Dass manche Bauern in ihrem Stall klassische Musik laufen lassen, damit die Kühe mehr Milch geben, ist bekannt. Ob diese Milch dann auch besser schmeckt, ist eine andere Frage. Von den Milchprodukten, die daraus entstehen, ganz zu schweigen. Immerhin wissen wir jetzt, wie es sich mit Käse verhält, den man während der Reifung mit Musik beschallt. Denn genau dieser Frage ist eine Gruppe des Studiengangs «Sound Arts» der Hochschule für Künste Bern (HKB) nachgegangen. Konkret wollten sie wissen: Beeinflussen Schallwellen den Stoffwechselprozess von Käse derart, dass die Auswirkungen aromastofflich nachweisbar und kulinarisch spürbar sind?

Für das Experiment, das im Käsehaus K3 im bernischen Burgdorf stattfand, wurden letzten September neun Laibe Emmentaler in getrennte Holzkisten gepackt. Fünf davon bespielten die Studierenden während sechseinhalb Monaten ununterbrochen mit je einem Musikstück von Led Zeppelin (Rock), A Tribe Called Quest (Hip-Hop), Yello (Ambient), Vril (Techno) und Mozart (Klassik). Drei weitere Laibe resonierten zu einem künstlich erzeugten Sinuston in den Frequenzen 25, 200 und 1000 Hertz. Keine zufällige Auswahl: «Wir fragten uns, wie ein Käse reagiert, wenn er synthetischer Musik ausgesetzt ist, und wie, wenn die Musik mit traditionellen Instrumenten produziert wurde. Wie, wenn der Sound viel Dynamik und viele Klangfarbenwechsel hat, und wie, wenn er monoton bleibt», sagt Sound-Arts-Studiengangleiter Michael Harenberg. Dem letzten Käse, der als Referenz dienen sollte, gönnte man absolute Ruhe. 

Rock: Led Zeppelin mit «Stairway To Heaven»:

[EXT 1]

Überhaupt herrschte Stille im Käsekeller. Eine normale Beschallung mit Lautsprechern wäre nicht möglich gewesen. «Um eine Wirkung zu entfalten, hätte die Musik so laut sein müssen, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstanden hätte», sagt Harenberg. Deshalb wurde ein sogenannter Körperschallwandler eingesetzt, der die Kisten und damit die Laibe spürbar zum Vibrieren brachte. 

Hip Hop: A Tribe Called Quest mit «Jazz (We've Got) Buggin' Out»:

[EXT 2]

Monotoner Sound fördert die Reifung
Das Endergebnis liessen die Verantwortlichen doppelt untersuchen. Zum einen führte die Forschungsgruppe Lebensmittel-Sensorik der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) eine aromastoffliche Analyse durch. Zum anderen verkostete eine siebenköpfige Jury mit Vertretern aus der Gastro- und Kunstszene die Käse. Eine biochemische Untersuchung steht noch aus.

Die Wissenschaftler der ZHAW kommen zum Schluss, dass der beschallte Käse im Vergleich zur unbeschallten Referenzprobe generell von milderem Geschmack ist. Zudem weisen sie darauf hin, dass der Hip-Hop-Käse in Geruch und Geschmack auffällig fruchtig ist und sich dadurch deutlich von den anderen Proben abhebt. Das freut insbesondere den K3-Käsermeister Beat Wampfler. Er höre zwar lieber Rock als Hip-Hop, sagt er, sehe darin aber die Chance, eine Brücke zu schlagen zwischen Anhängern dieser urbanen Subkultur und der ländlich-urchigen Schweizer Tradition. Auf den Punkt gebracht: «Chäs und Musig bringt ‹people together›».

Ambient: Yello mit «Monolith»:

[EXT 3]

Geschmacklich deckt sich die Wahrnehmung der Jurymitglieder zum Grossteil mit den Ergebnissen der ZHAW. Auch sie empfinden den Hip-Hop-Käse, der übrigens deutlich grössere Löcher aufweist als die anderen, als fruchtig und süsslich. Ähnliches gilt für die Probe, die mit dem tiefen 25-Hertz-Sinuston beschallt wurde. Die beiden Laibe, die der 200- und 1000-Hertz-Frequenz ausgesetzt waren, haben dagegen einen eher würzigen Geschmack, wie auch die unbeschallte Referenzprobe. Alle anderen Käse bewegten sich im Bereich «milde Mitte». 

Für Michael Harenberg von der HKB sind die Resultate erstaunlich: «Sie bedeuten, dass abwechslungsreiche Musik den Reifungsprozess eher behindert, während monotoner Sound ihn fördert. Was sich am Ende im Geschmack niederschlägt.» Wobei der ZHAW-Bericht festhält, dass die sensorisch wahrnehmbaren Unterschiede über alles gesehen eher klein sind und es zwar denkbar, aber überhaupt nicht zwingend ist, dass diese von der Beschallung herrühren. Selbiges gilt für die Farbe der Käserinden und die Teigkonsistenz, die nicht bei allen Käsen gleich sind.

Techno: Vril mit «UV»:

[EXT 4]

Weitere Versuche wären nötig
Das Experiment, das ist auch den Projektverantwortlichen klar, entbehrt in dieser einmaligen und beschränkten Form jeglicher wissenschaftlichen Relevanz. Damit bleibt es – solange nicht das Gegenteil bewiesen wird – nicht mehr als ein originelles, durchaus aber interessantes Kulturprojekt. Daran ändert auch nichts, dass die Käse aus derselben Milch vom selben Bauern und vom selben Käser im selben Chessi hergestellt wurden. Um gesicherte Ergebnisse zu erhalten, müssten umfangreichere und standardisierte Versuchsreihen durchgeführt werden. Erst wenn solche zum gleichen oder zu einem ähnlichen Schluss kommen, kann von einer möglichen Kausalität gesprochen werden. 

Klassik: Auschnitt aus der «Zauberflöte» von Mozart:

[EXT 5]

Nichtsdestotrotz spricht Käsermeister Wampfler bereits jetzt von der Schaffung eines «innovativen Produkts mit grosser Marketingwirkung für die ganze Region». Dass er dereinst Hip-Hop-Käse verkaufen wird, schliesst er nicht aus, relativiert aber: «Eine kommerzielle Nutzung müsste zuerst sauber evaluiert werden. Dafür ist es aber noch zu früh.» Derweil heben die HKB-Verantwortlichen den ungewohnten kulturellen Austausch zwischen Kunst und Handwerk hervor, der dank des Projekts stattfinden konnte. Dabei, sagen sie, sei künstlerisches Wissen in einen nicht künstlerischen Kontext eingebracht worden. Wie es weitergeht, ist noch offen. Aufgrund des Projekterfolgs und des grossen medialen Interesses, auch im Ausland, prüfen die HKB und K3 derzeit, ob und in welcher Form sie die gezielte Beschallung von Käselaiben weiterführen wollen. 

Beitrag der HKB zum Käse-Experiment:

[EXT 6]