Heisser Wind, südliches Ambiente und Kakteen. Eine Reise nach Sion im Wallis mit Wanderung auf die Hügel Valeria und Tourbillon ersetzt Ferien irgendwo am Mittelmeer oder gar in Amerika. Der Weg führt vom Bahnhof in die Stadt Sion, dann rechts bis zur mittelalterlichen Altstadt. Dort zeigen Wegweiser hinauf zur Valeria.

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Kakteen an geschichtsträchtigem Ort

Bereits die Bezeichnung Valeria oder Valèrie weist darauf hin, wie geschichtsträchtig der Ort ist. Der Name soll auf Valeriana zurückgehen, die Mutter des römischen Stadtpräfekten Titus Campanius Priscus Maximianus, der im Jahr 43 nach Christus bezeugt ist. Auf dem Hügel kamen Überreste aus keltischer Zeit zum Vorschein, Burg und Kirche wurden erstmals 1049 erwähnt. Die Orgel in der Kirche, die wie ein Schwalbennest hoch oben an der Wand klebt, gehört zu den ältesten spielbaren Orgeln der Welt. Im Kontext zu diesen historischen Jahrzahlen erscheinen 255 Jahre als kurz. So lange zurück sollen Nachweise von wild wachsenden Kakteen im Wallis liegen.

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Hinweis im Botanischen Garten Genf

Im Alpinum des Botanischen Gartens Genf wachsen zwei Kakteen-Arten, Opuntien. Auf einer Tafel dazu steht: «Bei den beiden Arten, die zuoberst auf unserem Alpenmassiv wachsen, handelt es sich nicht um einen Aprilscherz.» Die Opuntien seien schon vor langer Zeit an den wärmsten Orten des Wallis eingeführt worden und würden bereits durch Albrecht von Haller 1768 erwähnt! Haller (1708 – 1777) war Mediziner und Universalgelehrter aus Bern.

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Opuntie in Burgruinen

Es ist nicht schwierig, die stacheligen Genossen zu finden. Sie wachsen aus Felsritzen, manchmal direkt am Weg hinauf zum Valeria oder Tourbillon.

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Beim Tourbillon handelt es sich um den zweiten Hügel mit einer Burgruine auf dem Plateau, die besucht werden kann. Sogar inmitten der Mauerreste entfaltet sich ein Feigenkaktus. Es handelt sich um Opuntia scheerii, die bekannt dafür ist, Frost zu ertragen. Gleich oberhalb, auf einem Ast, ruft ein Pärchen der seltenen Gartenrotschwänze aufgeregt, fliegt dann auf die Mauer.  

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Ähnlich wie im Süden Nordamerikas

Kakteen werden mit Hitze und Trockenheit in Verbindung gebracht, doch es gibt auch etliche Arten aus den südlichen Staaten Nordamerikas, die Minusgrade vertragen. Im Wallis finden sie offenbar gute Bedingungen vor, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Es ist regenarm, im Sommer brennt die Sonne an die südexponierten Hänge, die Bodenbeschaffenheit ist steinig und sandig und die Winter sind nicht zu kalt. Während es in der Walliser Talsohle im Winter lange sehr kalt werden kann, wärmt die Sonne tagsüber auch in den Wintermonaten die erhöhten Südlagen an den Hängen des Valeria und Tourbillon, wohl ähnlich wie in der Wüste von Arizona oder Texas, zwei südlichen Staaten der USA.

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Überwucherte Felsen

Der Niedere Feigenkakatus (Opuntia humifusa) gar überwuchert ganze Felspartien. Wie Krepppapier leuchten die gelben Blüten. Die Art zählt zu den robustesten winterharten Kakteen und soll sogar minus 30 Grad vertragen, wenn es nicht zu feucht ist. Ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet liegt in den östlichen und mittleren Bundesstaaten der USA.

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Absamung und Ableger

Insgesamt wurden bis zu neun verwilderte Kakteenarten im Wallis identifiziert. Sie haben sich seit 255 Jahren etabliert und wurden wohl kaum wild ausgepflanzt, sondern verbreiteten sich hauptsächlich durch Samen oder durch Ableger, die abbrachen und an einen anderen Hangabschnitt glitten.

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Kakteen gelangen nach Europa

Kakteen wurden erst durch die Entdeckung Amerikas in Europa bekannt. Es wird angenommen, dass erste Exemplare bereits im 16. Jahrhundert nach Europa gelangten. Später wurden sie in Orangerien als Exoten gepflegt. Ob erste Opuntien im Wallis auch bei wohlhabenden Menschen als Statussymbole auftauchten? Erst im 20. Jahrhundert widmeten sich breite Liebhaberkreise den Kakteen.

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Walliser Felsensteppe

Dort, wo sich die Kakteen mit Vorliebe im Wallis ansiedeln, dominiert die Felsensteppe. Sie gleicht den Steppengebieten des kontinentalen Asiens und setzt sich aus einer besonderen Flora und Fauna zusammen. Auffallend ist da beispielsweise der Perückenstrauch (Cotinus coggygria). Steinrötel sind typische Vertreter der Vogelwelt, Smaragdeidechsen repräsentieren als Besonderheiten die Reptilien. 

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Nicht alle freuen sich

Ob im Wallis oder im Mittelmeergebiet, Kakteen sind Amerikaner. Für Kakteenfreunde ist es faszinierend, verschiedenen Arten im Wallis zu begegnen, Wanderer versetzen die Exoten gedanklich in Gefilde in Übersee. Allerdings sind nicht alle über die Verbreitung der Kakteen begeistert. Biologen warnen, sie seien invasiv und würden einheimische Pflanzen verdrängen. So gibt es zwischenzeitlich auch Bestrebungen, sie auszureissen und zu dezimieren.