Diese Hörner! Zapfenzieherartig gedreht stehen sie v-förmig vom Kopf der Schafe ab und sind gut einen halben Meter lang. Und dann dieses Fell, dessen lange Locken in verschiedenen Beige- und Braunschattierungen am ganzen Körpe herabhängen. Selbst das nur wenige Monate alte Lamm hat schon Hörnchen und glänzende Löckchen. Die auffallend schmalen Köpfe der Zackelschafe sind entweder weiss oder schwarz, die Augen gross und leuchtend und die Ohren keck waagrecht abstehend.

Gerne würde man diese Tiere von Nahem betrachten, doch das lassen sie nicht zu. Rastlos rennen der Bock und die zwei Auen mit den drei Kleinen auf der Weide auf und ab. Fotoshooting? Lieber nicht. Immerhin, die Auen und Lämmer schauen ab und zu in Richtung Kamera. Der Bock jedoch steckt seinen Kopf bevorzugt in die Wiese und zupft saftiges Gras aus.

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Die Zackelschafe fallen vor allem durch ihre gedrehten Hörner auf.
  Gif: Petra Stöhr

 

Die kleine Truppe auf dem Hof der Familie Grädel im oberaargauischen Huttwil zeigt trefflich, dass Zackelschafe wilder sind als andere Rassen. Sie seien längst nicht so zutraulich und zahm wie etwa Gotlandschafe, sagt Alexander Grädel. «Doch wenn man sie einmal zu greifen bekommt, liegen sie wie Wildschafe wie tot> ab.» Er muss es wissen: Auf den Weiden rund um die familieneigene Schaukarderei «Spycher Handwerk» grasen acht verschiedene Rassen, darunter Merino-, Engadiner-, Spiegel- und Jakobschafe, Walliser Landschafe und Skudden.

Die Zackelschafe ragen aus diesem bunten Reigen heraus – nicht nur ihrer imposanten Hörner wegen. Sie seien wie Gämsen, sagt Grädel, «das erste das dich sieht, pfeift wie eine Gämse». Eine andere Besitzerin erinnern ihre Tiere mehr an Rehe denn an Schafe: «Die Zackeli sind schon noch Urtiere.»

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Zackelschafe sind eher wild und halten nicht gern für die Kamera still.
  Gif: Petra Stöhr

 

Von Merinoschafen verdrängt
Die Rasse geht auf das Armenische Wildschaf, eine Mufflon-Art, zurück. Historiker gehen davon aus, dass sie während der Völkerwanderung im späten 9. Jahrhundert mit Reitervölkern aus dem Osten ins Karpatenbecken kam, das grösstenteils im heutigen Ungarn liegt. Viele Jahrhunderte lang waren die markanten Tiere die vorherrschende Schafrasse in Ungarn, das mit den Nachbarländern einen regen Handel mit Schafen und Schafshäuten unterhielt.

Bis heute gilt das «Zackeli» als das typische Schaf der ungarischen Puszta – dabei war die Rasse vor 100 Jahren vom Aussterben bedroht. Verdrängt hat sie – der feineren Wolle wegen – das Merinoschaf. Nach dem Zweiten Weltkrieg widmete sich Ungarn wieder verstärkt dem Erhalt der gefährdeten Rasse, dennoch wird der Bestand auf nicht mehr als   3500 Tiere geschätzt. Auch in der Schweiz sind sie rar. Vielleicht ein gutes Dutzend Züchter gibt es hierzulande und wohl etwas über 50 Zackelschafe.

Auf den Wiesen der Familie Grädel grasen sie seit gut 15 Jahren. Ein Händler habe damals einen Platz für eine Gruppe Zackelschafe gesucht und den Vater angefragt, erinnert sich Alexander Grädel. «Wir übernahmen sie, weil sie spezielle und schöne Tiere sind.» Die Rasse besticht aber nicht nur durch ihr Äus­se­res, sondern auch durch ihre einfache Haltung. Grädel nennt sie «typische Landschafe», die sich perfekt an ihre ursprünglichen rauen Lebensbedingungen angepasst haben und genügsam fressen. Typisch für derart robuste Schafe sind auch ihre  kleinen, ausgesprochen harten und widerstandsfähigen Klauen. Probleme damit kenne er bei den Zackelschafen nicht, sagt Grädel: «Ich pflege und schneide sie. Dies ist fast so wie bei Geissen.»

Wolle für Mäntel der Hirten
Geschoren werden sie zweimal pro Jahr. Obwohl ursprünglich auch für die Milch- und Fleischversorgung der ungarischen Nomaden gezüchtet, wird heute vor allem die (grobe) Wolle der Zackelschafe verarbeitet. Traditionell werden daraus Mäntel und Umhänge für die Schäfer und Hirten gefertigt. Auch Grädel melkt seine Auen nicht – die ganze Milch ist für die Lämmer –, sondern nutzt ausschliesslich die Wolle seiner Tiere.

Verarbeitet wird diese dann in der eigenen Karderei, so wie die Wolle der anderen Schaf­rassen, der Alpakas, der Lamas, der Kamele sowie der Mohair- und Kaschmirziegen, die alle auf dem Hof leben. «Wir waschen und kardieren auch Schafwolle, die bei uns abgegeben wird», erklärt Grädel. Der Besitzer bekommt ein feines und flauschig gekämmtes Vlies, das er weiterverarbeiten, also spinnen oder filzen kann. «Spycher Handwerk» stellt selber zudem Bettwaren, Isolationsmaterial und vieles mehr aus Schafwolle her.

Ganz auf die Wollverarbeitung setzte Alexander Grädels Vater in den frühen 1980er-Jahren, als Wollsachen im Zuge des teurer gewordenen Öls boomten. Zuvor war der Hof eine «normaler» Bauernbetrieb mit zehn Hektaren Grünland, welches Schafe bewirtschafteten. Heute sind 25 Personen für «Spycher Handwerk» tätig, darunter die ganze Familie. «Es war nicht geplant, sondern ergab sich, dass wir alle involviert sind», sagt Grädel und zählt auf: Ein Bruder sei der Bürochef, der andere leite den Bettwarenladen, die Schwester den Kleider- und Handarbeitsladen und seine Frau das Bistro, während er selber für Karderei, Wäscherei und Landwirtschaft verantwortlich sei.

Zur Landwirtschaft des Archehofes gehören neben den Wolle liefernden Tieren auch Wollschweine, Zwergziegen, Schweizer Hühner, Gänse, Pommernenten und ein Pfau, der den Gästen stolz sein Rad präsentiert. Eine wichtige Rolle hat auch Border-Collie «Lara» inne: Die sechsjährige Hündin treibt auf Grädels Anweisungen die Zackelschafe solange auf der Weide hin und her, bis ein Fotoshooting mit den behörnten
Ungarn möglich ist.