Gruyère, Tête de Moine, Sbrinz, Emmentaler – mehr als 450 Sorten stellen Käserinnen und Käser in der Schweiz her. Die meisten sind halbhart, hart oder extrahart. Das war nicht immer so. Der Hartkäse startete seinen Siegeszug erst im frühen 16. Jahrhundert. Zuvor assen die Menschen hierzulande Frisch- und Hüttenkäse. Dieser Sauermilchkäse entstand dank der natürlichen Gerinnung der Milch und war nicht lange haltbar. Produziert wurde er aus Schaf- oder Ziegenmilch, denn das Rind war bis weit ins 11. Jahrhundert nicht Fleisch- und Milchlieferant, sondern Arbeitstier.

So auch auf den grossen römischen Gutshöfen, die im Mittelland Ackerbau betrieben und Siedlungen wie Aventicum oder Militärlager wie Vindonissa belieferten. Mit der römischen Eroberung Helvetiens kam auch die Technik der Labgerinnung nördlich der Alpen an. Dank des Labs dickt die Milch ein, ohne sauer zu werden, weshalb Labkäse auch Süsskäse genannt wird, der länger haltbar ist.

In einigen Gebieten des römischen Helvetiens wurden kleine Labkäse aus Schaf- oder Ziegenmilch produziert. Doch dieser «caesus alpinus» hatte nichts mit den heutigen Traditionskäsen zu tun, wie Dominik Flammer in seinem Werk «Schweizer Käse» betont, da man damals wichtige Schritte der Käseherstellung wie die Erwärmung des Käsebruches nicht gekannt habe.

Diese erste Phase der Labkäserei in der Schweiz ging bereits im 5. Jahrhundert mit dem Untergang des römischen Imperiums und der Einwanderung der Alemannen wieder zu Ende. Die Alemannen favorisierten Sauermilchkäse und waren als Selbstversorger nicht auf die römischen Handelswege und haltbaren Käse angewiesen. Einige Klöster allerdings bewahrten ihr Wissen um die Labkäserei – davon profitierten hunderte Jahre später die Schweizer Käser.

Päpstliche Butterbriefe
Wegweisende Umwälzungen in der Landwirtschaft erfolgten erst nach der grossen Pest
(1347 – 1351). Der Schwarze Tod hatte auch hierzulande viele Opfer gefordert. Es fehlten Erntehelfer auf den arbeitsintensiven Getreidefeldern. Weideland und Rinderzucht traten an ihre Stelle. Mit der Eroberung des Aargaus 1415 sicherten sich die Eidgenossen die Kornkammer im Mittelland als Versorgungsgebiet, wie Flammer schreibt. Im mittelalpinen Gebiet, vom Pays d’Enhaut (Waadtland) im Westen bis zum Toggenburg im Osten, setzten immer mehr Bauern auf Viehzucht und Kuhhaltung. Die Milch wurde zu Butter verarbeitet, welche in Zeiten von Hunger die Bevölkerung sättigte.

An Dynamik gewann die Süsskäseherstellung nach 1450, als sich Klöster und weltliche Gemeinschaften gegen das Konsumverbot von Milchprodukten in der Fastenzeit wehrten. Die einen baten den Papst um Dispens, da sie kein Olivenöl hätten und andere Ölsorten nicht reichten, um Butter und Käse zu ersetzen. Andere argumentierten, bei ihnen fehle es an Öl und vielem anderem und sie könnten bei aller Kirchentreue nicht auf ihre wichtigsten Nahrungsmittel verzichten. Listige Fastenbrecher zählten Biber und Frösche zu den erlaubten Fischen.

Meist gewährte der Vatikan die Dispens, liess sich diese «Butterbriefe» allerdings fürstlich entlöhnen. Je nach Quelle 1486 oder erst im 16. Jahrhundert erlaubte Rom den Katholiken schliesslich, Milchprodukte auch während der Fastenzeit zu essen. Zudem eiferten die Städter den Essgewohnheiten von Adel und kirchlichen Würdenträgern nach. Allen voran das Patriziat wollte nicht mehr geschmackslosen Ziger essen, sondern verlangte schmackhaften Süsskäse.

Diese Entwicklungen hatten weitreichende Folgen: Für die Landwirte war Käse- und Viehhandel ein erträgliches Geschäft. Aus dem bäuerlichen Nebenerwerb des Käsens wurde ein Beruf. Älpler sömmerten Milchkühe statt Ziegen und Schafe. In den westlichen Voralpen führte dies zum Niedergang der Schafwollverarbeitung und zur Haltung von Grossvieh im grossen Stil.
Massgeblichen Anteil daran hatten die Mönche der im 12. Jahrhundert gegründeten Klöster Rougemont und Bellelay. Letzteres trug im Jura wesentlich zur Entwicklung der Landwirtschaft bei. Schon bald stellten die Ordensbrüder Käse her, der als Delikatesse galt. Dem Fürstbischof zu Basel schenkten die Mönche zu Neujahr jeweils sechs Käse. «Frommage de Bellelay» wird er erstmals 1570 in einer Schrift genannt und hiess so bis zur Französischen Revolution: Seither kennt man ihn als «Tête de Moine».

32 Jahre nach dem «Mönchskopf» ist der laut Flammer wichtigste und bedeutendste Schweizer Käse zum ersten Mal unter seinem heutigen Namen dokumentiert: der Gruyère. Er hat seinen Ursprung im Kloster Rougemont, das unter dem Patronat des Grafen von Greyerz stand und dessen Mönche die Region des waadtländischen Pays d’Enhaut intensiv bewirtschafteten. Bereits im 14. / 15. Jahrhundert sollen auf den Märkten von Bulle, Greyerz und Vevey Hartkäse aus den Freiburger Alpen verkauft worden sein.

Dass Hartkäse nicht nur auf Schweizer Wochenmärkten beliebt war, zeigt die Geschichte des Sbrinz. Innerschweizer Viehhändler brachten das Wissen über die Herstellung von Extrahartkäse aus Italien mit, wo sie ihre Rinder feilboten. Dank der 1230 eröffneten Gotthardroute fand der Schweizer Extrahartkäse zurück in die Lombardei, wo die Nachfrage nach hartem Labkäse bereits damals deutlich grösser war als nördlich der Alpen. Der Sbrinz, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erstmals als «Brienzer Käse» erwähnt, dürfte der erste Schweizer Käse gewesen sein, der im grossen Stil exportiert wurde, schreibt Flammer.

Beitrag über die Gruyère-Herstellung im «DW»

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Die Gier des russischen Zaren
Gruyère und Käse aus Greyerz aber blieben lange das Mass aller Dinge. Die Freiburger entdeckten hierzulande als Erste, dass das Brennen des Käsebruchs der Masse noch mehr Wasser entzieht und so richtig harter und lange haltbarer Käse entsteht. Dieses Wissen nahmen sie mit auf ihre Wanderschaft: Ob im Waadtland, im Jura, im Berner Oberland oder in der Innerschweiz – überall, wo sie hinkamen, brachten sie den Einheimischen die Kunst des Hartkäseherstellens bei.

Angekurbelt von der ausländischen Nachfrage stellte man vielerorts auf die Labkäsepoduktion um. Zuerst Gruyère und später andere Hartkäse kamen auf dem Landweg nach Italien, zu Wasser die Rhone hinab an die Mittelmeerhäfen oder den Rhein hinauf an die Nordsee. Nach dem Ende des Dreissigjährigen Krieges im Jahr 1648 stopfte Schweizer Hartkäse die hungrigen Mäuler Europas. Die Niederländer und Franzosen erkannten, wie wertvoll lange haltbarer Käse für ihre Seeleute und ihre Marine auf den langen Reisen nach Übersee war.

Im 17. Jahrhundert ging auch erstmals ein Hartkäse aus dem Emmental ins Ausland: ins Elsass. Im Emmental wurde zwar schon lange gekäst und weideten grosse Kuhherden. Doch die Hartkäseherstellung lernten die Emmentaler von den Freiburgern. Der Emmentalerkäse war dem Gruyère lange sehr ähnlich und hiess im Ausland «Gruyère de l’Emmental». Sprichwörtlich gross geworden ist er dank der Geldgier des Zaren: Nachdem Russland die Zölle seit etwa 1850 nicht mehr pro Kilo erhob, sondern per Stück, machten die Emmentaler ihre Käse einfach grösser. So wuchs die auch im Zarenreich begehrte Ware von etwa 14 auf über 100 Kilo pro Laib.

Möglich war dies, da die Viehbestände im Zuge gesetzlicher Änderungen wie der Aufhebung der Feudallasten auf Böden seit 1800 stetig wuchsen. Zudem verdoppelte sich die Milchleistung der Kühe dank besserer Futterqualität und Stallhaltung bis Mitte des 19. Jahrhunderts auf über 1600 Liter pro Tier und Jahr. Seit 1850 war die Milchproduktion der dominierende Sektor.
Der Ausbau des Eisenbahnnetzes trug wesentlich dazu bei. Die Bahn transportierte die Waren schneller und günstiger und kurbelte so den Export an. Sie ermöglichte aber auch den Import billigeren Getreides. Viele Bauern im Mittelland gaben den Ackerbau auf und wechselten zur Viehhaltung – und die Käsereien eroberten die Talschaften. Kein anderer Käse steht so für die Entwicklung der modernen Schweiz im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wie der Emmentaler.

Die erste Talkäserei eröffnete zwar bereits 1760 beim Kloster Muri AG. Doch die grosse Emmentaler-Talkäserei, die 1815 bei Thun BE ihren Betrieb aufnahm, war ein Meilenstein für das «Jahrhundert des Käsefiebers», wie es Flammer nennt. Der eigentliche Boom setzte in den 1840er-Jahren ein, bis 1860 stieg die Zahl der Käsereien im Kanton Bern von 140 auf 400. 1873 beendete der Wiener Börsencrash die Schweizer Käse-Hausse abrupt und löste eine beispiellose Krise der hiesigen Landwirtschaft aus.

Konkurrenz der Emigranten
Käsereien gingen pleite, Käser emigrierten nach Deutschland, Frankreich, Russland und in die USA. Ihr Wissen war begehrt. Und sie konkurrenzierten mit «Swiss Cheese», der nicht aus der Schweiz kam, das Original. Eine Sorte kam zurück. Der Thurgauer Otto Wartmann brachte von seiner Reise ins ostpreussische Städtchen Tilsit ein Käserezept mit, das er zu Hause herstellen wollte: den Tilsiter, der von Emmentaler Auswanderern entwickelt worden war. Aus diesem Re-Import wurde der «Tilsiter Switzerland» und damit der jüngste Schweizer Traditionskäse.

Zu für breite Volksschichten erschwinglichen und weit verbreiteten Grundnahrungsmitteln wurden Milch und Käse während des Ersten Weltkrieges. Die 1914 gegründete Käseunion spielte dabei eine wichtige Rolle, war sie doch nicht nur für den Export zuständig, sondern auch für die Sicherstellung der Grundversorgung im Inland. Das Kartell der Käseunion bremste aber auch die Weiterentwicklung der Schweizer Käsekunst, wie Flammer kritisiert, und sorgte für geschmackliche Langeweile, da nur noch drei Sorten gefördert wurden (siehe unten).

Der beste Schutz für einen Käse sei seine Qualität, bemerkt Dominik Flammer. Dass die grossen Schweizer Käse bis heute aus Rohmilch – und nicht aus pasteurisierter Milch – hergestellt werden, ist der mittlerweile mehrere hundert Jahre alten Tradition zu verdanken.

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Fondue<o:p></o:p>
Die Romandie, die Deutschschweiz, Savoyen und das Piemont – alle reklamieren das erste Fondue für sich. Das Gericht aus geschmolzenem Käse ist unbestritten seit langem verbreitet in den Alpen. So endete der Erste Kappelerkrieg 1529 mit einem Friedensmahl: Die katholischen Zuger brachten Milch mit, die reformierten Zürcher Brot. Die Soldaten versammelten sich um einen grossen Topf, in dem die Kappeler Milchsuppe köchelte, und löffelten sie gemeinsam aus. Zu einer weltweit bekannten Schweizer Nationalspeise wurde Fondue aber erst dank einer Kampagne der Käseunion in den 1950er-Jahren: «Fondue isch guet und git e gueti Luune» war das Sprachrohr einer neu erfundenen Tradition. Der Klassiker unter denMischungen ist «moité-moité», halb Vacherin Fribourgeois, halb Gruyère.<o:p></o:p>

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Raclette
Glaubt man alten Klosterschriften, kannten bereits die Alten Eidgenossen ein Gericht, bei dem sie Käse über offenem Feuer schmolzen und weiche Masse abstreiften. «Bratchäs» nannten die Urschweizer dieses Mahl. Auch im Wallis ist das Käseschmelzen schon lange verbreitet. Seit 1874 heisst der Käse offiziell Raclette, abgeleitet von «racler», was im lokalen französischen Dialekt «schaben» bedeutet. Raclettekäse ist ein vollfetter Halbhartkäse aus roher oder pasteurisierter Milch. Es gibt «Raclette Suisse®» und «Walliser Raclette AOP»; letztere ist seit 2007 eine eingetragene Ursprungsbezeichnung und wurde ein Jahr später als kulinarisches Erbe der Schweiz anerkannt. Neben Raclettekäse werden auch Berg-, Alp- und Hobelkäse mit der gleichen traditionellen Methode hergestellt.

Käseunion

1914 beendete die Gründung der Käseunion die freie Käsemarktwirtschaft. Die Käseunion garantierte den Bauern Fixpreise und gab Millionen für Marketing aus. Doch in den Genuss dieser Förderung kamen nur Emmentaler, Gruyère und Sbrinz. Lange war der Emmentaler dank explodierender Exportzahlen der Gewinner, später verschacherte man ihn aber zu Spottpreisen.

Der Ruf der Käsenation Schweiz litt. Selbst der Käsedress der siegreichen Skinationalmannschaft um Vreni Schneider in den 1990er-Jahren half nicht mehr. Seit dem Ende des Kartells 1999 eroberten billige Emmentaler-Kopien den Markt. Gruyère hingegen liess seinen Namen weltweit schützen und auferlegt seinen Produzenten strenge Regeln – und ist auch dank dieser Massnahmen die Nummer 1 der Schweizer Hartkäse.

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