Jedes Jahr vor den Sommer- und vor den Herbstferien wird Armin Bählers Bauernhof in Elgg ZH von Schulklassen überrannt. Während die Kinder dann über das fussballfeldgrosse Grundstück stürmen, halten seine Tiere in aller Seelenruhe ihr Nickerchen und lassen sich keinen Augenblick stören. Denn Bählers Vieh muht und grunzt nicht – es trägt Häuschen und klebt unter Brettern. Bähler ist Weinbergschneckenzüchter.

«Die Kinder reagieren eigentlich nur positiv», sagt er. «Je kleiner die Schnecke ist, desto herziger ist sie natürlich.» Keine Spur von Ekel also bei den jungen Besuchern. Höchstens, wenn Bähler ihnen dann erzählt, wofür er denn Tausende von Weichtieren in seinem Garten grosszieht: «Ich sage ihnen vielleicht nicht grad, dass ich die Schnecken schlachte und köpfe. Aber ich erzähle ihnen offen, dass ich sie verarbeite, um sie zu essen.»

Weinbergschnecken erfreuen sich einer grossen Beliebtheit in der Gourmetküche – und der Trend zeigt laut Bähler nach oben. «Ich habe viele Restaurants als Kunden, und die bestellen immer fleissiger bei mir.» Schnecken sind in – und Produkte aus einheimischer Erzeugung sowieso. Deshalb rentiert heute das Geschäft für den ersten und grössten Schneckenzüchter der Schweiz, auch wenn die hiesigen Preise nicht mit der ausländischen Zucht konkurrenzieren können. «Bei mir kostet eine Schnecke gut einen Franken. Im Ausland kriegt man doppelt so viel für den halben Preis.»

Eine spontane Idee
Angefangen hat es im Eulachtal mit der Schneckenzucht eher zufällig. 2003 war das, wie Bähler erzählt. «Mein Vater sah im Fernsehen einen Beitrag über Weinbergschnecken, kam dann zu mir und fragte: ‹Junior, machen wir eine Schneckenzucht?›» Er grinst dabei, wie er es immer wieder tut, wenn er von seinen Schnecken erzählt. Es ist ein stolzes Grinsen, aber auch eines, das verrät, dass die Schneckenzucht auch für ihn, auch nach 15 Jahren, nichts Alltägliches ist.

Kein Monat verging, nachdem die Bählers ihre Idee ausgeheckt hatten, schon fuhren sie nach Deutschland, wo es bereits Züchter gab, und besorgten sich 15 000 Weinbergschnecken. Helix pomatia. In der Schweiz hatte niemand Ahnung, wie so eine Zucht funktionieren sollte, also begann Bähler mit seinem Vater zu tüfteln. Zäunte Gartenbeete ein und schichtete Holzlatten zu Tipizelten – so sehen die Schneckengehege aus. «Tagsüber verstecken sie sich im Schatten unter den Brettern», erklärt Bähler und dreht eines der Scheite um. Tatsächlich kleben darunter Dutzende von Schnecken. «Abends lege ich Futter auf die Bretter, dann kriechen sie hervor und fressen.»

Schnecken sind etwas für Geduldige. Das musste auch Bähler erfahren. Die einheimischen Schnecken brauchen drei Jahre, bis sie ausgewachsen und damit schlachtreif sind. Prompt wurde just in jenem dritten Jahr das Elgger Schneckenfeld überschwemmt. Die Katastrophe für den Neo-Schneckenzüchter. «Es haben vielleicht zehn Prozent der Tiere überlebt.» 

Bähler dachte ans Aufgeben, kam aber dann auf die Turboschnecke. So nennt er die mediterrane Variante, die Gefleckte Weinbergschnecke (Helix aspersa). Turbo nicht etwa, weil sie durch den Garten flitzt, sondern weil sie schon nach einem Jahr ausgewachsen ist. Mit ihr bekam die Zucht den nötigen Schwung. Doch das Tüfteln ging weiter – und dauert bis heute an. «Wir wollten erst nur die Tiere aufziehen und sie dann lebend ab Hof verkaufen», erinnert er sich. 

Aber mit lebenden Schnecken lässt sich kein Geld machen. Also kam die Produktion dazu. Eine kleine Industrieküche quasi. Einmal pro Woche ist «Metzgete», wie Bähler selbst sagt. Dann werden die ausgewachsenen Weinbergschnecken säckeweise «geerntet» und mitsamt Häuschen ins kochende Salzwasser geworfen. «Das tötet sie rasch und löst die Spannung im Haus.» Nun kann das Tier aus dem Häuschen gezogen werden.  

Die Schnecken brauchen Winterruhe 
Anders als bei Wirbeltieren sind die Organe von Schnecken nicht im Körperinneren, sondern in einem Eingeweidesack. «Alles, was bei uns im Bauch ist, hat die Schnecke zuhinterst im Haus», erklärt Bähler. So enfällt ein aufwendiges Ausweiden. Abschneiden und fertig. Dann wird noch das Schneckengebiss entfernt, jedes Tier von Hand gereinigt und nochmal gekocht. So landet die Schnecke im Einmachglas, immer zwei Dutzend in einem. Rund 1500 Tiere werden an so einem Schlachttag in Elgg verarbeitet.

Leben kann Armin Bähler von seiner Schneckenzucht auch inklusive Verarbeitung und Schnecken-Bistro für Besuchergruppen nicht. Zumindest noch nicht. «Dafür wäre ein ganzjähriger Betrieb nötig.» Und das wäre nur mit entsprechend geheizten Innenräumen machbar. So muss Bähler seine Schnecken vorerst jedes Jahr in die Winterruhe schicken. Erst recht, weil die Turboschnecke aus dem Mittelmeerraum den Schweizer Winter draus­sen nicht überstehen würde. 

Schneckenleber als letzter Schrei
Während seine Schnecken also auf den nächsten Frühling warten, hat Bähler im Winter einen Zweitjob – und tüftelt weiter an der Zukunft seiner Schneckenzucht. Schon jetzt holt er praktisch alles aus der Schnecke heraus, was diese hergibt. Neben dem Fleisch im Glas verkauft er in seinem kleinen Hofladen etwa einen Likör aus Zwetschgenbrand und Schneckenextrakt. Die leeren Häuschen verkauft er an Bastler oder Gastronomen. «Ein Restaurant in Zürich bestellt bei mir jeden Monat tausend Häuschen. In denen wird dann Schneckenfleisch aus dem Ausland serviert.» Der Preis machts aus.

Auf dem Tresen stehen auch Gläser mit Schneckenschleim-Hautcremen zum Verkauf. Ausserdem experimentiert Bähler in einem alten Autounterstand mit Kaviar – in Salzlake eingelegte Schneckeneier. «Im ersten Jahr habe ich gleich 15 Kilo produziert», sagt er, nicht ohne Stolz. Als er dann ausbauen wollte und sich zwei grosse Garagen dazumietete, legten die Schnecken kein einziges Ei mehr. «Das Klima hat ihnen einfach nicht gepasst, es war ihnen entweder zu warm, zu kalt, zu trocken oder zu feucht.» 

Der Kaviar ist also vorerst auf Eis gelegt, dafür tüftelt Bähler schon an der nächsten exquisiten Spezialität: Leber, eine winzige, spiralenförmige Wabbelmasse aus dem Innersten des Schneckenhäuschens. Dank dem neuen Lebensmittelgesetz, das die Verarbeitung von Weichtier-Innereien erlaubt, will der Schneckenzüchter diesen gewöhnungsbedürftigen Gaumenschmaus bald an experimentierfreudige Feinschmecker verkaufen. Er glaubt, die Zeit sei reif dafür: «Vor ein paar Jahren haben noch alle die Nase gerümpft, als ich von Schneckenleber geredet habe», sagt er. «Heute findet sich in jeder Besuchergruppe mindestens jemand, der das gerne einmal probieren würde.»