An der Expo Bulle, dem nationalen Wettbewerb der Rassen Holstein und Red Holstein, kam es im März zum Eklat: Als die Tierärztin Julika Fitzi-Rathgen, Leiterin der Fachstelle Tierversuche und Projektleiterin Tierausstellungen beim Schweizer Tierschutz (STS), den Stall in Augenschein nehmen wollte, kam es zu einem Handgemenge und zu Handgreiflichkeiten. Zum Glück konnte Fitzi-Rathgen von einigen Personen beschützt und hinausbegleitet werden. Was war passiert, dass einige Züchter derart überreagierten? 

Der Grund ist bei den Änderungen im schweizweit geltenden Ausstellungs-Reglement der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Rinderzüchter (ASR) zu suchen, welche seit Ende 2017 in Kraft getreten waren. «Die wichtigste Neuerung ist die Einführung von Euter-Ödemkontrollen mittels Ultraschall», sagt Markus Gerber von der ASR. Diese geht auf eine Studie von Tierarzt Adrian Steiner von der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern zurück. Steiner zeigte auf, dass der Euterfüllungsgrad bei Schaukühen mittels Ultraschall differenziert gemessen werden kann. Dabei geht es hauptsächlich darum, die für die Tiere äusserst schmerzhaften Euterödeme zu vermeiden. 

Laut angepasstem ASR-Reglement wird der tierärztliche Ödembefund mittels Ultraschall nun in drei Schweregrade eingeteilt. Bei Schweregrad 1 muss der Züchter dabei mindestens vier Liter abmelken, bei Schweregrad 2 und 3 sollten die Kühe komplett ausgemolken werden. Julika Fitzi-Rathgen findet die angewandte Methode jedoch nicht sinnvoll. «Die Schmerzen setzen bei den Kühen schon weit vor einer Ödembildung ein. Die Kontrollen erfolgen also eindeutig zu spät», sagt sie. Zudem verstehe sie nicht, dass bei einem Ödem nicht grundsätzlich komplett ausgemolken werden müsse.

Gruppenweises Melken als Lösung
Die Kontrollen gelten überdies nur für einige wenige Kühe. «Welche von ihnen kontrolliert werden, legt die Kontrollkommission selber fest. Meist sind es die Siegerkühe», sagt Markus Gerber. Dieses Auswahlverfahren werde daher immer wieder stark kritisiert, räumt er ein. «Ebenfalls stark beanstandet wird der Zeitpunkt der Kontrollen – aktuell erst nach der Vorführung und Rangierung im Ring», sagt Gerber. Die ASR diskutiere deshalb derzeit, ob eine Kontrolle vor der Präsentation im Ring nicht sinnvoller wäre. Man habe aber entschieden, die gegenwärtig geltenden Vorgaben während vier Ausstellungen umzusetzen und anschliessend die Ergebnisse auszuwerten und allfällige Anpassungen zu diskutieren. Diese Auswertungen sind derzeit noch nicht abgeschlossen. 

Kritik erntet die ASR auch, weil es keine verbindlichen Vorgaben in Bezug auf die maximalen Zwischenmelkzeiten je nach Laktationsstand der Tiere gibt. «Die Kühe sollten an Ausstellungen blockweise und eingeteilt in Kategorien nach Laktationsstand kontrolliert und vor Ort gemolken werden müssen», fordert Julika Fitzi-Rathgen. Das betrachtet auch Markus Gerber als gangbaren Weg. An der «Bruna» sei ein gruppenweises Melken bereits umgesetzt worden. Im ASR-Reglement heisst es lediglich: «Als verbotene Handlung gilt das Verlängern der Zwischenmelkzeiten in einem Mass, welches das Wohlbefinden des Tieres beeinträchtigt.» 

Solche vagen Vorgaben haben, gemäss Gerber, damit zu tun, dass man sehr stark an die Eigenverantwortung der Züchter appelliere. «Diese wird aber oft nicht ausreichend wahrgenommen. Auch deshalb wird die Forderung nach Euterkontrollen vor der Präsentation im Ring immer wieder laut», sagt er. Dies fordert auch der Schweizer Tierschutz. «Die ASR wertet in ihren Richtlinien den visuellen Eindruck des Euters höher als die Ultraschallkontrollen. Aus meiner Sicht ist das eine Farce», sagt Julika Fitzi-Rathgen. Sanktionen würden aus Sicht des STS sowieso viel zu wenig strikt durchgesetzt. 

Markus Gerber gibt zu, dass es bei der Weiterverfolgung von Sanktionen zurzeit noch Probleme gibt. An Ausstellungen ausgesprochene Verwarnungen sollten an die ASR weitergeleitet werden, nach drei Verwarnungen wird der Züchter für ein Jahr von sämtlichen Ausstellungen ausgeschlossen. «Wir haben aber derzeit Probleme bei der Weiterleitung der Angaben, weil die Datenschutzlage nicht vollständig geklärt ist», sagt Gerber. 2017 wurden vier Sperren ausgesprochen und danach überwacht. «Wir haben aber festgestellt, dass es präzisere Angaben zu den einzelnen Tieren braucht, die zum Zeitpunkt der Sperre im Besitz des angeklagten Züchters wären», sagt Gerber. Denn die Sperre gilt grundsätzlich für sämtliche Tiere dieses Züchters. Die Überprüfbarkeit bleibt also eine Herausforderung für die ASR. 

Passionierte Züchter oder «Verrückte»?
Bei der Umsetzung der Richtlinien kommt den Ringrichtern eine wichtige Rolle zu. Sie haben die Kompetenz, Kühe mit stark überfüllten Eutern von der Rangierung auszuschliessen. Doch dies kommt kaum vor. «Kein Richter kann alleine für das Tierwohl verantwortlich sein, aber er sollte es bei seiner Arbeit unbedingt einfliessen lassen», sagt Gerber. Er wünsche sich von den Richtern mehr Sensibilität. Dies gelte insbesondere für Richter aus dem nordamerikanischen Raum. 

Umgekehrt haben sich jedoch mehrere Schweizer Holstein- und Red-Holstein-Ringrichter im März in einem Brief an die ASR über die zu rasche Umsetzung der Richtlinien und den Miteinbezug der Studie von Adrian Steiner ins Reglement beschwert. Sie kritisieren, dass Züchter, die mit ihren Tieren an Ausstellungen teilnehmen, dadurch nicht als passionierte Züchter, sondern als «Verrückte» angeschaut würden. 

Nutztier-Status als Problem
Auch der STS hat am ASR-Reglement noch einiges zu bemängeln. Zum Beispiel, dass die Verwendung von Zitzenklebern offiziell erlaubt sei. Achtprozentiges Collodium ist für die äusserliche Versiegelung der Zitzen offiziell zugelassen. «Achtprozentig deshalb, weil man davon ausgeht, dass dies nicht ausreicht, um einen Euter längerfristig abzudichten», sagt Julika Fitzi-Rathgen. Daher seien die Züchter dazu übergegangen, davon so viele Schichten aufzutragen, bis das Euter dicht sei. Zudem werde bis heute noch immer Sekundenkleber verwendet, auch wenn dies laut Reglement klar verboten ist. Auch hier entpuppe sich die Überprüfbarkeit als ein gros-ses Problem. 

Der letzte Haupt-Kritikpunkt des STS in Bezug auf Viehausstellungen ist das fehlende Verbot eines übermässigen Stylings. Das Reglement hält zwar fest, dass das überlange Fixieren der Tiere in einer unnatürlichen Körperhaltung verboten sei. Dies ist jedoch lediglich eine vage Vorgabe. Und so hat der STS auch an den letzten Viehausstellungen mehrere Züchter beobachtet, die sich mehr um das Aussehen ihrer Kühe scheren als um deren Wohlergehen. 

«Ich bin erstaunt, dass bei Hundeveranstaltungen im Gegensatz zu Viehausstellungen solche Quälereien schon lange verboten sind und das von den Züchtern auch akzeptiert wird», sagt Fitzi-Rathgen und spricht damit ein grundsätzliches Problem an. Kühe werden nach wie vor als Nutztiere wahrgenommen, ein ganz anderer Status, als wir ihn unseren Haustieren zuerkennen.