Der Spiegelschaf- und Skudden-Trupp liegt eng beieinander im Schatten ausladender Bäume und ist am Wiederkäuen. Die 37 Tiere kann scheinbar nichts aus der Ruhe bringen. Doch kaum betreten Michael Dieterle und Hirtenhund Pit den eingezäunten Hang am Basler Margarethenpark, jucken die Schafe auf und rennen, lautstarkes Mäh-Mäh inklusive, den Hügel hinauf. Die Spiegelschafe voraus, die Skudden hinterher – immer schön auf den fünfjährigen Border Collie achtend. Pit treibt sie zur «Arbeit» ans obere Ende der Weide, wo es noch viel Brombeer-Gebüsch zum Wegfuttern hat.

Die kleine Herde gehört dem Unternehmen «Naturpflege», das Dieterle und Christian Fluri 2011 in Bubendorf BL gründeten. Der LKW-Mechaniker, Arbeitsagoge und gelernte Zimmermann Dieterle wollte etwas tun für die Vielfalt in der Natur. Der Landschaftsarchitekt Fluri begegnete bei seiner Arbeit regelmässig verbuschten oder verödeten Flächen. Gemeinsam kamen sie auf die Idee, Schafe dort einzusetzen, wo Maschinen mehr zerstören als pflegen. «Uns schwebte eine Wanderschäferei im urbanen Gebiet vor», erklärt Dieterle, «und wir haben schnell gemerkt, dass wir offene Türen einrennen.»

Nach drei Jahren hatte «Naturpflege» so viele Aufträge, dass von der ursprünglichen Idee, dies als sich selbst tragendes Hobby zu betreiben, längst nicht mehr die Rede war. Dieterle stieg voll ein ins Business mit den Schafen als Rasenmäher. Und die Firma wurde grösser. Der Biologe Florian Neumann zog mit seiner Herde aus dem Wallis nach Oberwil BL und stieg als Partner ein. Später kamen das Biolandwirtepaar Daniel und Esther Müller in Bettlach SO hinzu. «Mittlerweile sind wir an einem Punkt, an dem wir einen Geschäftsführer für den Mutterbetrieb brauchen, der ein Flair für Tiere hat und anpacken kann», sagt Fluri.

Ideale Aufgabe für seltene Rassen
Derzeit arbeiten an den drei Standorten elf Personen und auf gut 150 Flächen pro Jahr 360 Schafe und 20 Ziegen für «Naturpflege». Im Einsatz sind die ProSpecieRara-Rassen Engadinerschafe, Skudden, Spiegelschafe, Walliser Landschafe, Capra Grigia und Walliser Schwarzhalsgeissen. Dass sie mit seltenen Rassen arbeiten wollten, war den «Naturpflege»-Gründern von Anfang an klar. Diese seien vom Aussterben bedroht, da ihre Milch- oder Fleischleistung nicht wirtschaftlich genug sei, sagt Dieterle. «Doch mit jedem Auftrag schaffen wir einen neuen Lebensraum für die Tiere, die damit wieder eine Wirtschaftlichkeit erhalten.»

Plötzlich berühmt
Die britische BBC berichtete ebenso davon wie der amerikanische Sender NBC, die russische Station Russia Today oder Zeitungen rund um den Globus: Im Mai 2015 waren die «wooly workers» in Diensten der SBB plötzlich berühmt. Filme zeigten die von «Naturpflege» ausgeliehenen Schafe bei ihrer Arbeit auf Wiesen und Böschungen entlang der Gleise. Die Herde grase pro Tag 1000 Quadratmeter ab, schreibt die SBB dazu. Insgesamt würden in der Schweiz 2700 Hektar Böschungen gepflegt, was einer Fläche von 3800 Fussballfeldern entspreche.

Als weiteren Grund nennt er den Erhalt des Ökosystems. Maschinen würden alles wegmähen – lebensnotwendige Strukturen für Kleinlebewesen inklusive –, während Schafe solche Strukturen sogar schaffen. «Deshalb sind sie gut für die Grünpflege», so Dieterle. Als Beispiel zeigt er einen verbissenen Grashalm, an dessen mittlerweile verholztem Ende sich ein kleines Loch befindet. «Hier legt ein Insekt seiner Eier ab.» Andere Insekten bräuchten für die Eiablage von den kleinen Schafhufen aufgescharrte Stellen, erklärt er, auf ein kahles Stück Boden neben einigen Grasbüscheln deutend. Und für gewisse Pflanzen sei der Schafkot, der den Hang hinabkullert, der ideale Nährboden.

Für die raren Rassen spricht schliesslich, dass sie gut mit Futter auskommen, das weniger Eiweiss und mehr Raufasern enthält. Genau solches gilt es auf den Flächen zu fressen, auf denen die Tiere im Einsatz sind. Die besonders genügsamen Walliser Landschafe lieben Brennnesseln. Wenn es viel Gehölz hat, arbeiten sich Engadinerschafe zusammen mit Ziegen daran ab. Den «Holzertrupp» nennt ihn Fluri lachend: «Die Schafe fressen am Boden, die Geissen stehen auch auf und fressen die Sachen in der Höhe weg.»

Und Brombeeren haben alle Rassen gern. So müssen die Spiegelschafe und die Skudden auch den 3000 Quadratmeter grossen Hang am Margarethenpark von der Verbuschung durch wuchernde Brombeeren befreien. «Schafe gehen an die Endtriebe und die Blätter», erklärt Dieterle, wie dies funktioniert, «dadurch wächst die Brombeerpflanze nicht mehr so explosionsartig.» Fluri ergänzt, dass es dafür eine kurze Periode von gut zehn Tagen und den Druck von vielen Tieren braucht. «Dies ist eine gelenkte Kurzzeitbeweidung, für die es die richtigen Tiere, den richtigen Zeitpunkt und die richtige Zeitspanne braucht», sagt der Landschaftsarchitekt.

Der passende Zeitpunkt und die ideale Zeitspanne hängen von der Art und der Grös­se des Areals ab und vom Ziel, was darauf zu erreichen ist. In den meisten Fällen setzen Dieterle und Fluri ihre Tiere zwei- bis dreimal jährlich ein. Muss hingegen eine von Brombeeren, Neophyten oder Blacken verkrautete Fläche regelrecht saniert werden, können die Schafe laut Fluri auch drei- bis fünfmal dort unterwegs sein. 

Absage an Wien
«Aktuell sind 16 Gruppen im Einsatz», sagt er. Die Basler Parkanlage ist eines der typischerweise angefragten Gebiete, doch die Schafe «säubern» auch Naturschutzgebiete, Friedhöfe, private Gärten, steile Hänge hinter dem Haus oder abschüssige Borde. Internationale Aufmerksamkeit erhielten sie vor Jahren, als sie entlang der Bahnlinien weideten (siehe Box). «Sinnvoll sind sie zudem in Sickerbecken, die mühsam von Hand zu pflegen sind», ergänzt Fluri.

Anzutreffen sind die vierbeinigen Trupps von der Nordwestschweiz bis ins Zürcher Unterland. Selbst Wien hatte Interesse an den Bubendorfer Schafen: «Ein Mitarbeiter der Basler Stadtgärtnerei steckte unser Geschäft einem dortigen Kollegen», erinnert sich Fluri. Doch die Anfrage aus der österreichischen Hauptstadt lehnten Dieterle und Fluri aus logistischen Gründen ab. Die Wiener Episode zeigt aber, dass das Potenzial riesig wäre, wie Fluri sagt. Doch: «Mehr Schafe auf mehr Einsatzflächen bedeuten auch mehr Arbeit.»

Am Hang am Margarethenpark schaut Dieterle täglich nach dem Rechten: «Hier hat es viel Publikumsverkehr. Nach einer heis­sen Sommernacht müssen wir ... naja viel Müll wegräumen.» Und obwohl ein Plakat aufklärt, was die Schafe hier tun, rufen die Menschen regelmässig die Polizei an.

Manchmal werde auch Nützliches gemeldet, sagt Dieterle. Etwa, dass ein Tier hinke oder sich im Gebüsch verfangen habe. Doch über die Anrufe, weil die Tiere angeblich zu kalt, zu heiss oder kein Wasser haben, ärgert er sich. «Hier hat es Bäume als natürliche Schattenspender, an anderen Orten stellen wir einen mobilen Unterstand hin.» Ausserdem haben sie immer genügend Wasser und Lecksalz, um ihren Mineralienhaushalt im Lot zu halten.

Winterpause bis März
Jeder Einsatz ist minutiös geplant. Alles, was die Schafe nicht fressen oder anknabbern dürfen wie hier die Bäume, wird mit Netzen geschützt respektive ein- oder ausgezont. Auf einem Friedhof muss sich also niemand Sorgen machen, dass sich die Tiere an den Blumen auf den Gräbern gütlich tun. Die Auftraggeber bezahlen der Firma «Naturpflege» eine Pauschale für die Einrichtung der Weide plus einen Fixbetrag pro zu pflegenden Quadratmeter.

Wenn es nun im Oktober kälter wird, neigt sich die Weidesaison für die Schafe dem Ende zu und sie beziehen ihr Winterquartier. Dafür mietet das Unternehmen zwei Ställe, wo dann die Lämmer in der Herde zur Welt kommen. «Wir haben jedes Tier selber gezüchtet», erklärt Dieterle, «und machen eine klare Geburtenkontrolle.» Das heisst eine strikte Regelung, welche Aue von welchem Bock trächtig ist und wann gelammt wird. Die Geburten fänden innert kurzer Zeit statt: «Wir wollen dabei sein, um die Lämmer den Müttern zuordnen zu können.»

Im März, wenn es wärmer wird, ziehen die ersten Schafe wieder los zur Arbeit. Darunter eine eigene Böckegruppe mit 15 Tieren, die Fluri als «gmögig» und mit einer klaren Hierarchie beschreibt. Chef des Trupps sei das Engadinerschaf «Ramiro», der zwar keine Hörner habe, aber dennoch eine gewaltige Erscheinung sei.

Auch das Basler Grüppchen frisst einträchtig nebeneinander stehend Unerwünschtes vom Boden ab. Die kleinen Skudden sind eher scheu wie Rehe, aber charakterstark. «Eine Mutter erzieht ihre Kleinen autoritär, die andere sucht ihre den ganzen Tag», sagt Dieterle schmunzelnd, «und innerhalb der Herde haben sie ihre Freundinnen.» Derweil sind die Spiegelschafdamen die mutigeren – die zutraulichste von allen ist Vroni, die auch mal ganz nahe an die Kamera geht und das ungewöhnliche Objekt neugierig beschnuppert.