Chirurgie-Professorin Christine Radtke besitzt 21 Spinnen. Ungefähr einmal pro Woche werden diese Tier maschinell «gemolken», so werden in einer Viertelstunde bis zu 200 Meter Spinnenseide gewonnen werden. Mit diesen Fäden will Radtke geschädigte Nerven reparieren, wie ihre Universität, die Meduni Wien, schreibt. Bei Tieren hätten sich so Nervenschädigungen bis zu sechs Zentimetern Distanz überwinden lassen.

Die Seide stammt von goldenen Radnetzspinnen. Diese Art, heimisch in Tansania, spinnt so starke Netze, dass tansanische Fischer diese zum Fischen verwenden. Ihre Spinnenseide ist reissfester als Nylon und viermal dehnbarer als Stahl und ausserdem bis 250 Grad Celsius hitzestabil, wasserfest und sie wirkt auch noch antibakteriell. Diese Eigenschaften machen sie für die biomedizinische Forschung interessant.

Venen werden mit Spinnenseide gefüllt
Derzeit gibt es laut der Meduni Wien in der plastischen und rekonstruktiven Chirurgie vor allem Bedarf bei so genannten langstreckigen Nervenverletzungen im peripheren Nervensystem ab fünf Zentimetern Länge – etwa nach einem schweren Unfall oder nach einer Tumorentfernung. Bisher konnten die MedizinerInnen neben der limitierten Nerventransplantation nur künstliche Röhrchen einsetzen, um durchtrennte Nerven wieder zu verbinden. Das funktioniere aber nur über kurze Distanzen bis maximal vier Zentimeter gut.

Daher hat Radtke gemeinsam mit Forschern der Medizinischen Hochschule Hannover, von wo die Chirurgin im Oktober 2016 nach Wien kam, eine neue mikrochirurgische Methode entwickelt, bei der Venen mit Spinnenseide als längsverlaufende Leitstruktur gefüllt werden. «Das funktioniert praktisch wie ein Rosengitter», erklärt Radtke. «Die Nervenfasern benützen die Seidenfasern, um daran entlang zu wachsen um das gegenüberliegende Nervenende wieder zu erreichen. Die Seide bietet den Zellen gute Haftung, unterstützt die Zellbewegung und fördert die Zellteilung.»

Mehrere hundert Meter Seide für ein paar Zentimeter Nerven
Bei Tieren seien die Nervenfasern binnen neun Monaten funktionsfähig zusammengewachse. Das Gerüst aus Spinnenfäden werde vom Körper vollständig abgebaut, Abstossungsreaktion gebe es keine. Für die Überbrückung eines Nervenschadens von sechs Zentimetern seien mehrere hundert Meter Seide nötig. Der Spinne geschieht beim Abmelken des Faden nichts.

Um die Spinnenseide auch in klinischen Studien am Menschen einsetzen zu können, wird derzeit an der Zertifizierung als Medizinprodukt gearbeitet. Danach seien weitere Einsatzbereiche denkbar, so die Chirurgin, etwa in der Orthopädie bei Meniskus- oder Bandverletzungen und bei tiefen Hautverbrennungen als möglicher Hautersatz. Möglicherweise könnte die Spinnenseide künftig auch bei anderen neurologischen Erkrankungen eingesetzt werden, bei denen Zelltransplantationen eine Rolle spielen.