Anders als King Kong ist Godzilla zoologisch schwer einzuordnen. Stammesgeschichtlich handelt es sich wohl um eine krude Kreuzung aus Riesenechse, Märchendrachen und Tyrannosaurus Rex; sprachgeschichtlich ist Godzilla (japanisch gojira) ein Zwitter aus Gorilla (gorira) und Wal (kujira).

Filmhistorisch ist das 1954 durch Atomtests aus seinem Tiefseeschlaf geweckte Monster jedenfalls ein Geschöpf japanischer Traumata: Die Schrecken der Atombombenabwürfe der USA auf Hiroshima und Nagasaki lagen damals noch nicht einmal zehn Jahre zurück. Im Kalten Krieg drängte allerlei radioaktiv verstrahltes Getier von der Monsterspinne bis zur Riesenameise aus den Laboren verrückter Wissenschaftler oder aus den Tiefen des Weltalls in die Kinos: Godzilla war der mit Abstand grösste und gefährlichste Mutant und spezifisch japanisch.

Ein Pionier der Antiatom-Bewegung
Wenn der kürzlich angelaufene Godzilla-Film des britischen Regisseurs Gareth Edwards relativ frisch und authentisch wirkt, liegt das nicht nur an den Fortschritten digitaler 3-D-Tricktechnik: Fukushima hat der alten Angst vor der Atomkraft neue Nahrung gegeben.

Godzilla ist meist ein hochhausgrosses, metallisch fiependes Trampeltier, das hell-blaue radioaktive Strahlen schnaubt und mit seinem Feueratem und seinem Schwanz Züge, Düsenjäger und ganze Strassenzüge wie Spielzeug durch die Luft wirbelt, hat aber im Gegensatz zu seinem Vetter King Kong keinerlei sexuellen Appetit. Mit Frauenraub und Kettensprengen hält das Wesen sich gar nicht erst auf: Sein Ziel ist die Zerstörung der gesamten zivilisierten Welt. Godzilla ist die Rache der Natur am Allmachtswahn des Menschen – und einer der Pioniere der Antiatom-Bewegung.

Ermuntert vom Erfolg von Eugène Louriés US-Film «The Beast from 20 000 Fathoms» («Panik in New York», 1953), entstand in den Toho-Studios schon ein Jahr später ein japanisches Remake. Eiji Tsuburaya, der Toho-Trickspezialist, dachte an eine Riesenkrake, aber der Produzent setzte sich durch: Ein geschuppter Drache verbreitet nun einmal mehr Angst und Schrecken als eine aufgequollene Qualle. Im Gegensatz zum tricktechnisch reanimierten US-Godzilla steckte in dem Toho-Billigmonster noch ehrliche Handarbeit: Schauspieler schlüpften in hundert Pfund schwere Gummikostüme und zerstampften Modellstädte aus Pappe. Godzillas Schwanz wurde mit Drähten bewegt; bei manchen Szenen kamen noch Handpuppen zum Einsatz.

Der Ur-«Godzilla» war dennoch ein erstaunlich gut gemachter, düsterer Katastrophenfilm für Erwachsene und weltweit ein Kassenknüller, der förmlich nach Neuverfilmungen schrie. So entstanden bis 2004 insgesamt 28 Godzilla-Filme mit so aberwitzigen (deutschen) Titeln wie «Frankensteins Monster jagen Godzillas Sohn». Godzilla selbst kämpfte mit Herausforderern vom Igeldrachen Anguirus bis Zilla, dem Hollywood-Godzilla von Roland Emmerich (der 2004 in «Final Wars» vom japanischen Original in den Boden gestampft wurde). Er besiegte Flug-saurier und Frankenstein, King Kong, Cyborgs und Aliens, einen Riesenkrebs und eine Riesenspinne Kumonga, bekam Kinder und Ableger wie Mozilla und Bugzilla.

Maskottchen und Schutzpatron Japans
In den 1970er-Jahren hatte er aber bereits seinen Schrecken und seine Kraft verloren. Seine Gegner waren jetzt drollige Riesenmotten wie Mothra und das Umweltschwein Hedora. Der erzböse Zerstörer war zum Kinderfreund, zum Maskottchen und Schutzpatron Japans mutiert: Ein Mythos aus der Rumpelkammer des Trashfilms, der in Mangas und Popsongs gefeiert wurde.

Der neueste Godzilla-Film ist natürlich der grösste und teuerste aller Zeiten, aber wie so oft sind die Menschen nur ohnmächtige Zuschauer, wenn der echte Godzilla zum Endkampf antritt; Rivalen sind in diesem Fall ein «Muto»-Pärchen, das in Atomkraftwerken nistet und Nuklearsprengköpfe frühstückt. Der Mensch brütet immer neue Monstrositäten aus, der Gorillawal aus der Puppenkiste ist nicht totzukriegen.

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