Dexter nimmt Anlauf und springt in die ausgebreiteten Arme von Dean Schneider. Voller Zuneigung leckt der Löwe übers braungebrannte Gesicht des jungen Mannes. Ein Jungtier rennt auf ihn zu und schmiegt sich eng an seinen Körper. «You’re my boy», wiederholt Schneider immer wieder mit liebevoller Stimme und imitiert gekonnt die Laute des jungen Löwen. 

Der Löwenflüsterer lächelt, während er sich das Video auf dem Handybildschirm anschaut. «Dexter war eins der ersten Tiere auf meiner Farm», erzählt er und nimmt das Smartphone noch mal in die Hand, um ein Filmchen von Chuckie, der Hyäne, zu zeigen. «Und das war das erste Wildtier überhaupt, das ich gerettet habe», sagt er mit ein wenig Stolz in der Stimme. Im Film kitzelt er Chuckie am Hals, bis dieser vor Wonne quiekt. Das Video ist keine zwanzig Stunden alt. Der Abschied von seiner tierischen Familie fällt dem Wildtierschützer und Influencer immer schwer. Doch um seine Aufklärungsarbeit voranzutreiben, sind Reisen unerlässlich. 

Tierpfleger als Wunschberuf
Der 26-Jährige möchte am liebsten der ganzen Welt die Schönheit der Tierwelt zeigen und sie für deren Schutz motivieren. Man könnte Stunden damit verbringen, seine Beiträge auf dem sozialen Netzwerk Instagram anzuschauen. Fast 700 sind es schon, und fast eine Million Menschen verfolgen die Abenteuer des Schweizers. 

Eines der «educational videos» von Dean Schneider:

 

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Wer sich seine ersten paar Beiträge anschaut, erkennt Dean Schneider kaum wieder. Auf einem Bild sitzt er geschäftig in Anzug und Krawatte an einem grossen Schreibtisch, das Telefon am Ohr. Auf dem nächsten begleitet er seine Mutter an einen eleganten Anlass. Diese Zeiten hat er hinter sich gelassen. «Anfangs hatten daran nicht alle Freude», sagt er und lächelt. Er war ein blutjunger, aufstrebender Finanzplaner, der seit seinem 20. Lebensjahr eine eigene, erfolgreiche Firma und ein luxuriöses Leben führte. Von heute auf morgen wollte er all das aufgeben, um Wildtiere zu schützen. «Das ergab für viele auf den ersten Blick keinen Sinn.» 

So spontan, wie das heute aussieht, kam Schneiders Sinneswandel nicht. Schon als kleiner Junge verlor er sein Herz an die Tiere. Er holte jedes Tierbuch aus der Bibliothek und verschlang es in Windeseile. Schaute sich Tierdokus im Fernsehen an und kaufte sich Naturmagazine. «Ich wäre sehr gerne Tierpfleger geworden.» Doch sein Umfeld suggerierte ihm, dass er doch besser einen kaufmännischen Beruf erlernen solle. «Die Jobs in der Tierpflege sind knapp und der Lohn nicht der beste. Das sah ich schliesslich auch ein.» So startete er die kaufmännische Ausbildung, brach sie nach einem Jahr ab, nahm einen zweiten Versuch und schaffte es erneut nicht bis zum Abschluss. 

«Im Geschäft konnte man mich gut gebrauchen, doch ich konnte mich einfach nicht für den Schulstoff begeistern.» Besser lief es dann mit einer Ausbildung zum Finanzplaner. «Mir gefiel, dass man neben der Schule arbeiten konnte.» Schneider stellte sich bald als Naturtalent in der Finanzberatung heraus. Er hatte sofort ein Händchen für Analysen und einen weitsichtigen Blick für die Ziele seiner Kunden. «Ich lernte in so kurzer Zeit so viel.» Bald dachte er sich bei vielem, das könnte er selber besser, also gründete er seine eigene Beratungsfirma. 

Das Geschäft schlug ein wie ein Blitz. Er stellte Leute ein, mietete in Dübendorf ZH Büroräumlichkeiten und lud seine Mitarbeiter einmal im Jahr in die Ferien ein. «So wie vor drei Jahren, als wir gemeinsam nach Südafrika reisten.» Das Land, in dem alles begann. 

Dean Schneider hat zwei Kapuzineraffen:

 

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Zu Hause alles verkauft
Schneider organisierte während der Reise die Besichtigung einer Tierauffangstation. Sah, wie aufopfernd sich die Menschen dort um die Tiere kümmerten. Die Gefühle von damals kann er heute schwer in Worte fassen. «Ich fühlte mich einfach angekommen im Leben.» Er fragte die Verantwortlichen, ob er den Rest der Ferien mithelfen dürfe. «So stand ich jeden Tag um 7 Uhr auf der Matte. Mistete die Gehege aus, half beim Futterrichten und bei der Tierpflege mit.» 

Zu Hause nahm er Kontakt zu Tierschutzorganisationen, Behörden und Landvermittlern auf. Alle zwei Monate reiste Schneider nach Südafrika, schaute sich Reservate an, die zum Verkauf standen, traf sich mit seinen Kontaktleuten und erstellte einen Businessplan. 2017 verkaufte er all seine Besitztümer, kaufte sich ein 360 Hektar grosses Landstück inklusive Farm zwei Stunden von Johannesburg entfernt und machte sich auf zum Abenteuer seines Lebens: «Hakuna Mipaka» heisst das Projekt – «Keine Grenzen». 

In der «Oase», wie er sein neues Zuhause nennt, leben verletzte Tiere, die bald wieder ausgewildert werden, und Tiere wie der Löwe Dexter und das Äffchen Jay-Jay, die er aus untragbaren Verhältnissen rettete. Dank den beiden, die auch eine Art Botschafterrolle innehaben, schaffte es Dean Schneider, die Aufmerksamkeit von Hunderttausenden von Menschen auf Instagram zu gewinnen. «Nur so schaffe ich es, dass mir die Öffentlichkeit zuhört und selbst Tiere schützt. Wir schützen schliesslich das, was wir lieben.» Bisher finanzierte er das Projekt aus der eigenen Tasche. «Seit Beginn des Projekts lebe ich auf sehr kleinem Fuss.» Der Luxus von früher fehlt ihm kein Stück. Sein Freundeskreis schon mehr. «Die Arbeitstage auf der Farm sind sehr lange. Eine Bar oder so gibt es weit und breit keine. Nur eine Tankstelle im Nirgendwo, bei der sich die jungen Leute treffen.» So begleitet er seine südafrikanischen Arbeitskollegen alle zwei Wochen auf ein Bier dorthin. «Ich bin der einzige Weisse, wurde aber sofort in der Runde aufgenommen.» 

Emotionen vor einer halben Million
Noe betritt den Raum. Sein junger Content-Manager, der die Instagram-Videos dreht und mitkonzipiert. Hinter den lockeren Wohlfühlfilmchen steckt viel Denkarbeit. Es gebe «Inspiration-Videos» und «Education-Videos», erklärt Schneider. Also solche, die den Menschen die Welt der Tiere näherbringen und sie mitten ins Herz treffen sollen. Und andere, bei denen sie Lehrreiches über die Tiere Afrikas und ihre Bedrohung lernen. 

«In einem anderen Reservat wurden Löwen von Wilderern auf brutalste Art verstümmelt», sagt Schneider. Er besuchte die Stätte, um den Besitzer zu unterstützen. Noe filmte ihn dabei. «Auch das sollen meine Instagram-Follower sehen.» 

Ein weiteres Video zeigt ihn schwarz vor Russ beim Löschen von Buschfeuern; auf einem anderen ist der Wildtierschützer in Nairobi zu sehen, wo er eine Schulklasse besucht. Als er sieht, wie engagiert sich die Kleinen für die Tiere einsetzen wollen, ist er überwältigt: «Ich war immer schon sehr emotional. Auch wenn mir eine halbe Million Menschen dabei zusehen: Wenn ich traurig oder überglücklich bin, dann weine ich einfach.»

Dean Schneider löscht Buschfeuer:

 

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