«Das isch ds Wollis», wird dem Besucher aus der Üsserschwiiz erklärt, dem Grüezini, der zum ersten Mal einem Ringkuhkampf beiwohnt, diesem «archaischen Spektakel im Herzen Europas», wie die Zeitschrift «Der Spiegel» einst berichtete. «Das ist das wichtigste Ereignis im Wallis», meint ein adrett gekleideter Herr, der den Hauptsponsor des Anlasses vertritt. Ein urchiger bärtiger Mann in blauer Bluse neben ihm nickt und sagt: «Das ist der Walliser Geist.» 

Lassen wir uns ein auf diesen Geist – in Raron beim Stechfest in der Arena Goler. Eine Regionalausscheidung. 4000 Zuschauer. Hier begegnen sich Eringerkuhzüchter aus dem Ober- und dem Unterwallis: einfache Bauern und Millionäre, die gleichermassen stolz sind auf ihre kämpfenden Kühe.

Obwohl die Ringkuhkämpfe seit 1923 ausgetragen werden, geht es dabei weniger um Folklore als um Leidenschaft und Ruhm. Im Zentrum steht die Eringer Kuh, eine alte Haustierrasse. Es sind trittsichere, robuste und anspruchslose Tiere, besonders gut dem steilen Gelände der Alpen angepasst, und bemerkenswert intelligent, wie die stolzen Besitzer, die sogenannten Stecher, versichern.

Im Ring leben sie ihren natürlichen Kampftrieb aus. Dabei zählen Kraft, Taktik und Ausdauer. Unter ihrem schwarzen, bisweilen rötlich glänzenden Fell spielen imponierende Muskelstränge. Mit weisser Farbe sind die Startnummern auf die Flanken gemalt. Die Kampfkühe dürfen ihr kräftiges Gehörn behalten, anders als 90 Prozent der anderen Kühe der Schweiz.

Gute Kämpferinnen haben kleine Ohren
Schon neben dem Ring beginnt das Taktieren. Manche Stecher suchen sich für ihre Kämpferinnen einen Platz weit weg vom Ring. Andere binden ihre Favoritin provokativ an den nächsten Baum. Die meisten Kühe verhalten sich friedlich und käuen wesensgemäss wieder. Anderen merkt man das Kämpferische an, auch in der Pause. Sie zerfetzen den Strunk, an dem sie festgemacht sind, graben mit den Hörnern und Hufen tiefe Kuhlen in die Erde, schnauben. Begegnet ein Wanderer diesen Kühen auf einer Alp­weide, hat er aber nichts zu fürchten. «Eringer sind eine sehr friedliche Rasse», versichern die Stecher unisono.

Wetten sind offiziell verboten, machen die Sache aber interessanter. Doch auf wen setzen? Da ist Rat bei einem erfahrenen Stecher gefragt. Klaus Furrer geht mit seinen besten Kämpferinnen seit 1969 an Stechfeste. Er kam schon mit einigen Siegerinnen zurück in den Stall. «Auf die Ohren muss man schauen», verrät Furrer und bietet einen Schluck Roten aus seinem Boutilli an, dem traditionellen Holzgefäss der Walliser. Dann behauptet er: «Kühe mit kleinen Ohren kämpfen besser. Auch ein schmaler Kopf weist auf starke Kämpferinnen hin.»

Eine Königin im Stall verleiht dem Besitzer Ruhm und Profit: Er erzielt bessere Preise für ihre Kälber. Und ihr eigener Wert steigt von rund 4000 auf mitunter bis zu 40 000 Franken. Den Kühen hingegen geht es einzig um die Vorrangstellung in der Gruppe. Und die wird durch das Gesetz der Stärkeren bestimmt. Ein besonderes Training brauchen die Eringer nicht. «Das Kämpfen muss eine im Blut haben», sagt Furrer. Steht die Hierarchie im Stall fest, wird die Rangordnung der Ställe geklärt, danach die der Herden, der Dörfer, der Alpen, der Regionen und schliesslich die im Kanton: beim grossen Finale in Aproz, bei dem jeweils 10 000 Zuschauer mitfiebern. 

Ernsthafte Verletzungen gibt es kaum
Die Ringkuhkämpfe sind die einzigen Kämpfe mit Tieren, die in der Schweiz erlaubt sind. Sie sind streng reglementiert. Der Kantons­tierarzt erlässt jährlich spezifische Tierschutzvorschriften. Es dürfen nur gesunde Kühe teilnehmen; die Hörner dürfen nicht zugespitzt sein; stiersüchtige und brünstige Kühe werden nicht zugelassen. 

Seit 1996 gibt es Dopingkontrollen, einen Dopingfall gab es noch nie. Trotzdem werden dann und wann Kühe gesperrt, mitunter lebenslang. Etwa, wenn eine Kuh einen Spielleiter auf die Hörner nimmt. Aber das passiere äusserst selten, wird dem Grüezini gesagt. Auch für die Kühe seien die Kämpfe ungefährlich. Der Tierarzt habe dann und wann eine blutende Wunde zu desinfizieren, damit sie sich nicht entzünde, sagt Kommissär und Jurymitglied Adrien Karlen. «Ernsthafte Verletzungen gibt es aber kaum. Und wenn doch, wird der Besitzer finanziell entschädigt.»

Karlen und seine Jurykollegen schauen, dass alles korrekt verläuft. Während der Kämpfe den Überblick behalten, ist nicht einfach. Zehn, zwölf Kühe sind gleichzeitig im Ring und achttausend Zuschaueraugen verfolgen das Geschehen – und entdecken immer wieder vermeintliche Fehlentscheide. Dann schimpft das Publikum: «Chasch nid bringu», und fordert: «Jury abfiru!» Die Jury aber bleibt. Abgeführt werden dagegen die Kühe mit drei Minuspunkten: Sie müssen den Ring verlassen. Eine Niederlage zählt einen Minuspunkt, ein Sieg gibt einen Pluspunkt. 

Die sechs Kampfleiter im Rund, die Rabatteure, sind die Cowboys des Spektakels: wackere Kerle, die im Ring zwischen den kämpfenden Kühen stehen, in schweren Schuhen und mit hölzernem Stock in der Hand. Sie müssen verhindern, dass sich zwei kämpfenden Kühen eine dritte nähert. Das erfordert Aufmerksamkeit und Geschicklichkeit. Denn wenn eine Kuh den Kampf verliert, dreht sie sich oft zackig um und rennt los. Dann steht man ihr besser nicht im Weg.

Nicht jede Kuh hat Bock aufs Kämpfen
Spiele. Sonne. Fendant. Das Stechfest geht seinem Höhepunkt entgegen. «Nummer 48 und Nummer 18 zusammenführen», ruft der Jurysprecher. Mit gewölbter Stirn und geblähten Nüstern stehen sich die beiden gegenüber.Es kommt zwar selten vor, aber manchmal hat eine Kuh keinen Bock. Dann dreht sie sich ab und trottet davon oder grast demonstrativ. 48 und 18 hingegen schnauben, scharren und werfen Erde auf. Sie poffen, wie der Fachmann sagt: stehen sich mit gesenktem Kopf drohend gegenüber. Dann der Angriff. Ein dumpfer Donner, wenn die Schädel aufeinanderprallen. Die Hörner verkeilen sich, die Hufe suchen Halt. Je 600 Kilogramm geballte Kraft stemmen sich gegeneinander.

Die Kühe schären, wie der Fachmann sagt, wenn sie mit kurzen, ununterbrochenen Hornstössen die Gegnerin auszutricksen versuchen; sie stricken, wenn sie Hornstösse austeilen; und sie werfen die Gegnerin weg, wenn sie die entscheidende Attacke machen. Manche Kämpfe dauern wenige Sekunden, die meisten einige Minuten.

48 siegt. Das Gellen der Glocken wird schriller. Dann wird 48 von 16 weggeworfen und flieht. Pfeifen von den Rängen. 16 wirft 32 weg. Johlen. 16 wirft auch 12 weg, dann 18. «18 abführen», ruft der Sprecher. Dann: «48 abführen» und «12 abführen» – bis nur noch eine übrig bleibt: die Königin. Sie trifft beim Finale auf die Siegerinnen der anderen Regionalausscheidungen – um die «Königin der Königinnen» zu küren.

Das Finale in Aproz findet am 11. Mai statt.
www.finale-cantonale.ch