Alexa ist die Ruhe selbst. Die siebenjährige Holsteiner-Braunvieh-Milchkuh stopft unablässig Heu in sich hinein – völlig unberührt davon, dass Brigitte Kägi an ihr herumhantiert. «Kühe haben ein ruhiges Temperament», sagt die Bäuerin, während sie das Vorgehen beim Rindertaping zeigt. Zuerst striegelt sie die Kuh, da die Bänder nur auf sauberem Fell überhaupt eine Chance haben, zu halten. Dies sei die grösste Herausforderung, da auch Kühe ihre Stoffwechselprodukte über die Haut ausscheiden und die Haut respektive das Fell meist nicht fettfrei sei, kommentiert Kägi und besprayt die zu tapende Stelle mit einer Art Leim, damit das Band besser haftet. Dann setzt sie ein grünes Tape zwischen den Schulterblättern an und zieht es mit geübten Handgriffen dem Rücken entlang bis kurz vor den Hüftknochen, Handbreite um Handbreite fest auf Alexas Fell reibend.

Das Band muss fest und straff sitzen respektive Zug haben, damit es seinen Zweck erfüllt: Wenn Alexa läuft, hebt sich ihre Haut. Dies schafft mehr Raum zwischen Ober- und Unterhaut und steigert die Zirkulation im Gewebe. Dadurch löst es verspannte Muskeln und entlastet die Rückenmuskulatur. Genau dies ist im Sinne des Erfinders: Auf seiner Suche nach einem Weg, wie man Schmerzen ohne Medikamente lindern kann, kam der japanische Chiropraktiker Kenzo Kase auf die Idee, die erste Hautschicht anzuheben. So könne das Blut besser in die verletzte Region fliessen. Weil sich die Schmerzsensoren zwischen den beiden obersten Hautschichten befinden, reduzieren die Kinesio-Tapes Schmerzen.

Bunte Bänder
Kinesio-Tapes für Rinder und Pferde sind dieselben wie für Menschen. Sie haben verschiedene Farben und Wirkungen.

Rot / Pink: Wärmend; führen Energie zu; geben bei Schwächung oder Lähmung wieder Punch.

Blau: Kühlend; abschwellend; wenn die Kuh einen Schlag erwischt hat, bei Verstauchungen, Blutergüssen.

Grün: Kühlend, gleiche Wirkung wie «Blau», aber schwächer.

Hautfarben / Schwarz: Neutral, für Lymphdrainage.

Als Erste verwendeten Sumo-Ringer die bunten Klebestreifen, dann machten die Fussballer David Beckham und Mario Balotelli sie in Europa bekannt. Die Wirkung ist zwar nicht wissenschaftlich bewiesen, aber viele Sportler sagen, dass es ihnen mit den Bändern besser geht. Was also für den Menschen gut ist, muss auch dem Tier nicht schaden, sagten sich experimentierfreudige Therapeuten, und brachten sie zuerst an Pferden an und nun seit einigen Jahren auch an Rindern.

Ostschweizer Pionierin
Brigitte Kägi, Landwirtin und Tierhomöopathin aus dem thurgauischen Affeltrangen, gehört zu den Pionieren des Rindertapings in der Schweiz. Sie habe davon in einer deutschen Fachzeitschrift gelesen und Anbieter in der Schweiz gesucht. Über Umwege stiess Kägi auf die Emmentaler Therapeutin Rösmi Aeschlimann, die bereits Erfahrung mit Pferde- und Rindertaping hatte. Mit Unterstützung des Thurgauer landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrums Arenenberg gab Aeschlimann im Sommer 2014 auf dem Hof der Kägis schliesslich den ersten Rindertaping-Kurs in der Schweiz.

«Er war sehr schnell ausgebucht», erinnert sich Kägi. Das Interesse, vor allem der Bäuerinnen in der Ostschweiz mit ihrer grossen Milchwirtschaft, war gross. Und ist es nach wie vor. Das Rindertaping wendet Kägi vorwiegend als Begleitmassnahme an. Ihr Hauptstandbein für die Behandlung der Rinder ist die Homöopathie. Deshalb finden die Bänder auch nicht sehr oft ihren Weg in die Ställe. Das Anbringen der Bänder und die Materialkosten stehen laut Kägi nicht optimal zum Kosten-Nutzen-Verhältnis. In der Nutztierhaltung wird die Wirtschaftlichkeit einer Behandlung viel mehr gewichtet als bei Pferden. Die Kursteilnehmer können diese Kosten reduzieren, indem sie die Bänder selber bei den Kühen anbringen.

Brigitte Kägi tapet die Kuh Alexa (Video: Petra Stöhr):

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Kein Ersatz für andere Therapien
Auch wenn die Bänder durchaus ihren Preis haben, Kägi benutzt sie immer dann, «wenn es Sinn macht». Zum Beispiel bei Verspannungen, Blutergüssen und stumpfen Verletzungen wie Tritten oder Prellungen. Wenn sich eine Kuh einen Fuss verstaucht hat und lahm geht, bringe sie die Tapes über den ganzen Bewegungsapparat an, um ihn zu entlasten. «Das ist dann ein Stück weit auch Schmerztherapie.» Oder wenn eine Kuh vor der Geburt Wassereinlagerungen hat, klebt sie die Bänder fächerartig an, um den Lymph-Fluss wieder in Gang zu bringen.

Die Gittertapes eignen sich vor allem, um Akupunkturpunkte zu stimulieren. Am richtigen Punkt angesetzt, helfen sie zum Beispiel, eine festsitzende Plazenta nach der Geburt zu lösen. 

Helfend wirken die Bänder schliesslich bei Euterentzündungen (Mastitis). Damit erreicht man, dass das Gewebe entstaut und der Euter entlastet werden. Besonders achtzugeben ist, dass mit der Entstauung nicht zu schnell zu viele Bakterien in den gesamten Kreislauf gelangen, da dies zu einer Blutvergiftung führen kann. Bei diesen Behandlungen muss laut Kägi unbedingt vorher abgeklärt werden, wie gegen die Entzündungen vorzugehen ist. Die Tapes ersetzen keineswegs eine Behandlung, sei sie nun homöopathisch oder schulmedizinisch. Sie ergänzen und unterstützen eine Therapie.

Wie lange die Tapes halten, ist nicht vorherzusagen. Im Optimalfall drei Tage, sagt Brigitte Kägi. Dies sei von der Jahreszeit abhängig: Im Sommer, wenn das Fell der Kühe kurz sei, halte es besser als im Winter mit langen Haaren. «Wenn die Bänder sie stören, gehen sie kurzerhand unter die Bürste, die die Kühe zur Pflege vor allem während des Fellwechsels ohnehin rege benutzen.» Alexa hat die Prozedur des Anbringens problemlos über sich ergehen lassen. Gut beobachtet von einigen der insgesamt 70 Milchkühe im gros­sen Laufstall der Kägis.