Was er weiss, geht auf keinen Schildkrötenpanzer: Alexander Lauterwasser hat ein ungeheures Wissen über sein Lieblingstier angehäuft und versucht es in seinem Buch «Das Geheimnis der Schildkröte» an den Leser zu bringen.

In Form eines Erlebnisberichts geht er der Geschichte des gepanzerten Tieres auf den Grund. Er begegnet einer Griechischen Landschildkröte namens Maja, die ihn nach und nach in ihre Welt entführt und ihm ihre Geheimnisse – und die ihrer Ahnen – offenbart.

Ein 400-seitiges Opus

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Das abstrakte chinesische Schriftzeichen für die Schildkröte (oben) entstand
nach und nach aus der realistischen Strichzeichnung des Tieres. 

Die Tatsache, dass es sich bei seinem Werk nicht um ein Sachbuch handelt, ist die Stärke von «Das Geheimnis der Schildkröte». Es ist aber auch seine Schwäche. Auf der einen Seite lässt Lauterwasser seine Leserschaft richtig tief eintauchen in seine Welt voller Mythen und Fakten, ohne trocken zu werden. So verbindet er interessante Themen, ohne den Lesefluss zu brechen, erklärt, zwischen wissenschaftlichen Fakten zur Anatomie der Schildkröte, wie das chinesische Schriftzeichen «Gui», das für die Schildkröte steht, entstand.

Auf der anderen Seite fehlt genau dadurch eine Struktur. Will der Leser etwas konktetes Wissen, wird er die Antwort zwar zweifellos finden, nur muss er sich unter Umständen erst durch das 400-seitige Opus kämpfen. Nichtsdestotrotz: Sachbücher gibt es genug, das Werk muss sich als Alternative verstehen. Als Alternative, die vermutlich sämtliche Textpassagen über die Schildkröte in sich vereint, die je von grossen Autoren und Denkern niedergeschrieben wurden. Von Michael Ende über Goethe bis hin zu Plato sind sie alle versammelt.

Fakt oder Fiktion?
Auch Lauterwasser mischt sich in den heiteren Reigen der grossen Geister ein. Er baut seine Luft- und Wasserschlösser und stellt sie auf das solide Fundament des Schildkrötenpanzers. So erläutert er mittels verlässlicher Quellen Schöpfungsgeschichten, die eng mit der Schildkröte verknüpft sind und ergänzt sie mit seinen eigenen Gedanken, die dem Tier eine beinahe göttliche Aura zu verleihen versuchen.

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In vielen Schöpfungsmythen steht der Rücken der Schildkröte
als Sinnbild für die Erdoberfläche.

Wenn ihm auch niemand die fachliche Kompetenz abzustreiten vermag, wandelt Lauterwasser auf einem schmalen Grat, wenn er etwa hervorhebt, wie bedeutend es ist, dass sich zwischen den Panzerplatten einer Schildkröte jeder Buchstabe des Alphabets abbilden lässt. Solche Exkurse sind interessant, doch sie schmälern die Bedeutung der uralten Mythen über das Wesen der Schildkröte.

Die Krux der Realität
Lauterwassers Problem scheint zu sein, dass die Schildkröte ein real existierendes Tier ist: Jeder darf sich erlauben, über Einhörner, Greifen oder Basilisken zu fabulieren, wer aber eine sprechende Schildkröte in seinem Werk auftreten lässt, muss sich der drohenden Skepsis der Leserschaft bewusst sein und sich die Frage stellen: «Schreibe ich über Fakten oder ist das Fantasy?»

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Alexander Lauterwasser: «Das Geheimnis der Schildkröte», gebunden,
424 Seiten, Verlag: AT, ISBN: 978-3-03800-477-6, Fr. 74.90

Alles in allem ist «Das Geheimnis der Schildkröte» allerdings ein erfrischend anderes Buch über ein allerseits bekanntes, doch überraschend tiefgründiges Tier, das der Autor mit vielen schönen Fotografien aus seiner eigenen Kamera und mit interessanten Skizzen und Grafiken versehen hat. Es ist ein Buch zum Schmökern. Ein lehrreiches Lesebuch, oder eben ein fantasievolles Sachbuch, je nach dem, wie der Leser entscheidet.

Illustrationen: © aus dem Buch Das Geheimnis der Schildkröte, Alexander Lauterwasser, AT Verlag / www.at-verlag.ch