Ein Spaziergang durch Oberglatt mutet überaus idyllisch an. Die Altläufe des Flüsschens Glatt gehören zu den bedeutendsten und attraktivsten des Kantons Zürich. Neben diesem Naturschutzgebiet fügt sich Bauernhof an Bauernhof nahtlos in die Bilderbuchlandschaft ein. Betritt man jedoch den Südosten der Gemeinde, wird man plötzlich Zeuge eines überraschenden Bruchs: Beinahe permanent startende und landende Flugzeuge des sich in Sichtweite befindenden Flughafens Zürich durchbrechen die Stille mit ohrenbetäubendem Lärm. 

Die Situation nimmt noch bizarrere Züge an, als eine Schar von Kamelen unweit der Landebahn neugierig auf ihren Besuch starrt. Die exotischen Tiere lassen sich offensichtlich nicht vom regen Flugverkehr beeindrucken. «Meine Kamele haben kein Problem mit dem Lärm. Aber es ist schon ein ungewöhnlicher Anblick, weil hier quasi die moderne auf die alte Welt trifft», sagt Kamel Ben Salem, der Besitzer von «Ben’s Kamelfarm». Er strahlt dabei mit der Sonne um die Wette und fühlt sich sichtlich wohl inmitten seiner Tiere. 22 Dromedare mit je einem Höcker und ein Trampeltier mit zwei Höckern grasen friedlich auf der Weide. Ihre Namen beginnen alle mit «S», wie Ben Salem schmunzelnd erzählt, weil der Buchstabe sowohl in den Wörtern «Schweiz» (seinem Wohnsitz) als auch in «Sahara» (seiner Heimat in Tunesien) vorkomme. 

Passend zu dieser Verbindung sorgen die Kamele mitten im Zürcher Unterland für eine Szenerie wie aus Tausendundeiner Nacht. Nur die fliegenden Teppiche fallen hier deutlich grösser aus und sind nicht aus edlen Fasern, sondern aus Stahl. Vor rund zwölf Jahren hat Ben Salem an diesem Ort seine Zelte aufgeschlagen, weil die ebenen Weiden sich perfekt für die empfindlichen Kamelsohlen eignen.

Kamele am Dreikönigstag

Wer Ben Salems Kamele in Aktion sehen möchte, hat am 6. Januar 2017 die Gelegenheit dazu. Dann nehmen die Tiere in Oberglatt ZH am feierlichen Einzug der Heiligen Drei Könige teil. Die offizielle Saison mit Reiten und weiteren Aktionen beginnt wieder am 15. März 2017. 

Kamelmilch ist jederzeit bei Ben Salem zu beziehen. Interessenten melden sich unter Tel. 052 620 32 85 oder per E-Mail: benskamelfarm@bluewin.ch.
Weitere Informationen: www.benskamelfarm.ch

Kamelreiten macht Kinder glücklich
Es wird schnell deutlich, dass der tunesisch-schweizerische Doppelbürger, der als Beduine aufgewachsen ist, sich bestens mit den Tieren und deren Bedürfnissen auskennt. Kein Wunder: Das «Kamelgen» ist ihm in die Wiege gelegt worden, auch wenn sein Vorname Kamel nichts mit der Tierart zu tun hat. «Kamel bedeutet in der islamischen Kultur ‹Der Vollkommene›», erklärt Ben Salem. Sein Vater und sein Grossvater haben bereits Kamele gehalten und gezüchtet und tun das bis heute in seiner südtunesischen Heimat Douz. «Im Winter bin ich länger dort und biete für Touristen Trekkingtouren an», erzählt er und fügt mit trauriger Stimme an: «Leider haben wir seit den politischen Unruhen deutlich weniger Gäste.»

Kaum schweift sein Blick über seine Dromedarherde, ist die Trübsal wie weggeblasen. Denn über mangelndes Interesse an seinen Tieren kann sich Ben Salem hierzulande nicht beklagen. In der warmen Jahreszeit sorgt das Kamelreiten vor allem bei Kindern für leuchtende Augen. «Es ist schön zu beobachten, wie glücklich man sie damit macht. Genau das ist mein Anliegen», sagt er, lächelt zufrieden und streicht einem seiner Dromedare liebevoll über den Hals.

Glücklich macht den Wahl-Schweizer aber auch noch eine andere Qualität seiner Tiere. 2013 hat er sich nämlich den Spitzenplatz auf dem Schweizer Kamelmilchmarkt erobert. Mit Preisen, von denen Milchbauern nur träumen können: Ein Liter kostet stolze 14 Franken. Das schreckt die Kundschaft aber nicht ab. Die Produktion von rund 1000 Litern pro Jahr in Oberglatt reicht nicht aus, um den Bedarf in der Schweiz zu decken. So muss Ben Salem das Nischenprodukt aus Holland zukaufen. Ein Vorteil sei dabei, dass die Milch gefroren bis zu einem Jahr haltbar sei, erklärt der Kamelhalter, der den hohen Preis mit dem ebenso hohen Aufwand, Transport- und Importkosten rechtfertigt. 

Er könne nur die Hälfte seiner Dromedare melken und das rund ein Jahr lang, von Hand und mit einer Melkmaschine für Schafe. Nach einer zwölfmonatigen Trächtigkeit bleiben die Neugeborenen bei ihren Müttern, damit Ben Salem sie melken kann. Pro Tier und Tag sind das zwei bis drei Liter Milch. Die ersten 40 Tage nach der Geburt brauchen jedoch die Kälber ihre Muttermilch. «Ich trenne dann nachts Mütter und Kälber», erzählt Kamel Ben Salem. «So kann auf der einen Seite das Junge weiterhin über zwei Zitzen mit der nötigen Milch versorgt werden. Aus den anderen beiden Zitzen zapfe ich die Milch für den Verkauf.»

Kamelmilch macht Allergiker glücklich
In Halbliterflaschen wird das Luxus-Getränk dann an die Frau und den Mann gebracht. Den reissenden Absatz erklärt sich Ben Salem mit der heilenden Wirkung, die Kamelmilch nachgesagt wird. Sie soll bei Allergien, Ausschlägen und unterschiedlichen Krankheiten Linderung verschaffen. «Ich kann nicht beweisen, dass das stimmt, aber in meiner tunesischen Heimat glauben  wir fest daran», sagt Ben Salem. Dort stehe Kamelmilch gar nicht zum Verkauf, weil sie als medizinisches Produkt gelte, das an Bedürftige kostenlos abgegeben werde.

Doch egal, ob Wundermittel oder nicht, fest steht, dass die besondere Milch fünfmal so viel Vitamin C enthält wie Kuhmilch bei nur halb so viel Fett und deutlich weniger Zucker. Zudem fehlen bestimmte Eiweisse, die häufig allergische Reaktionen verursachen. Der Geschmack unterscheidet sich ebenfalls von herkömmlicher Milch. Er ist am Anfang recht süss und wird im Abgang salzig. 

Angesichts der Milch-Erfolgsgeschichte spielt Ben Salem übrigens mit dem Gedanken, seine Kamelfarm auszubauen. Aber nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch, «um noch mehr dieser wunderbaren Tiere den Menschen in der Schweiz näherzubringen». Der Platz dafür ist vorhanden, genau wie potenzielle, tierische Bewohner, die Ben Salem aus Zoos oder von europäischen Züchtern beziehen könnte. Denn anders als die meisten Menschen stören sich Kamele nicht an lauten Flugobjekten, auch wenn es sich dabei nicht um fliegende Teppiche handelt.