Es ist ein bezaubernder Anblick. Friedlich grasen sieben stämmige Rösser und drei Fohlen auf der Weide. Im Hintergrund durchdringen über der malerischen Kulisse des Stockhorns ein paar Sonnenstrahlen die Wolkendecke. Gemächlich stapft eines der Kaltblutpferde auf seinen Besuch zu, um sich eine Streicheleinheit abzuholen. Es nimmt die sanften Handbewegungen am Kopf zufrieden zur Kenntnis. Wie man es noch besser macht, zeigt seine Besitzerin Tamara Wülser. Zielsicher ertastet sie eine Stelle am Bauch und krault diese. Genüsslich räkelt der rund eine Tonne schwere Koloss seinen Kopf in die Höhe und bewegt seine Lippen. 

Die Szene verdeutlicht, wie harmonisch hier das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist. Für Wülser ist das in doppelter Hinsicht elementar. Zum einen ist ihr aus Überzeugung an einer guten Beziehung zu ihren Pferden gelegen und zum anderen ist sie auf deren Zuneigung für ihren Geschäftszweig angewiesen. Zusammen mit ihrem Freund Bernhard Bütikofer bietet Wülser nämlich ein in der Schweiz sehr seltenes Produkt an: Stutenmilch. «Pferde geben nur Milch, wenn sie sich absolut wohlfühlen und Vertrauen zu einem haben», sagt die 28-Jährige, die vergangenes Jahr mit ihrem Lebensgefährten den Stockhornhof in Uebeschi BE unweit von Thun erworben hat.

Tamara Wülser zeigt, wie sie ihre Stuten melkt

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Damit hat sich das Paar einen Traum erfüllt. Die Idee stammt zwar von Bütikofer, der während seiner Ausbildung zum Agrotechniker eine Arbeit über Stutenmilch geschrieben hat, aber auch Wülser war sofort Feuer und Flamme davon. Die frühere Turnierfahrerin wollte schon lange etwas machen, bei dem das Pferd ein Freund und Partner statt eines auf Leistung getrimmten Sportgeräts ist. Auf ihrem rund sieben Hektaren grossen landwirtschaftlichen Betrieb beherbergen die beiden aktuell 15 Pferde. Darunter befinden sich sechs Ardennerstuten und eine Burgdorferstute. Nachdem im vergangenen Jahr drei Hengstfohlen auf die Welt kamen, stehen die nächsten drei Geburten Ende Juni an. 

Medizin in Kapselform
Die ersten zwei Monate bekommen dann nur die Fohlen Milch von ihren Müttern. In dieser Zeit stärkt das sogenannte Kolostrum mit seinem hohen Fettgehalt und Nährstoffen das Immunsystem der Jungtiere. Erst ab dem dritten Monat melkt Wülser die Stuten mit einer umgebauten Geissenmelkmaschine. Das sei vollkommen anders als etwa das Melken von Kühen, weil man Pferde überlisten müsse, sagt Wülser und schmunzelt dabei. «Ich kenne da ein paar Kniffe. Das Lieblingsfutter hilft zum Beispiel. Und Streicheln.» Falls es doch nicht klappe, sei das eben so. Schliesslich könne man nichts erzwingen.

Pferde geben nur Milch, wenn sie sich absolut wohlfühlen und Vertrauen zu einem haben.

Tamara Wülser

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Um täglich über vier bis fünf Monate an rund einen Liter pro Pferd zu gelangen, ist neben den kleinen Tricks auch ein behutsames Vorgehen nötig. «Wir trennen zwei Stunden vor dem Melken die Stuten von den Fohlen, damit sich das Euter besser füllt», erklärt Wülser. Während des Melkvorgangs seien die Jungtiere wieder anwesend, damit keine Unruhe entstehe. Davor und danach bleibe ihnen mehr als genug Milch, versichert Wülser, da eine Stute jeden Tag 20 bis 25 Liter Milch gibt, also nur eine verhältnismässig kleine Menge gemolken wird.

Insgesamt liegt der Milchertrag auf dem beschaulichen Stockhornhof bei 150 bis 180 Litern pro Jahr und Pferd. Da die Stutenmilch nicht pasteurisierbar und damit nicht haltbar ist, wird sie direkt nach dem Melken vakuumiert und eingefroren. Anschliessend verarbeitet sie ein Labor mittels schonenden Gefriertrocknungsvefahrens zu Milchpulver und füllt dieses in natürliche Zellulose-Kapseln ab. Wie Tabletten sind sie zum Schlucken gedacht und entfalten eine medizinische Wirkung. So haben Studien ergeben, dass Stutenmilch hilft, die Darmflora zu stabilisieren und Darmerkrankungen sowie Hautkrankheiten wie Neurodermitis zu lindern. «Unsere Kundschaft besteht vor allem aus Menschen mit solchen Beschwerden», erzählt Wülser.

In Asien beliebt, in der schweiz rarStutenmilch ist vor allem in Asien ein altbekanntes und populäres Naturheilmittel zur Linderung zahlreicher Krankheiten. Da sie deutlich weniger Keime als Kuhmilch hat und der menschlichen Milch ähnelt, dient sie dort auch als Säuglingsnahrung. In der Schweiz gibt es neben dem Stockhornhof nur wenige weitere Anbieter. Dazu zählen der Hof Mühlematt in Zullwil SO, der Stall Kuster in Schönholzerswilen TG, der Bauernhof Lärbode in Romoos LU und das Gestüt Red Horse in Muri AG.

Fohlen landen nicht im Schlachthof
Zwar hat diese besondere «Medizin» ihren Preis, eine Packung mit 120 Kapseln, die für eine 40-tägige Kur reicht, kostet 89 Franken, doch sei dieser wegen des aufwendigen Herstellungsverfahrens und aufgrund der positiven Wirkung gerechtfertigt, sagt die studierte Agronomin. Deshalb wolle sie die Stutenmilch nicht nur über den Hof und das Internet vertreiben, sondern auch Drogisten und Dermatologen anbieten. Diese wüssten oftmals vom gesundheitlichen Wert der Stutenmilch, haben aber Bedenken wegen negativer Bilder aus dem Ausland, wo die Tiere nicht immer vorbildlich gehalten werden und zahlreiche Fohlen auf der Schlachtbank landen. 

Diesbezüglich gibt Tamara Wülser Entwarnung. «Bei uns geht kein Fohlen zum Schlachter. Wir behalten sie entweder für die Nachzucht oder verkaufen sie.» Auch aus diesem Grund haben sie und ihr Freund sich für Kaltblüter entschieden. Diese seien wegen ihres ruhigen Wesens nicht nur fürs Melken gut geeignet, sondern auch als Freizeitpferde gefragt. «Auf Wunsch ziehen wir die Pferde gerne drei Jahre lang bei uns auf und bilden sie aus, zum Beispiel als Kutschenpferde.»

Trotz ihres nachhaltigen, tiergerechten Umgangs mit den Stuten und Fohlen sieht sich Wülser immer wieder mit kritischen Stimmen konfrontiert. Sie reagiert darauf, indem sie Kritiker zu sich auf den Hof einlädt, um diesen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Mit Erfolg. Ein Blick auf die zufrieden und glücklich wirkende Herde lässt daran keine Zweifel aufkommen.

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