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«Morgensport» bei den Damhirschen auf dem Thurhof von Martin Schurter in Ossingen.
(Videos: Petra Stöhr)



Prinz legt seinen Kopf leicht schräg und schliesst die Augen. Genüsslich lässt er sich hinter den Ohren kraulen und an der Stirn streicheln. Fehlt nur noch, dass er anfängt zu schnurren. Denn Prinz ist keine Katze, sondern ein Hirsch. Ein Damhirsch mit beeindruckendem Geweih, von dem blutige Hautlappen herunterhängen. Er ist dabei, an Bäumen und Totholz die Basthaut zu fegen, unter der in den letzten Monaten ein neuer Kopfschmuck gewachsen ist.

Der achtjährige Stier ist Chef der Damhirschherde von Martin und Sandra Schurter in Ossingen im Zürcher Weinland. Prinz ist ein Wildtier und trotzdem – wie seine gleichaltrige Halbschwester Rosalie – sehr zutraulich. «Ihre Mütter haben sie nicht säugen lassen», erklärt Martin Schurter, «deshalb haben wir sie mit Schafmilch von Hand aufgezogen.»

Während Prinz den Besuch anstupst, ihn weiter zu verwöhnen, ist Rosalie zurückhaltender. Weil sie gerade Mama ist. Im Frühling ist dies laut Schurter anders. So rennt Rosalie mit der Herde auf und ab, seltsame Laute – eine Mischung von Vogelgezwitscher und Eselsgeschrei – ausstossend. Normalerweise sind Damhirsche vor allem in der Dämmerung aktiv. Dann sind sie auf der Weide auf Futtersuche, und einige Kindermädchen beschäftigen den Nachwuchs. «Morgensport» nennt Schurter dies lachend. Tagsüber dagegen liegen sie in erster Linie herum. Doch wenn Besuch kommt, ist vieles anders. Schurter wirft Äpfel auf die Weide, und die Lust auf die Leckereien ist schnell grösser als die Skepsis vor den Fremden. Ob Äpfel, Pflaumen, Zwetschgen, Birnen oder Rosskastanien: Damhirsche sind wahre Obstgourmets. Gut, dass Martin Schurter zur Beschattung der Weiden viele Obstbäume gepflanzt hat.

Nie zu viel Wildfleisch
2005 war dies. Zwei Jahre, nachdem er von einem Zeitungsartikel mit dem Titel «Wild hat noch Platz in der Nische» derart fasziniert war, dass er begann, sich mit der Hirschhaltung zu befassen. Der Optik wegen entschieden sich die Schurters für Damhirsche: «Sie sind sehr elegante Tiere.» Mit ihrer Schulterhöhe von 80 bis 100 Zentimetern sind sie zwar grösser als Rehe, aber deutlich leichter als Rothirsche, die an den Böden mehr Schäden anrichten können und zudem eine Suhle brauchen.

«Zur Haltung geeignet sind Rot- und Damhirsche», sagt Schurter. Für beide Arten schreibt das Tierschutzgesetz zwei Meter hohe Zäune vor. 70 Prozent der Hirschhalter in der Schweiz entscheiden sich für Damwild. Von den restlichen 30 Prozent halten die allermeisten Rotwild und einige wenige Sikahirsche oder andere Exoten. Insgesamt zählt die Schweiz etwa 650 Hirschhalter, darunter auch Zoos und Tierparks, mit gut 15 000 Tieren. Die Schweizerische Vereinigung der Hirschhalter, deren Präsident Schurter seit 2016 ist, vertritt 220 Halter.

Bevor Martin Schurter in die Hirschhaltung einstieg, war sein Thurhof auf die Rindviehmast spezialisiert und auf den Direktverkauf des Fleisches vor Ort. Er habe eine weniger aufwendige Ergänzung zur Munimast gesucht und vor allem Fleisch, das nicht jeder anbieten könne. Schurter wollte also bewusst eine Nische besetzen. «Wir werden nie zu viel Wildfleisch haben», sagt er und nennt Zahlen: 70 Prozent des Wildfleisches, das auf Schweizer Tellern landet, ist importiert. 97 Prozent des einheimischen Fleisches stammt aus der Jagd: «Wir Hirschhalter sind eine Nische und bleiben es.»

Jährlich bis zu zehn Tiere in die Zucht
Dass Schweizer bereit sind, für Schweizer Wild mehr zu bezahlen, weiss der Hirschhalter aus Erfahrung. Beim Start im November 2005 bezogen zehn Hirschkühe und ein Stier die Koppeln à 150 bis 180 Aren. Heute weiden hier 150 Tiere und fressen – neben ihrem

geliebten Obst – hauptsächlich Gras, Heu und Emd. Der Jahreszyklus beginnt mit der Brunft im Oktober, November. Nach gut neun Monaten kommen die Jungen im Juni, Juli zur Welt. Meistens ist es ein Kalb pro Kuh und Setzzeit, sehr selten sind es zwei. Diese Jungtiere, die rund einen Drittel der Herde ausmachen, werden ein Jahr später von September bis Anfang Oktober geschossen, ehe die nächste Brunft beginnt.

Einige Besitzer locken die Tiere vor dem Abschuss in separate Gehege, Schurter lässt die ganze Herde beieinander. «Wenn die Jäger gut positioniert sind, bleiben die Tiere ruhig.» Die Schüsse der drei Jäger führten auch nicht dazu, dass die Hirsche wegrennen. Im Gegenteil: Sie wollen sich aus dem Herdentrieb heraus gegenseitig beschützen und bleiben beieinander. Das Abschussprozedere beginnt mit einer Lebendtierschau, bei der das Veterinäramt die Hirsche optisch begutachtet. Bekommen die Jäger das Okay, werden die Tiere auf der Weide geschossen und ein Stör-Metzger nimmt sie aus. Danach nimmt das Veterinäramt die Fleischschau vor. Erst dann kann der Metzger das Fleisch zubereiten.

Zurück auf dem Thurhof, wird das Wildfleisch etikettiert und vor Ort verkauft – rund 800 Kilogramm von 40 Jungtieren pro Jahr.

Zusätzlich dazu gibt Schurter jährlich bis zu zehn Tiere für die Züchtung ab. Einige ältere Hirschkühe, die bis zu 15 Jahre alt werden, werden ebenfalls geschossen und durch Jungtiere ersetzt, sagt er. Auch den Stier wechselt er aus Inzucht-Gründen regelmäs-sig. Noch aber ist Prinz der Chef der Damhirsche von Ossingen. 

www.thurhof.ch


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