Rinderwahnsinn. 26 Jahre ist es her, dass eine bis dahin kaum bekannte Tierseuche die Schweiz erreichte. Fernsehbilder aus Grossbritannien verbreiteten Angst und Schrecken, unter den Bauern, aber auch beim Rest der Bevölkerung. Da waren Rinder zu sehen, die auf zittrigen Beinen im Stall standen, denen der Speichel aus dem Maul floss, die nervös zuckten und ausschlugen. Ja, es machte den Eindruck, sie seien wahnsinnig geworden.

BSE, die Bovine spongiforme Enzephalopathie, wurde erstmals 1986 in England an einem Rind nachgewiesen, das aufgrund seines abnormalen Verhaltens geschlachtet wurde. Was die Ärzte fanden, war völlig neuartig: Das Gehirn des Tieres sah unter dem Mikroskop aus wie ein Schwamm. Zerfressen, die Nervenzellen darin abgestorben. Die Krankheit verbreitete sich auf der Insel rasch und trat kurze Zeit später auch auf dem europäischen Festland auf. Der erste Fall in der Schweiz wurde 1990 diagnostiziert.

Gefährliche Proteinbombe
Das Heimtückische an BSE ist die unübliche Übertragungsform. Kein Virus, keine Bakterien lassen Kühe daran erkranken, sondern bösartige Eiweisse, die sogenannten Prionen. Das Wort Prion ist eine Kombination von «Protein» und «Infektion» und deutet darauf hin, wie diese körpereigenen Gifte funktionieren: Haben sich die Prionen einmal im Nervensystem eingenistet, stecken sie die gesunden Eiweisse nach und nach an und schädigen das Gehirn langsam, aber unwiderruflich. Bis der Bauer merkt, dass mit seiner Kuh etwas nicht stimmt, vergehen Jahre. Nicht zuletzt deshalb war der grösste Schaden schon angerichtet, als die ersten BSE-Fälle bekannt wurden.

In der Schweiz reagierte man rasch: Bauern durften ab sofort keine Tiermehle mehr an Wiederkäuer verfüttern. Diese bis dahin gängige Praxis war der wahrscheinlichste – und später nachgewiesene – Auslöser der BSE-Epidemie. Tierknochen und andere Schlachtabfälle von Rindern und Schafen wurden getrocknet und gemahlen ins Tierfutter gemischt. Eine Proteinbombe, hergestellt aus den Teilen, die niemand essen wollte. Dass das Rind als Pflanzenfresser dabei tierische Produkte verfüttert bekam, teils sogar von seinen Artgenossen, wurde damals kaum hinterfragt. 

In den frühen 1990er-Jahren erlebte die BSE-Epidemie ihren Höhepunkt. Alleine in Grossbritannien mussten zwischen 1991 und 1993 mehr als 100 000 kranke Rinder geschlachtet und verbrannt werden. Die Dimensionen in der Schweiz waren um ein Vielfaches geringer, bis heute wurden knapp 500 BSE-Fälle diagnostiziert. Doch aus einem Problem für die Landwirtschaft wurde Mitte der 1990er-Jahre ein Problem für die gesamte Bevölkerung: Man fand heraus, dass BSE auf den Menschen übertragbar ist. Die Betroffenen, die infiziertes Fleisch gegessen hatten, wiesen auf einmal ganz ähnliche Symptome auf: Sie wurden vergesslich, brachten keine ganzen Sätze mehr zusammen. Auch für sie endete die Krankheit – beim Menschen heisst sie Creutzfeld-Jakob-Krankheit – binnen einiger Jahre tödlich.

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Die Öffentlichkeit war aufgebracht. Britisches Rindfleisch wurde verschmäht, eine Epidemie auf der Insel erwartet. Mit mehreren Tausend Todesopfern wurde gerechnet, auch von offizieller Seite. Letztlich kam es nicht ganz so schlimm: Etwas mehr als 200 Menschen starben, die meisten in Grossbritannien. In der Schweiz wurde kein Fall der Creutzfeld-Jakob-Krankheit bekannt, der auf BSE zurückzuführen war.

Auch die Situation bei den Tieren verbesserte sich. Die Krankheitsfälle wurden seltener, verschwanden aber nicht vollständig, da immer wieder Spuren von Tiermehlen im Rinderfutter gefunden wurden. Es waren Mini-Verunreinigungen, weil in den gleichen Mühlen Futter für verschiedene Tiere hergestellt wurden. Sie reichten aber aus, um die Krankheit von Rind zu Rind weiterzugeben. In der Schweiz wurde deshalb der Nothebel betätigt: Tiermehl ist seit 2001 für sämtliche Nutztiere verboten.

Das neue Jahrtausend brachte die Entspannung. Seit 2006 ist BSE aus der Schweiz verschwunden. Ein paar atypische Fälle sind seither zwar noch aufgetreten, die seien aber kein Grund zur Beunruhigung, sagt Torsten Seuberlich. Der Neurovirologe arbeitet an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern. Er erklärt: «Solche sporadischen Fälle sind vermutlich schon immer aufgetaucht, sie haben nichts mit der Verfütterung von Knochenmehlen zu tun.» 

Ein bisschen Angst würde nicht schaden
Im Mai 2015 hat die Weltorganisation für Tiergesundheit den bestmöglichen BSE-Status an die Schweiz verliehen: «vernachlässigbares Risiko». Das ändert allerdings bislang kaum etwas an den bestehenden Richtlinien und Verboten. Seuberlich warnt denn auch: «Wenn man die Verfütterung von Tiermehlen wieder zulassen würde, könnte das Ganze wieder von vorne losgehen.»

Dass die Bauern kaum noch Angst vor BSE haben, ist für Seuberlich ein zweischneidiges Schwert. Das Vetsuisse-Labor ist die Anlaufstation für sämtliche BSE-Verdachtsfälle. Verhält sich ein Rind abnormal, muss sein Besitzer das den Behörden melden. Das Labor in Bern macht die endgültige Analyse. «Die Verdachtsfälle sind extrem selten geworden», sagt Seuberlich. Was beruhigend klingt, beunruhigt den Experten. «Die Bauern denken nicht mehr an BSE. Es gibt aber Krankheiten wie die Listeriose, deren Anzeichen sich nicht von BSE unterscheiden lassen.» Auch solche Fälle würden immer seltener gemeldet, was Seuberlich bedauert. «Wenn wir den Status aufrechterhalten wollen, müssen wir zeigen, dass unsere Überwachung funktioniert.» Doch man könne die Landwirte nicht dazu zwingen, einen Verdacht zu melden. Hier würde Seuberlich etwas mehr Angst jedenfalls begrüssen.

Futterproduktion strikt trennen
Einer, der eine Lockerung in den Gesetzen anstrebt, ist der Aargauer SVP-Nationalrat und Mühlenbesitzer Hansjörg Knecht. Schon 2012 hat er in einer Motion gefordert, «gesundheitlich unbedenkliche Schlachtnebenprodukte» für die Geflügel- und Schweinefütterung wieder zuzulassen. Es sei «an der Zeit, die eigenen Eiweisse zu nutzen, anstatt 200 Millionen Franken zu vernichten», prangert er die gesetzlich erzwungene Verbrennung von Schlachtresten an. 

Der Bundesrat zeigte sich zwar interessiert, das Fütterungsverbot allmählich aufzuheben, stellt aber Bedingungen. So müsse die Produktion von Rinder-, Schweine- und Geflügelfutter «auf sämtlichen Stufen strikt voneinander getrennt sein». Ausserdem will er abwarten, bis ein Test entwickelt wird, mit dem eindeutig identifiziert werden kann, von welchem Tier das jeweilige Mehl stammt. Daran ist Knechts Motion letztlich gescheitert. Er ärgert sich: «Ich bin da Realist, mit all diesen Auflagen wird das für die Produzenten nicht mehr rentieren.» Seine Bestrebungen sind also derzeit auf Eis gelegt, «aber ich bleibe sicher an der Thematik dran».