Was hat scharfe Vorderzähne, ein dichtes Fell, schwimmt gerne und gräbt sich zum Leidwesen von Landbesitzern durch Uferböschungen? Klar, der Biber. Aber nicht nur er. Der baumfällende Nager bekommt nämlich je länger, je öfter Besuch von der amerikanischen Verwandtschaft. Diese kommt gleich in zwei Formen daher. Die erste heisst Bisamratte, die zweite Nutria.

Sie beide sehen dem Biber auf den ersten Blick ziemlich ähnlich, beide sind sie aber deutlich kleiner als der einheimische Baumfäller. Während der Biber bis zu 35 Kilogramm auf die Waage bringen kann, wiegt die Nutria höchstens zehn. Die Bisamratte, eine Vertreterin der Wühlmäuse, wird nur etwa zwei Kilo schwer. Wenn sie schwimmt, kann sie durchaus mit einem jungen Biber verwechselt werden. Ein Blick auf den Schwanz bringt aber Klarheit: Statt des bibertypischen Plattschwanzes hat die Bisamratte einen schuppigen Rattenschwanz, der höher als breit ist. Einen gänzlich runden Schwanz hat hingegen die Nutria. Ausserdem hat sie lange, weisse Schnauzhaare und eine weisse Nase. Schwimmt die Nutria, bleibt ihr Rücken über dem Wasserspiegel, während er beim Biber untergetaucht ist. Wie der Biber und die Bisamratte baut auch die Nutria Burgen am Ufer von Teichen, jedoch liegt der Eingang bei ihr über statt unter dem Wasser. Ein ziemlich sicheres Zeichen, dass der Biber am Werk war und nicht die Nutria oder die Bisamratte, sind gefällte Bäume. Es gibt nämlich nur einen Holzbaumeister in unseren Gewässern.

Fell-Lieferant und Jagdziel

1905 war es, als die Bisamratte (Ondatra zibethicus) den Weg nach Europa fand. Jedoch nicht von alleine: Als Fell-Lieferantin und als neuartiges Jagdziel wurde sie von einem böhmischen Fürsten aus Alaska ins heutige Tschechien gebracht, gezüchtet und in die Wildnis entlassen. Das mit der Jagd war ein voller Erfolg, doch die gut betuchten Waidmänner kamen nicht hinterher mit Abschiessen. Die Bisamratte vermehrte und verbreitete sich unaufhaltsam und hatte bald ganz Mitteleuropa besiedelt. Der böhmische Fürst war nicht der einzige Bisamfreund: In ganz Europa ploppten Pelzfarmen auf, so auch bei Belfort im Elsass, von wo in den 1930er-Jahren rund 500 Tiere ausbüxten. Sie stehen vermutlich am Ursprung der heute in der Schweiz lebenden Bisamratten. Über den Rhein kam das Nagetier in die Nordschweiz. Heute ist es von der Ajoie über den Bodensee bis nach Chur verbreitet. Tendenz: steigend. Ein ähnliches Wachstum dürfte sich allmählich auch bei der Nutria (Myocastor coypus) zeigen. Anders als die Bisamratte ist dieser grosse Nager ursprünglich in Südamerika beheimatet, aber auch sein Fell war begehrt, und zwar schon im 19. Jahrhundert. Und überall, wo es Pelzfarmen gibt, gibt es auch ausgerissene Tiere, so auch im Fall der Nutria. Seit 1950 gibt es immer wieder Sichtungen in der Schweiz, jedoch breitet sich die Südamerikanerin nicht so systematisch aus wie die Bisamratte.

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Die «Schweizer» Nutrias wandern aus unterschiedlichen Populationen im benachbarten Ausland zu. Dass sie sich noch nicht richtig etablieren konnten, ist zumindest teilweise mit dem Klima zu begründen: Die Schweizer Winter sind für die Nutria, die brasilianische Verhältnisse gewohnt sind, einfach zu hart. Dieses könnte sich im Zuge der Klimaerwärmung ändern.

Bald auf unseren Speisekarten?

Bis jetzt macht es nicht den Anschein, als wären Bisamratte und Nutria eine sonderlich grosse Gefahr für Natur und Wirtschaft. Das Zusammenleben mit dem Lokalmatador, dem Biber, scheint bis jetzt relativ unproblematisch zu funktionieren. Man hat schon Bisamratten gesehen, die in Biberburgen geduldet werden, schreibt die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in einem Artikel mit dem Titel «Verdrängen Bisam und Nutria den heimischen Biber?».

Eher in Bedrängnis könnten einheimische Muscheln und Krebse geraten, die auf dem Speiseplan von Nutria und Bisamratte stehen. Oder eben die Landwirtschaft, denn die Probleme, die der Biber mit sich bringt, bringt auch die amerikanische Verwandtschaft mit. Getreide, Gemüse oder Obst aus Feldern in unmittelbarer Ufernähe werden alles andere als verschmäht. Und auch wenn Bisamratte und Nutria keine Bäume fällen: Schäden an Uferböschungen und Hochwasserschutzdämmen können auch sie anrichten. Kein Wunder also, behalten die Umweltbehörden ein wachsames Auge auf die weitere Ausbreitung der beiden gebietsfremden Arten. Als ebensolche, sogenannte Neozoen, sind sie nicht geschützt und dürfen in der Schweiz geschossen werden. Das passiert tatsächlich, wenn auch nur spärlich. Gemäss der Eidgenössischen Jagdstatistik wurden zwischen 2000 und 2020 schweizweit rund 500 Bisamratten und 70 Nutrias geschossen.

Vor allem bei Letzteren könnte man aus der Not eine Tugend machen. Nutriafleisch soll nämlich äusserst gut schmecken. «Wie Kaninchen, nur zarter», heisst es auf einer Website aus Deutschland. «Es geht in Richtung Spanferkel» auf einer anderen. Eine gewisse Tradition hat die Nutria in der Küche der damaligen DDR, wo das Tier regelmässig aufgetischt wurde, insbesondere in Gefängniskantinen, was aber nicht geschmacklich begründet sein soll. Auch heute wagen sich in Deutschland einige Sterneköche an den exotischen Eindringling, in der Bevölkerung scheint es allerdings noch gewisse Hemmungen zu geben. Ob Nutriabraten auch bei uns zum Renner wird, bleibt abzuwarten. Die Grundlagen dafür wären jedenfalls gegeben: Nutria wird in der Lebensmittelverordnung explizit als eins der beiden Nagetiere angegeben, die zur Fleischproduktion zugelassen sind – das andere ist das Murmeltier.