen auch bedrohte Arten, darunter zum Beispiel die Haselmaus oder der in der Schweiz ausgerottete Feldhamster. Am Ende jedes Kapitels erklärt Müller zudem die biologischen Fachbegriffe.

Dass Mäuse und ihre «Verwandten» also weit mehr sind, als Kulleraugen und herzige runde Öhrchen, weiss man spätestens nach der Lektüre dieses nicht zuletzt durch die Illustrationen von Lea Gredig auch optisch sehr ansprechend und liebevoll gestalteten Buches. Und wenn das nächste Mal eine Maus vorbeiflitzt, sieht man diese sicherlich mit etwas anderen Augen.

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Jürg Paul Müller: «Die Mäuse und ihre Verwandten
– das verborgene Leben der Insektenfresser und Nagetiere»
1. Auflage 2021
gebunden, 192 Seiten
Verlag: Haupt
ca. 39.- Franken
ISBN: 978-3-258-08224-0