Mythologie vs. Biologie
Engel im Sturzflug
Viele Kreaturen aus Sagen und Mythen tragen Flügel. Engel solche mit Federn, Drachen ähneln Fledermäusen und Feen sind eigentlich Schmetterlinge mit Menschenkörpern. Doch könnten diese Gestalten wirklich fliegen?
Engel, Drachen, Feen: Übersinnliche Wesen aus einer anderen Welt beschäftigen den Menschen schon seit Jahrtausenden, überall auf der Welt. Das Mystische an ihnen scheint uns irgendwie zu faszinieren, sie sind anders als alles Irdische, aber trotzdem basieren unsere Vorstellungen von ihnen auf uns bekannten Elementen.
Was Engel, Drachen und Feen gemeinsam haben: Sie können alle fliegen. In Schriften und Malerei werden sie allesamt mit Flügeln dargestellt, jedoch mit ganz unterschiedlichen. Der Biologieprofessor Roger S. Wotton vom University College in London hat die drei mythologischen Kreaturen untersucht. Und zwar nicht mit einem theologischen oder geisteswissenschaftlichen Ansatz, sondern im Sinne der Naturwissenschaft.
In seiner Publikation, die 2009 im frei zugänglichen Wissenschaftsportal «Opticon1826» veröffentlicht wurde, rupft er die fliegenden Gestalten – Feder um Feder. Er beginnt mit der Frage, wie denn Engel, Drachen und Feen zu ihren Flügeln gekommen sein könnten.
Zwei Gliedmassen zu viel
Engel werden in fast allen Zeichnungen und Malereien und Skulpturen als Menschenähnliche Wesen dargestellt: Zwei Beine, zwei Arme. Plus zwei Flügel. In der Regel sind das laut Wotton Flügel, die denjenigen von Vögeln ähneln: weiss und gefiedert. Diese wachsen den Engeln in aller Regel aus dem Rücken. Nun fragt er rhetorisch, wie diese Flügel denn entstanden sein könnten. Sein erster Einwand: Jeder bisher bekannte Vogel besitzt nur zwei Paar Gliedmassen – Beine und Arme, die zu Flügeln umfunktioniert wurden. Engel aber haben offensichtlich sechs Gliedmassen. Keine gewöhnlichen Vögel also.
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Gängige Darstellung eines Drachen auf der Flagge von Wales. Bild: Gemeinfrei |
Ähnlich sieht es laut Wotton bei den Drachen aus. Während das Fabelwesen in der asiatischen Kultur eher an einen Wurm erinnert und keine Flügel trägt, hat der «Westliche Drache», wie ihn der Biologe nennt, vier Beine und zwei Flügel. Aber nicht etwa Vogel-Flügel wie Engel, sondern Flügel, die mit Haut bespannt sind. Ähnlich denjenigen von Fledermäusen. Wotton vergleicht die Drachenflügel ausserdem mit dem Pterosaurus, einem Urzeit-Vogel.
Feen als Insekten
Die dritte Flügelform ist bei den Feen zu finden. Der Biologie-Professor sieht in ihnen etwas Insektenartiges. Feenflügel seien von Libellen oder Schmetterlingen geborgt. Hier scheint der biologische Vergleich aufzugehen, schliesslich haben Libellen neben drei Beinpaaren gleich zwei Flügelpaare. Sind die Feen also biologisch plausibel?
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Eine Fee mit Schmetterlingsflügeln. |
Der Biologe zweifelt daran. Er besinnt sich in seiner Publikation darauf, wie Insekten ihre Flügel ausbilden, nämlich in einem Larven- oder Puppenstadium. Und «es gibt keine Illustrationen von Feen-Larven, die uns weiterhelfen könnten». Doch dieser Einwand reicht noch nicht aus, um Feen als biologisch unmöglich abzutun. Wotton geht auf die Anatomie des Fluges ein. «Feen», so schreibt er, «haben wohl einen sehr komplexen Flugmechanismus». Jeder Flügelschlag hätte zur Folge, dass der ganze Oberkörper der Fee sich derart verkrümmen würde, wie es nur mit einem insektenhaften Exoskelett möglich wäre, also einem «Aussengerüst», nicht aber mit einem menschlichen Körperbau mit Fleisch und Knochen.
Bei den Drachen sieht Wotton ebenfalls schwarz, was ihre Flugfähigkeit angeht, mal ganz von der Entstehung der Flügel abgesehen. Aufgrund der anatomisch möglichen Muskelverteilung sei auszuschliessen, dass Drachen sich mit Flügelschlägen in die Luft erheben können. Vielmehr sei es möglich, dass die Sagengestalten einen Gleitflug hinlegen könnten. Ähnlich wie Flughörnchen, die auf Bäume klettern und dann mit einer Art «Wingsuit», einer Hautschicht zwischen den gespreizten Beinen von Baum zu Baum gleiten können. Allerdings, fügt Wotton trocken an, «ist es kaum vorstellbar, dass Drachen auf Bäume klettern».
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Eine Puttenfigur, hier als Liebesgott «Amor, eine Glaskugel haltend». Bild: Cesar van Everdingen (um 1650). |
Zu dick zum Fliegen
Bleiben die Engel. Bei denen sieht es laut dem Professoren nicht besser aus. Anstatt eine Gewichtsreduktion zugunsten des Flugapparates und der Aerodynamik auszubilden, habe die Evolution bei Engeln eher das Gegenteil verursacht. Man denke an die Puttenfiguren, diese nackten, dicklichen Baby-Engel, die in der Malerei immer ein beliebtes Sujet sind. Mit einer solchen Körpermasse sei ans Fliegen gar nicht zu denken.
Ginge es nach dem Biologen, könnten Engel mit ihren Vogelflügeln nur in die Luft gelangen, wenn ein starker Windstoss sie nach oben wuchten würde – ein so starker Windstoss, dass sie auch ohne Flügel quer durch die Landschaft geschleudert würden.
Nun, das Ziel des Londoner Professors war es nicht, der Menschheit ihren Glauben an Engel, Drachen oder Feen zu verderben. Aber er ist halt Biologe. Und Biologen befassen sich mit Dingen wie Anatomie, Evolution und Aerodynamik. Also kommt er zum Schluss: Engel können nicht Fliegen. Drachen höchstens gleiten. Und für Feen wäre ein Flug zumindest ganz schön schmerzhaft.
Trotzdem ergeben Flügel einen Sinn
Übrigens klärt Wotton sein Publikum auch noch darüber auf, weshalb denn so viele mythologische Gestalten Flügel tragen, auch wenn sie biologisch gar nicht in der Lage zu fliegen sind. Der Biologe als Theologe und Philosoph. Und seine Erklärung ist einleuchtend: Diese fliegenden Kreaturen seien ein Bindeglied zwischen dieser und einer anderen Welt. Sie müssen also flugfähig sein, um diese andere Welt zu erreichen, oder zumindest, um sie schneller zu erreichen.
Nun mussten diese Gestalten also irgendwie visualisiert werden. Ob nun der in Stein gemeisselte Engel an der Kirchenwand oder der im Fantasybuch beschriebene Drache, das (geistige) Auge will sich ein Bild davon machen. Und was verbinden wir mit flugfähigen Geschöpfen? Flügel. Und deshalb verwendet der Mensch seit Jahrtausenden das Bekannte, um das Unerklärliche zu erklären – auch wenn es biologisch gesehen nicht ganz wasserdicht ist.
Originalpublikation:
Wotton, R.S. 2009. Angels, Putti, Dragons and Fairies: Believing the Impossible. Opticon1826 (7),
DOI:http://dx.doi.org/10.5334/opt.070906
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