Auch an diesem kalten Morgen macht sich Landwirt Sepp Dähler auf zu seinen Rindern. Vom Hof bis zum Laufstall nebenan sind es nur rund 50 Schritte. Im offenen Unterstand angekommen, klettert der Bauer mühelos über den Zaun ins Gehege, obwohl er in der einen Hand eine Bürste und in der andern einen grossen gelben Kessel hält. Ein zufriedenes Lächeln huscht über sein Gesicht. Bald steht er vor seinen «Kabier»-Rindern, den «wunderbaren und sensiblen Wesen», die er liebevoll ansieht. Jetzt im Winter, wenn draussen keine saftigen Gräser gedeihen, bleiben die Tiere im Stall. Im Sommer können sie aber auch auf der Weide grasen.

Was die Besucher auf dem Bauerngut «Blindenau» in Stein AR noch nicht wissen, ist für die 30 Rinder längst normal. Sie bekommen eine spezielle Fütterung mit Biernebenprodukten und eine wohlige Biermassage, die sie voller Vorfreude erwarten. Sie drängeln sich an ihren «Meister», schmiegen sich an ihn, schlecken seine Hände und schubsen ihn erwartungsvoll umher. 

Exquisite Pflege
Sepp Dähler massiert die älteren Tiere ab fünf Monaten während insgesamt einer Stunde zweimal am Tag: Am Morgen verwendet er dazu Schweizer Rapsöl, am Abend «Biervorlauf», eine Art wässeriges Bier mit Hefe, das im Verlauf der Produktion entsteht. Mit sanftem Druck striegelt der Bauer Kopf, Rücken und Stotzen der Rinder, was die Vierbeiner sich gerne gefallen lassen. Die Behandlung ist angenehm, pflegt das Fell und schützt auch vor Parasiten. 

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 Biernebenprodukte schmecken den Appenzeller Rindern.
 Bild: Viviane Schwizer

Gefüttert werden die Rinder mit Biertreber, einem proteinhaltigen Rückstand in der Bierproduktion, mit Bierhefe und Biervorlauf, der auch bei der Massage zur Anwendung kommt. Dazu kommen Weizenkleie, eine Getreidemischung und reichlich Wasser. Da der Alkohol, der in den Fütterungsprodukten nur etwa zwei Prozent ausmacht, im Wiederkäuermagen (Pansen) abgebaut wird, ist im Fleisch später kein Alkohol mehr auszumachen, wie Dähler in Zusammenarbeit mit der landwirtschaftlichen Schule in Flawil SG sicherstellte. 

Die spezielle Fütterung wirkt sich laut Dähler positiv auf die spätere Fleischqualität aus. «Das Fleisch ist zart und hat einen aparten Nebengeschmack», beschreibt er. Der Ansturm sei so gross, dass Wartelisten bis zu einem Jahr bestünden. Der Appenzeller Bauer beliefert aber auch Spitzenköche in verschiedenen Restaurants in der Schweiz, die sein Fleisch der höheren Preisklasse gerne auf ihre Menükarten setzen.

Die Idee mit der Bierpflege für seine Tiere entwickelte Sepp Dähler zusammen mit Braumeister Karl Locher. Bereits seit 1996 baut Dähler für die einheimische Appenzeller Firma ganz in der Nähe Brauweizen an. Aus dem Erntegut entsteht das «Appenzeller Weizen». Dabei kamen die beiden innovativen Unternehmer immer wieder ins Gespräch: Locher, der einmal in Kobe in Japan seine Ferien verbrachte, erzählte von den dortigen Kühen, die mit Bier, Reiswein und Reisgras ernährt und regelmässig massiert würden. Kobe-Beef gilt als Spezialität der Spitzenklasse. Die Idee faszinierte Dähler. 

Zwar hat die Bauernfamilie eine völlig andere Einstellung zu Tierpflege und Tierschutz als die Japaner. So übernahm Dähler einzig die Grundidee und entwickelte daraus ein eigenes Konzept, das er an schweizerische Verhältnisse anpasste: Das Prinzip «Kabier» (zusammengesetzt aus Kalb und Bier), das die Dählers sogleich lizenzieren liessen, war geboren. Zwar sind heute nur noch Rinder auf dem Hof. Da früher aber auch Muttertiere und Kälber auf «Blindenau» lebten, blieb es bei dem alten, bereits etablierten Namen ­«Kabier». 

Lieber klein bleiben statt ausbauen
Neuerdings erprobt Sepp Dähler das «Kabier»-Konzept auch mit drei Muttersauen bei  Wollschweinen und rund einem Dutzend Edelschweinen, was sich ebenfalls gut anlasse. Als Landwirt und Tierhalter hat er einige Vorstellungen, die er nicht über Bord werfen möchte. Wichtig ist für ihn, dass sein Hof ein Familienbetrieb bleibt. Trotz des Erfolgs möchte er «klein bleiben» und mit seiner Frau und den vier Söhnen nicht expandieren. So wird es bei den 30 Rindern, den rund 20 Freilandschweinen und einigen Schafen bleiben, welche die Familie als Nutztiere hält. Allerdings arbeitet der innovative Landwirt, der selber nicht ausbauen will, mit einigen lokalen Partnern und zudem eng mit seinen Kunden zusammen. «Bei einem herausragenden Produkt muss man die ganze Produktekette im Griff haben. Dazu gehört beispielsweise der Kundenkontakt, darum wird die Vermarktung weiterhin bei mir bleiben», sagt Dähler. 

Zur Weiterentwicklung von «Kabier» gehört für den Bauern auch in Zukunft das Ausprobieren von neuen Kreuzungen. Bis jetzt kreuzte er sein einheimisches Braunvieh mit den Fleischrassen Limousin, Charolais und Angus. Letzthin versuchte er es mal mit einem Wasserbüffel der japanischen Rasse Wagyu, der in seiner Heimat im Appenzellischen lebt. So leben heute  Tiere mit verschiedenem Aussehen bei ihm. «So konnte ich etwas Farbe in den Stall bringen», sagt Dähler und schmunzelt.

Den geschlossenen Kreislauf fördern
Für den Kleinunternehmer mit Visionen zählen weiter «Nachhaltigkeit und ein Produktekreislauf». Stolz ist er, dass er den geschlossenen Kreislauf auf seinem Betrieb schon weitgehend realisieren konnte. Dazu berichtet er: «Wir liefern der Brauerei Getreide zur Bierherstellung. Diese gibt uns ihre Nebenprodukte zur Fütterung der Tiere zurück.» Lokal ist auch das Futtermittel Heu. Zudem wird der Tierdung auf die Felder gebracht, wo dann wieder Gras und Getreide wachsen können.  

Von den Tieren, die rund anderthalb Jahre auf der «Blindenau» leben und durchschnittlich 300 Kilogramm Schlachtgewicht ergeben, sollen ebenfalls möglichst alle Teile verwertet werden und nicht nur das Fleisch. So werden auch Leder und Fell verarbeitet. Aus den Hörnern und Knochen entstehen Schmuck und Hornlampen. Selbst das Fett der Rinder wird zu Seifen verarbeitet. Der Landwirt möchte seinen Tieren ein schönes und stressfreies Leben ermöglichen. Er begleitet sie auch auf ihrem letzten Gang ins regionale Schlachthaus, wo er bis zu ihrem Ableben bei ihnen bleibt. «Ich bin auf einem Bauernhof mit Nutztieren aufgewachsen: Ich weiss, dass Tiere auch wieder sterben müssen, wenn neue geboren werden. Sonst gerät die Balance aus dem Lot», sagt er. 

www.kabier.ch