Mitten im Englischen Bürgerkrieg zwischen Monarchisten und Parlamentaristen schlugen Oliver Cromwells Parlamentstruppen ihr Winterquartier in Reading westlich Londons auf, wo sie speziell schmackhaften Schinken und Speck zu essen bekamen. Nach dem Krieg, der 1649 mit der Hinrichtung des Königs endete, trugen die Soldaten die Kunde dieser kulinarischen Köstlichkeit ins Land hinaus. So wurde das in der früheren Grafschaft Berkshire und heutigen Oxfordshire beheimatete Berk­shire-Schwein berühmt.

Auftritt von «Royal Sapphire», «Ambassador» und ihrer Rasselbande in Oberwil-Dägerlen ZH. Auf der Aufzuchtweide sorgen zwei Zuchteber, einige Muttersauen und ihr Nachwuchs für Spektakel. Nach heftigen Regenfällen zeigt sich endlich wieder die Sonne. Im Boden finden sich Würmer und andere Leckereien, auch wenn Berkshire weniger wühlen und mehr weiden als andere Rassen, wie ihr Besitzer Fabio Müller erklärt. Wie alle Schweine toben aber auch sie nach Herzenslust in den Pfützen herum. «Ambassador kann einen ganzen Tag im Wasser liegen», sagt Müller. Wie zum Beweis taucht der dreijährige Eber tief ein in die Suhle. Derweil jagt sich ein grös­serer Trupp Jungtiere gegenseitig die von Müller verteilten Leckerlis ab.

Diese Viermonatigen sind im Flegelalter und pinkeln auch mal dorthin, wo die Gruppe am Fressen ist. Ein No-Go unter Schweinen – prompt rüffeln die Mütter ihre Rabauken. «In diesem Alter sind sie am ungezogensten», sagt Müller, «und sie beginnen, das Fressverhalten der Mutter nachzuahmen.» Die einen nehmen wie ein Hund Happen für Happen zu sich, die anderen stürzen alles aufs Mal ins Maul und halten den Rüssel beim Fressen in die Höhe. Muttersau Royal Sapphire mampft am liebsten direkt aus der Schaufel und grunzt dabei zufrieden.

Aus rötlich wurde schwarz
Dann richtet sich die Aufmerksamkeit einiger Sauen auf die Beine des Besuches. Genüsslich reiben sie sich daran, während die Zweibeiner damit beschäftigt sind, auf dem aufgeweichten Boden standfest zu bleiben. In diesem Moment ist man froh darüber, dass Royal Sapphire und Co. kurzbeinig sind und, da sie eine Rippe weniger haben, ihr Körper kürzer ist als jener hiesiger Rassen. Insgesamt sind sie leichter, doch auch sie bringen stattliche 200 Kilogramm auf die Waage.

120 Schweine zählt Müllers Herde, angefangen hat er mit acht. Auf der Suche nach einer Ergänzung zum Projekt «Mein Schwein» schaute er sich vor Jahren in England verschiedene Rassen an. «Am liebsten hätte ich alle genommen.» Schliesslich importierte er als Erster Berkshire-Schweine in die Schweiz. Nach drei Monaten Quarantäne auf der Insel und neun Monaten Abschottung im Kanton Zürich zogen die Sauen und Eber 2017 ins Weinland. Da englische Züchter meist nur wenige Tiere besitzen, und um Inzucht zu vermeiden, stammen Müllers Schweine von verschiedenen Betrieben. Deshalb seien sie auch im englischen Herdebuch mit gut 380 Mutterschweinen und 120 Ebern eingetragen.

Als eigene Rasse registriert wurde das Berk­shire im 18. Jahrhundert. Damals waren die Tiere rötlich mit schwarzen Flecken. Um 1825 begann man, sie mit schwarzen chinesischen Schweinen einzukreuzen – und sie wurden schwarz, während die Füsse, der Schwanz und ein Streifen auf dem aufgewölbten Rüssel weiss sind. Gleichzeitig war die Rasse Liebling von Oberschicht und Hochadel: Die Königsfamilie hielt lange eine Herde auf Windsor Castle, und das erste namentlich bekannte Berkshire war der von Queen Victoria gezüchtete Eber «Ace of Spades». 1841 brachten Diplomaten Berkshire-Schweine als Geschenk nach Japan, wo sie «Kurobuta» (schwarzes Schwein) heissen.

Zu literarischen Ehren kam die Rasse in George Orwells «Farm der Tiere» mit Eber «Napoleon». Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte der Niedergang des Berkshire, da die Menschen Geschmack gefunden hatten am magereren Schinken hellhäutiger Rassen. 2008 galt die Rasse als vom Aussterben bedroht. Dass sie überlebte, ist einigen getreuen Anhängern zu verdanken, wie die «British Pig Association» schreibt.

Genetisch bedingte Vorteile
Dazu beigetragen habe auch die Entwicklung in Japan. Dort ist das marmorierte Fleisch des Kurobuta analog zu Kobe-Rind eine gefeierte Delikatesse. Zur Blutauffrischung ihrer Zuchten greifen die Japaner auf englische Berkshire zurück. Das «Kuro», wie Müller die Tiere in Anlehnung an die fernöstliche Bezeichnung nennt, hat den Ruf, besonders neugierig und agil zu sein. Auch Müller mag ihren Charakter. «Sie sind gmögig> und haben einen guten Mutterinstinkt. Im Gegensatz zu anderen Rassen kann man problemlos zur Mutter und ihren Ferkeln hingehen», sagt er, während alle nahe bei der Sau stehen, an der sieben Kleine nuckeln. Diese Kleinsten auf der Weide sind wenige Wochen alt und entfernen sich nie weit von den mütterlichen Zitzen.

Müllers Berkshire verbringen ihr ganzes Leben auf der Weide mit Suhle und Hüttchen. Sie fressen, was die Weide hergibt. Damit sie genug Eiweiss zu sich nehmen, bekommen sie zweimal täglich eine Ackerfruchtmischung. Das Futter ist wichtig, «denn man schmeckt, was das Schwein zu fressen bekommen hat». Doch Berkshire haben laut Müller auch genetisch bedingte Vorteile: Kürzere Muskelfasern sowie einen hohen Anteil an Amino- und Omega-3-Fettsäuren machen ihr Fleisch so zart, saftig und geschmacksintensiv, dass sich die Kunde der kulinarischen Köstlichkeit von der Britischen Insel aus in die Welt hinaus verbreitete.

www.kuro.ch

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