Es ist ein ungemütlicher Tag im Januar. Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt regnet und windet es stark. Doch das beeindruckt die Esel auf dem Landwirtschaftsbetrieb Eichhof in Dägerlen ZH überhaupt nicht. Neugierig geht ein halbes Dutzend von ihnen auf seine Besucher zu und stupst diese sanft an. Auch der kleine Eliot, ein amerikanischer Miniatur­esel, mischt munter mit und lässt sich beim Buhlen um Streicheleinheiten nicht von den deutlich grösseren Langohren den Schneid abkaufen. Eliot unterscheidet sich aber nicht nur durch seine Statur von den anderen Grautieren. Er trägt an diesem Tag auch als Einziger eine Decke. Seine Halterin Rahel Trüb hat den Kälteschutz für ihn massgeschneidert. 

«Als Wüstentier ist der Esel eigentlich nicht für das nasskalte Wetter gemacht», sagt die 38-Jährige, die den Offenstall auf dem Biobauernhof mit aufgebaut hat, dort regelmäs­sig aushilft und neben Eliot auch noch den Hausesel Leo untergebracht hat. Sie vergleicht das Grautier mit exotischen Tieren wie Skorpionen. Für sie müsse man auch die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, um sie in Mitteleuropa artgerecht zu halten. Auf die Idee mit der wärmenden Decke kam Trüb, als sie in einem strengen Winter mehrere Esel vor Kälte zittern sah. «Eine Decke wirkt Wunder dagegen. Das Problem war jedoch, dass es auf dem Markt fast nur Pferdedecken gibt, die Eseln nicht passen.» Erst recht nicht einer so kleinen Rasse wie dem Miniaturesel. 

Doch nicht nur an Decken, sondern allgemein ist das Angebot an Eselzubehör äusserst rar. Diese Lücke hat die Berufswahl von Trüb massgeblich beeinflusst, wie sie erzählt. Sie schloss eine Lehre zur Sattlerin ab, machte sich danach selbstständig und spezialisierte sich auf Hufschuhe, Heunetze, Weidemaulkörbe, Fliegenschutz und andere nützliche Utensilien für Esel. «Besonders gefragt sind zurzeit Taschenreitkissen», erzählt Trüb. «Sie haben Polster, die die Wirbelsäule schonen und dank eines x-förmigen Bauchgurtes nicht gegen die Beine des Esels scheuern.» Wenn die Fachfrau für Leder und Textil über ihre Lieblingstiere spricht, ist es unüberhörbar, wie sehr ihr das Wohl von Eseln am Herzen liegt. 

Die Leidenschaft für die genügsamen Tieren entstand bei Trüb bereits von Kindesbeinen an. Sie wuchs neben einem Bauernhof auf und verliebte sich dort sofort in das Eselfohlen Pablo, mit dem sie ihre Jugendzeit verbrachte. «Esel haben mit ihrer ruhigen und gemütlichen Art eine meditative Wirkung. Sie entschleunigen den hektischen Alltag. Und man kann nicht über sie herrschen, sondern muss eine auf Dialogen basierende Partnerschaft eingehen. Das gefällt mir», sagt Trüb, die früher einen Katalanischen Riesenesel und vier weitere Esel hatte.

Bei einem Eseltreffen in Deutschland stiess sie dann zufällig auf amerikanische Miniatur­esel und merkte, dass ihr die Rasse noch in ihrer «Sammlung» fehlte. Ihr zweiter Esel Leo gehört mittlerweile übrigens ihrer 14-jährigen Tochter. Diese kaufte das Tier ihrer Mutter mit ihrem Taschengeld ab und reitet es.

Wertvolle Patenschaften Leo und Eliot leben zusammen mit zehn Eseln von anderen Haltern in einer Gemeinschaft des Pensionsstalls Eichhof. Fünf Esel werden zudem in einer separaten Gruppe von einer Familie auf dem gleichen Gelände gehalten. Dort hat sich auch Ruth Seiler eingefunden. Die 71-Jährige kommt jede Woche aus der Stadt Zürich, um als «Gotti» den sizilianischen Zwergesel Willi auszuführen. Die rüstige Rentnerin ignoriert das garstige Wetter und striegelt Willi liebevoll. Das kleine Langohr geniesst die Fellpflege sichtlich und geht bereitwillig auf einen Spaziergang mit. «Ich gehe gerne mit ihm zum Einkaufen oder Altglas entsorgen», sagt Seiler. Die Aufmerksamkeit der Passanten ist dem ungewöhnlichen Duo dabei sicher. Die Reaktionen seien aber durchweg positiv.

Seit rund einem Jahrzehnt kümmert sich Seiler um Willi. Denn, was Reitbeteiligungen bei Pferden sind, sind Patenschaften bei Eseln. «Nach der Pensionierung wollte ich unbedingt Zeit mit einem Tier verbringen. Ein Haustier hätte mich aber zu sehr gebunden. Als ich gelesen habe, dass Eselbetreuer gesucht werden, wusste ich sofort: Das ist das Richtige für mich», erinnert sich die Zürcherin. Eine Entscheidung, die sie bis heute keine Sekunde bereut hat. Im Gegenteil. Der 24-jährige Zwergesel habe ihre Lebensqualität angehoben. 

«Willi ist das Beste, was mir passieren konnte. Er ist genau wie die anderen Esel ein Spiegel des Menschen», sagt Seiler, die ihren Vierbeiner auch gerne einmal bei der Boden­arbeit fordert und dafür mit Rüebli belohnt. «Wir sind ein echtes Dreamteam.» Überhaupt findet die Patin, dass viele Menschen sich eine Menge vom geduldigen und gelassenen Charakter der Langohren abgucken könnten. Der abwertende Satz «Du bist ein Esel» ist für sie daher ein grosses Kompliment.

Rahel Trüb, die sich mittlerweile dem Auffüllen der Heunetze gewidmet hat, bläst in das gleiche Horn. «Esel sind unterschätzte, hochintelligente Tiere.» Den Beweis tritt sie gleich selbst an, indem sie mehrere Esel in ihre Futterboxen ruft. Auf Kommando gehen sie rückwärts wieder heraus. So gut folgt mancher Hund nicht. Die Einzelboxen haben eine wichtige Funktion bei der Futterdosierung. So erhält jedes Tier, abhängig von Grös­se und Bedürfnissen, die richtige Menge Heu. 

Vorbildliche Infrastruktur
Die Futterboxen sind Teil eines durchdachten Konzeptes, das Trüb zusammen mit ihrer Freundin und Pensionsleiterin Mireille Brunner auf dem Biobauernhof entwickelt hat. Dazu gehört auch ein sogenannter Trockenplatz, der mit Verbundsteinen belegt ist und einen permanenten, auch bei Regen einigermassen trockenen Auslauf ermöglicht. «Das ist sehr wichtig für die Hufgesundheit. Denn Eselhufe vertragen Nässe nicht besonders gut, da sie von Natur aus trockene Untergründe gewohnt sind», erklärt Trüb. 

Weitere Pluspunkte auf dem Eichhof sind eine Steppenlandschaft, Einstreu mit Sägemehl, im Netz angebotenes Stroh als Beschäftigung und Zwischenmahlzeit, und ein von der Eselexpertin Dolores Telley erfundener Laufweg. Er ist durch einen Zaun von der Weide abgetrennt. Auf diese Weise könne man den Weidegang und damit den Graskonsum besser kontrollieren und die Esel trotzdem herumrennen lassen, sagt Trüb, während ein paar Langohren mit lautstarkem I-Aaah auf sich aufmerksam machen.

Doch nicht alle Eselhalter in der Schweiz sind so vorbildlich. Das liege nicht einmal an Böswilligkeit, sondern vielmehr an mangelndem Wissen, erklärt Trüb, die deshalb hierzulande lieber von Eselvermehrern als -züchtern spricht. «Deutschland ist uns diesbezüglich weit voraus. Dort findet eine reger Austausch statt, und Experten beurteilen die Esel», erzählt sie. «Dadurch treten viel weniger Huf- und Gelenkprobleme auf, die Beine sind gerade und die Zähne stehen korrekt.» Nicht der Jöö-Effekt, sondern die Gesundheit der Tiere stehe also an erster Stelle. Das gilt auch für die Esel auf dem Eichhof. 

«Trixie, Willi, Leo, Eliot, Magda, Rico, Marta, chömet», ruft Trüb freundlich, aber bestimmt, um die Eselclique für ein Gruppenfoto zu versammeln. Tatsächlich kommen alle im Laufschritt und stellen sich sogar in den Regen. «Es ist ganz gut, dass das Wetter heute schlecht ist. Bei schöner Witterung kann nämlich jeder Esel halten. Die Kunst besteht darin, es auch im Winter zu schaffen», sagt Trüb. Eine Kunst, die man auf dem Eichhof perfekt beherrscht.

Zu unsere Reportage vom Esel-Gnadenhof Aline geht es hier: www.tierwelt.ch/eselhilfe.