Mitch ist vergnügt. Übermütig planscht der sechsjährige Sheltie im kleinen Bach am Rande der Panzerpiste am Flughafen Zürich. Wenn er sich schüttelt, stieben die Wassertropfen in alle Richtungen und funkeln in der Frühlingssonne. Derweil ruhen seine Artgenossen, der 14-jährige Jet, der elfjährige Mylo und die zweijährige Bordercollie-Hündin Sia, am Ufer. 

Claudia Schwab blinzelt im gleissenden Licht. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, ihre Hunde lässt sie dabei nicht aus den Augen. Doch das Lächeln vermag nicht zu verbergen, dass sie besorgt ist: «Normalerweise würde ich jetzt Agility unterrichten», sagt die 30-Jährige beim Treffen, das unter korrektem Social-Distancing stattfindet. Wegen der Coronakrise ist die Halle, in der Schwab üblicherweise mit ihren Hunden trainiert, zurzeit geschlossen. Sämtliche Agility-Lektionen fallen aus. 

Zehn Kilometer – bei jedem Wetter
Das Lehren macht zwar nur einen geringen Teil ihres Einkommens aus, ihren Lebensunterhalt verdient die Zürcherin hauptsächlich als kaufmännische Angestellte. Doch Agility sei für sie eben eine Herzensangelegenheit und ein wichtiger Ausgleich zur Arbeit im Büro. Und neben den Trainings mit ihren eigenen Hunden freue sie sich mittlerweile auf jede Unterrichtseinheit mit ihren Schülern.

Claudia Schwab über ihre Liebe zu Agility

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Das war nicht immer so. «Vor der ersten Stunde war ich nervös», erzählt Schwab. «Ich fragte mich, was ich anderen beibringen kann.» An Anfragen mangelte es nicht nach ihren Siegen an fünf Schweizer Meisterschaften seit 2012 sowie nach dem Titelgewinn an den Europameisterschaften 2016 und 2017. Ihre Bedenken überwand die in Brüttisellen ZH wohnhafte Hundesportlerin erst, als in Winterthur vor drei Jahren die Hundehalle eröffnete. «Ich wollte das Unterrichten ausprobieren und schrieb Stunden auf Facebook aus. Sie waren in kurzer Zeit ausgebucht.» Bereits nach der ersten Lektion sei die Nervosität verflogen. 

Ihre Handvoll Schüler gehören mittlerweile zu ihren Freunden. Mit ihnen und anderen Bekannten aus der Agility-Szene unternimmt Schwab täglich ausgedehnte Spaziergänge, natürlich immer mit den Hunden. Eine Stunde am Morgen vor der Arbeit, eine weitere nach Feierabend, acht bis zehn Kilometer sei sie so Tag für Tag unterwegs, bei jedem Wetter. Das sei das Minimum, um für die eigenen Wettkämpfe fit zu sein. Hinzu kommen regelmässige Agility-Trainingseinheiten. Wer mit ihr zusammen sein will, muss Verständnis für ihre Leidenschaft aufbringen, und er muss Hunde mögen. Ihnen widmet sie – seit dem Ende ihrer letzten Beziehung – nun fast ihre ganze Freizeit.

Um mit Sia und Mitch mithalten zu können, muss ich ziemlich fit sein.

Claudia Schwab

Und so fährt die Agility-Meisterin in krisenfreien Zeiten jedes Wochenende zu Wettkämpfen in der ganzen Schweiz. Immer wieder führt die Reise zudem ins Ausland, an internationale Meisterschaften, etwa nach Tschechien, Schweden und Finnland. Wenn immer möglich, begleiten sie ihre Eltern. «Sie sind extrem stolz auf mich und unterstützen mich, wo immer sie können», erzählt Schwab. Kein Wunder, hat sie von ihnen doch die Leidenschaft für den Hundesport. 

Liebe auf den zweiten Blick 
Wie es dazu kam, erzählt sie auf einem Spaziergang, den die drei Shelties und der Bordercollie mit übermütigem, erfreutem Bellen quittieren. Aufgewachsen ist Claudia Schwab mit ihren beiden jüngeren Schwestern in Dübendorf ZH. Im grossen Umschwung des Einfamilienhauses war Platz für Kaninchen, Meerschweinchen und Hühner. Auch eine Katze gehörte zur Familie. Aus dieser Zeit stammt ihre Tierliebe. «Nur vor Hunden hatte ich anfangs Angst», relativiert sie, nickt ihren vier Lieblingen an der Leine zu und kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Das änderte sich erst, als die Eltern 2003 einen Familienhund anschafften und einem kynologischen Verein beitraten. Die dortige Hundetrainerin brachte ihnen den Agility-Hundesport näher. 

Claudia Schwab wird mit Mitch Vierte an der Agility-WM 2018

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Die Faszination war ansteckend, was die Familie rasch vor ein Problem stellte: «Meine Eltern, meine Schwester und ich – alle wollten wir unserem Hund plötzlich etwas beibringen. Doch vier verschiedene Trainer überfordern ein Tier», sagt Schwab. Ein zweiter Hund musste her. 

So kam Jet in ihr Leben. Als der Senior in der Runde seinen Namen hört, schmiegt er sich an die Beine seiner Besitzerin, um nach einem kurzen «Wuff!» weiterzumarschieren. «Ich hatte mir schon immer einen Sheltie gewünscht. Diese Rasse gefällt mir, sie ist für Agility besonders geeignet», erzählt Schwab. Allerdings war es Liebe auf den zweiten Blick: Als sie mit ihrem Vater nach fünf Stunden Fahrt bei einem Züchter in Deutschland ankam, bellte Jet sie an. Das wird wohl nie etwas, dachte sie enttäuscht. Dennoch nahm sie den Kleinen mit, weil er ihr gefiel. «Auf der Rückfahrt schlief er schon auf meinem Schoss und zu Hause wich er nicht mehr von meiner Seite.» Seither haben die beiden unzählige Wettkämpfe miteinander absolviert. 

Die Zukunft ist ungewiss 
Heute darf es Jet gemütlich nehmen. Nur zwischendurch trainiert Schwab mit ihm, wenn er denn mag. Überfordern will sie ihre Hunde nicht. «Das Tierwohl steht an erster Stelle. Ich zwinge meine Hunde zu nichts», sagt sie. Überhaupt suche sie das Rampenlicht nicht, trotz der Titel, die sie geholt hat und der damit verbundenen Medienpräsenz. «Mich reizt an Agility vor allem die Herausforderung, meinen Hunden etwas beizubringen. Zugleich werde ich selber sportlich gefordert.» 

Claudia Schwab und Jet gewinnen an den Schweizermeisterschaften 2012

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Das wird sie, und wie! Schwab deutet mit einem Kopfnicken auf Mitch und Sia an der Leine. Mit den beiden Jüngsten der Gruppe holt sie an den Agility-Wettkämpfen heute die meisten Punkte. «Um ihnen hinterherzukommen, muss ich äusserst fit sein», sagt sie. 

Wann jedoch der nächste Wettkampf stattfindet, steht aufgrund der Corona-Massnahmen in der Sternen. Eine Situation, die der Preisträgerin Sorgen bereitet. Regelmässiges Agility-Training wäre für die Hunde wichtig. Doch die Hallen sind geschlossen. Dabei hatte sie geplant, nächstes Jahr mit Mitch noch einmal an der WM teilzunehmen. «Ewig viel Zeit bleibt uns nicht mehr, er ist ja schon mehr als sechs Jahre alt. Mit zehn ist die intensive Wettkampfzeit meist vorbei.» 

Bis auf der Welt wieder Normalbetrieb einkehrt, wie sie sagt, wird Claudia Schwab ihre Hunde erst einmal weiter täglich auf ausgedehnte Runden mitnehmen, und tagsüber an den Arbeitsplatz: Ihr Chef habe im Garten vor dem Büro extra ein Hundeparadies mit Auslauf und einer geheizten Hütte gebaut.

Immerhin, auf die Spazierrunden werde sie wohl auch bei einer Ausgangssperre nicht verzichten müssen. In Italien etwa ist das Gassigehen mit einem Hund nach wie vor erlaubt. Und sie habe ja gleich vier davon, stellt sie fest, während Mitch, Jet, Sia und Mylo am Ende des Spaziergangs in ihre Boxen hinten im Familienauto hüpfen.