Es geht hier nicht darum, «schlechte Menschen» zu entlarven und sie mit der Moralkeule zu züchtigen. Konkreter: Es geht nicht um den Menschen in der Rolle des blutrünstigen Tierleichenfressers, der sich nach der Lektüre des vorliegenden Textes bitteschön mies zu fühlen hat und fortan wie ein Flagellant die Bürde der Schuld bis ans Ende seiner Tage schleppen muss. Nein, es geht um die Frage, ob das, was wir tun, richtig ist – und ob wir etwas anders machen können. Falls sich trotzdem jemand ein bisschen schlecht fühlen sollte, ist das okay. Vielleicht nützen Gefühle in der Philosophie eben doch etwas, denn auch sie könnten zur «moralischen Erfahrung» beitragen.

Die Beziehung vom Mensch zum Tier ist nicht selbstverständlich. Sie wurde mit und durch die Zeit geformt. Da die Zeit ja (noch?) nicht zu Ende ist, gibt es auch keine endgültigen Antworten. Das heisst: Es gibt keine Eminenz, die uns nun anweisen wird, wie wir gefälligst mit Tieren umzugehen haben, denn auf drei Philosophen kommen wohl mindestens sieben Meinungen.

Die bis heute effektivsten Kritiker der Weise, wie wir Tiere behandeln, sind die so genannten Utilitaristen. Mit Jeremy Bentham kam im 19. Jahrhundert eine Wende. Er schrieb den folgenschweren Satz: «Die Frage ist nicht ‹Können sie denken?› oder ‹Können sie reden?›, sondern ‹Können sie leiden?›» Im Kern des utilitarischen Denkens steckt die Idee, dass moralisch gut ist, was der Gruppe, deren Interessen zur Debatte stehen, möglichst viel Nutzen bringt. Es geht also um die Maximierung des Glücks oder die Minimierung des Leids. Und – in der Regel – um das Gemeinwohl. Bösartig interpretiert: Während sich viele Philosophen in einem Definitionsstreit über Sprachvermögen und Vernunft verloren hatten, stellte Bentham plötzlich eine ganz simple und elegante Frage, deren Echo bis heute nachhallt. Zwar war das Mauerwerk zwischen Mensch und Tieren bereits marode, Bentham aber riss dann beträchtliche Teile ein. Nun stand plötzlich die Fähigkeit zum Leiden und nicht jene zum Denken im Zentrum, und diese besitzen Tiere unweigerlich.

Moralischer Status entscheidet
Aus Schutt und Brachland wurde schliesslich Nährboden für den Begriff des «Speziesismus», der vor allem vom Tierrechtsaktivisten Peter Singer geprägt wurde. Er steht analog zu den Begriffen Sexismus und Rassismus, die willkürliche und schädliche Unterschiede zwischen Menschen bezeichnen: Singer definiert Speziesismus als «eine Haltung der Voreingenommenheit zugunsten der Interessen der Mitglieder der eigenen Spezies und gegen die Interessen der Mitglieder anderer Spezies». Tiere zu essen, schlicht, weil wir als Menschen Steaks mögen und «es ja nur Tiere sind», wäre ein klarer Fall von Speziesismus. Können Tiere und Menschen gleichermassen leiden, gibt es keinen guten Grund mehr, das Leid des Tieres demjenigen des Menschen vorzuziehen. Beiderlei sollte vermieden, das Glück beider maximiert werden.

Auch wenn Singers Positionen gut durchargumentiert und begründet sind, ist er keineswegs eine unumstrittene Figur. Seine Ansichten stossen besonders im ersten Moment oft auf reflexartiges Unverständnis und führen immer wieder zu Protesten: So wurde er 2015 von einem Philosophie-Festival ausgeladen. Dies, nachdem er in der «NZZ am Sonntag» auf die Frage, ob er aus einem brennenden Haus lieber 200 Schweine oder ein Kind retten würde, geantwortet hatte: «Man darf nicht unendlich viele Tiere verbrennen lassen, um das Leben eines Kindes zu retten.»

Schiesst Singer mit dem Speziesismus-Begriff vielleicht über das Ziel heraus? Der Vertragstheoretiker Peter Carruthers befände wohl, dass es sich beim Retten des Kindes nicht um einen speziesistischen Akt handeln würde. Eine Gesellschaft, in der die Regel gälte, man müsse viele Tiere zulasten von Kindern retten, wäre seiner Ansicht nach hochgradig instabil. «Die, deren nahe Angehörige in Gefahr wären, würden sich gegen solche Praktiken sicherlich mit Gewalt zur Wehr setzen», schreibt Carruthers. Für ihn müssen deshalb alle Menschen – also auch demente Menschen, Babys oder Behinderte, die keine «rationalen Akteure» sind – moralischen Status besitzen, Tiere hingegen nicht.

Das heisst aber nicht, dass uns Carruthers eine Freikarte zum Quälen von Tieren ausstellen will. Tierquälerei ist auch für ihn falsch, das fusst aber nicht primär auf dem moralischem Status, den wir Tieren beimessen, sondern auf menschlichem Handeln, das sich im Verhältnis zu Tieren widerspiegelt. Grausam zu Tieren sein, deutet auf einen schlechten Charakter hin, und würde das zu allgemeinem Gesetz werden, hätte das verheerende Auswirkungen auf uns Menschen.

In ähnlicher Weise argumentiert auch die Sprachphilosophin Cora Diamond, wenngleich sie jedwedes Tierleid vermeiden möchte. Sie beurteilt den Begriff der «Tierrechte» als ungünstig, weil man sich damit in einer juristischen Sprachsphäre bewegt. Es gehe aber nicht darum, die Rechte von Tieren zu verteidigen oder ihnen mehr Rechte zuzubilligen, denn auch im Namen des Gesetzes wird ständig Ungerechtes getan. Man würde kaum damit beginnen, Tiere zum Spass zu töten, wenn es gesetzlich erlaubt würde.

Die Tierrechts-Idee greift zu kurz
Diamond schreibt, die Sprache der Rechte könne weder echte Ungerechtigkeit noch die Bedürfnisse der Opfer zum Ausdruck bringen. Sie verhindere vielleicht sogar die Zuwendung zur Wirklichkeit. Die besteht für die Sprachphilosophin darin, dass wir Tieren ähnlich sind. Sodass wir im Angesicht der Gewalt und Grausamkeit, die ihnen angetan wird, eine ähnliche Abscheu empfinden wie wenn Menschen dasselbe angetan wird. Blosses «Mitgefühl», das wir womöglich für nobel halten, könne «ein hohes Mass an Unredlichkeit des Herzens verbergen», schreibt Diamond. Platter formuliert: Es ist ein bisschen, wie wenn reiche Menschen Elendstourismus machen, sich gerührt die Tränchen von der Wange streichen und dann zurück ins Luxushotel fahren. Sie fragt: Möchten wir wirklich weiterhin Tieren schaden zufügen – ob durch Schlachthäuser oder medizinische Versuche – nur, weil wir es können? Wollen wir das?

Oft heisst es auf diese Frage: Ja, es wäre gut, Tierleid zu vermeiden, aber so radikal, wie es manche Philosophen verlangen, ginge es nicht. Darauf kommt die Erwiderung, es sei nicht die Aufgabe der Philosophie, sämtliche Lösungen – auf politischer Ebene zum Beispiel – bereitzustellen, und dass die Kritik deshalb nicht zu radikal sein kann. Einfache Lösungen, auch für die philosophischen Positionen, die sich gegenseitig auszuschliessen scheinen, gibt es nicht, wie die Philosophin Elizabeth Anderson konstatiert. Eines ist aber für die Philosophin Christine Korsgaard jedenfalls klar: «Selbst wenn wir aus der Welt keinen Ort ohne Raubtiere machen können, so können wir es doch vermeiden, selbst Raubtiere zu sein.»