Wer Katharina Bitterli kennenlernt, merkt sofort: Das ist eine Frau, die weiss, was sie will. Ihr Händedruck ist fest, ihr Blick direkt – und sie steht im wahrsten Sinn des Wortes mit beiden Beinen auf dem Boden. In robusten Gummistiefeln. Sie kommt gerade zurück vom Auslauf mit ihren fünf Hunden, allesamt Border Collies. Neugierig beschnüffeln sie die Besucherin und folgen danach brav ihrer Meisterin ins Haus. Die 52-Jährige ist Bäuerin in Häfelfingen BL. 2003 beschlossen sie und ihr Mann, der den Betrieb ein paar Jahre zuvor von seinem Vater übernommen hatte, von der Milchwirtschaft auf Fleischproduktion umzustellen. «Wir hätten aufgrund von neuen Vorschriften viel Geld investieren müssen – in Stallumbau, neue Melkmaschinen und anderes mehr. Zu viel Geld», erzählt Bitterli. 

Und wenn man schon dabei war, sich neu zu orientieren, warum nicht noch einen Schritt weiter gehen? Statt Kühe, Schafe zu halten? Die konnte man mit Raufutter, mit dem, was die 17 Hektaren Land der Bitterlis hergeben, ernähren. Man würde kein Futter, auch kein Kraftfutter dazukaufen müssen. Graslandbasierte Fleischproduktion heisst das im Fachjargon. Sie trennten sich von den Kühen und schafften Schafe an.

Statt zu jammern, handelt sie
Aber auch in der Landwirtschaft bleibt nichts, wie es immer war. «Kaum hatten wir umgestellt, fiel der Fleischpreis.» Als weiteres Ärgernis stellte sich die Wolle heraus. Der Betrag, den der Bund den Schafzüchtern dafür bezahlte, wurde von Jahr zu Jahr kleiner. 2009 gab es noch 90 Rappen pro Kilo weisser Wolle, weil die Bitterlis gescheckte Kreuzungsschafe haben, sogar nur 30 Rappen. Was pro Schaf und Jahr nicht einmal drei Franken ausmachte. Zehn Franken im Jahr kostete jedoch allein das Scheren eines Schafes, das jeweils zwei Mal jährlich von einem Profi durchgeführt wurde. Für Katharina Bitterli, die mittlerweile den Bauernbetrieb allein führte – ihr Mann arbeitete nun Vollzeit bei einem Lastwagenunternehmen – ging diese Rechnung immer weniger auf. «Die Wolle brachte mir nichts ausser Umtriebe und Kosten.» Aber statt zu jammern, handelte sie. 

Sie erinnerte sich daran, vor einiger Zeit in einer Fachzeitschrift einen Artikel über die Zucht einer Schafrasse gelesen zu haben, die ihre Wolle im Frühling von selbst verliert. Eine sogenannte Haarschaf-Rasse. Sie forschte im Internet nach, bis sie wusste, dass diese Zucht ein Gemeinschaftswerk des landwirtschaftlichen Zentrums von Baden-Württemberg in Aulendorf und der landwirtschaftlichen Fachhochschule in Niedersachsen war. 

Die neue Rasse, eine Kreuzung aus dem deutschen Merino-Schaf und dem englischen Wiltshire-Hornbock, hiess «Nolana», was so viel bedeutet wie «keine Wolle». Kurzerhand reiste sie nach Deutschland, nach Aulendorf, um solche Schafe zu kaufen. Doch dort wollte man die forsche Schweizerin zunächst abwimmeln. «Erst als sie im Laufe des Gesprächs merkten, dass ich eine professionelle Schafzüchterin bin, gingen sie ernsthaft auf mein Anliegen ein.» Ein paar Wochen später konnte Bitterli drei Nolana-Auen importieren, im folgenden Jahr kamen weitere 15 plus ein Bock dazu. «2011 hatte ich die ersten Nolana-Lämmer.»

Das Schaf der Zukunft
Berufskollegen, denen Bitterli von dieser Rasse erzählte, schüttelten nur den Kopf. «Sie sagten, ich spinne. Ein Schaf ohne Wolle sei kein Schaf, sondern eine Geiss.» Sie irren. Dieses unendliche Wollwachstum sei den Schafen im Verlauf ihrer Domestizierung angezüchtet worden, sagt Bitterli. Davor habe ein Schaf wie andere Pelztierarten, wie ein Hund oder eine Katze, sein Fell den Jahreszeiten entsprechend gewechselt. «Weltweit gibt es mehr Schafrassen ohne Wolle als mit. In Südamerika beispielsweise gibt es kaum Wollschafe, dort werden die Schafe für die Fleischproduktion gehalten. Für die Wolle haben sie Lamas oder Alpakas.» Anders in der Schweiz. Hier wurden Schafe ursprünglich ausschliesslich für die Wollgewinnung gezüchtet, Lammfleisch zu essen war bis vor ein paar Jahrzehnten bei der einheimischen Bevölkerung kein Thema. Inzwischen ist es aus der Fleischküche nicht mehr wegzudenken, während es für die Wolle kaum noch Abnehmer gibt. 

Deshalb ist für Bitterli das Nolana-Schaf das Schaf der Zukunft. «Es ist ein gutes Schaf, es ist – weil aus bestehenden europäischen Rassen herausgezüchtet – robust und gesund, ein gutes Muttertier und es gibt einen hohen Fleischertrag.» Ausserdem: Bei dieser Rasse fallen nicht nur die Schurkosten weg, sie bietet auch noch einen Mehrwert. Die Schafe treten die abgefallenen Wollflocken in die Weide ein und sorgen damit für die Düngung des Bodens. Schafwolle habe einen hohen Stickstoffgehalt und einen beachtlichen Schwefel- und Kaliumanteil, weiss Bitterli, die ursprünglich Chemie studiert hatte. 

Ihre Nolana-Familie wächst. Von der insgesamt rund 180 Tiere grossen Herde war dieses Jahr bereits ein Drittel Nolana – 55 weibliche Tiere und vier Böcke. Im nächsten Frühling werden es dementsprechend mehr sein. Als Fleischproduzenten sind die Schafe jedoch vorläufig nicht vorgesehen. Ihr Ziel sei erst mal die Zucht dieser Rasse und der Verkauf von Zuchttieren, sagt Bitterli. Sie hat sich denn auch ein Zuchtbuchprogramm im Computer installiert, in dem sie alle wichtigen Parameter einträgt. Und nun will die Baselbieter Bäuerin zusammen mit einer Handvoll weiterer Nolana-Pioniere dieser Schafrasse in der Schweiz zum Durchbruch verhelfen. Als Erstes mit der Gründung einer Interessengemeinschaft. Zu diesem Zweck sind alle an der Zucht oder Haltung von Nolana-Schafen Interessierten am Samstag, den 29.  November auf den Hof der Bitterlis geladen.*

In einer Gemeinschaft könne man «alles, was wichtig ist, bündeln» – das Inventar von Haltern und Tieren, Informationen über Erfahrungen und Entwicklungen, Ansprechpartner. Wichtig ist für Bitterli auch die Zusammenarbeit mit Deutschland. Dort sind die Nolana inzwischen als Rasse anerkannt, mit 500 registrierten Auen sei im Nachbarland der genetische Pool inzwischen auch breit genug, um ohne Inzucht überleben zu können, dennoch wolle man die Nolana noch ein paar Jahre als Versuchsrasse für die weitere Optimierung offen behalten. Dass die Haarschaf-Rasse auch in der Schweiz immer mehr Liebhaber finden würde, daran zweifelt Ka- tharina Bitterli nicht. «Die Wirtschaftlichkeit spricht klar für dieses Schaf.» Aber ihr ist auch klar: «Alles Neue braucht seine Zeit, das muss zuerst ein bisschen gären.»

Dazu noch Trüffel und Seide
Bei Bitterli selbst dauert es weniger lange, bis sie sich von einer Idee anstecken lässt. Ja, sie scheint geradezu anfällig dafür zu sein. Nebenbei erzählt sie, dass sie vor zwei Jahren eine Trüffelplantage angelegt und einen ihrer Hunde, den jungen Titus, zum Erschnüffeln des «schwarzen Goldes» trainiert habe. Ach ja, und ganz neu wolle sie sich an der Seidenproduktion versuchen. Um herauszufinden, ob ihr der Umgang mit Raupen liegt, züchtete Bitterli zuerst 150 Exemplare in der Küche.

Sie stellte fest, dass sie es mit dem Krabbeltierchen konnte. Also liess sie den Keller zur Raupenzuchtstation umbauen und pflanzte diesen Herbst 30 Maulbeerbäume auf ihrem Land. «Nächsten Frühling sollte ich mit der Seidenproduktion beginnen können.» Ihr Plan ist, in fünf bis sechs Jahren 20 000 Raupen aufzuziehen und weitere 100 Maulbeerbäume zu pflanzen. Diese Frau weiss, was sie will – auf keinen Fall stehenbleiben.

*Anmeldungen für das Treffen der Nolana- Interessierten: bis 24. November 2014 bei Katharina Bitterli, Tel. 062 299 13 56 oder an-bitterli@bluewin.ch

Weitere Informationen unter:  www.nolana-schafe.ch, www.swiss-silk.ch, www.homburger-trueffel.ch