Bili hängt in der Luft. Drei Meter über dem Boden. Gut befestigt am Kran eines Rüstwagens der Feuerwehr Zofingen. Viel auszumachen scheint es dem Tinker-Wallach nicht. «Bili ist das gewohnt. Er ist unser Flugpferd», sagt Instruktor Ruedi Keller, während er den umstehenden Feuerwehrleuten zeigt, wie die fachmännische Bergung eines Pferds erfolgt. Etwa, wenn es in ein Gülleloch gefallen ist. Dass man in diesem Fall selbst ins Gülleloch steigen muss, um dem Tier das Rettungsgeschirr anzulegen, verschweigt er dabei nicht. 

Doch im Moment steht, pardon, schwebt Bili im Mittelpunkt. Die Handgriffe müssen sitzen. «Wenn nötig, könnt ihr das Pferd mithilfe des Seils am Halfter führen», weist Keller die Auszubildenden an. Einfach nicht an die Hufe greifen. Denn obschon sich das Pferd kaum bewegen kann, wenn es einmal im Netz liegt, dürfe man kein Risiko eingehen. Keller weiss, wovon er spricht. Er ist Einsatzleiter des Gross­tier-Rettungsdienstes Schweiz und Liechtenstein (GTRD).

Feuerwehren aus der ganzen Schweiz
Schauplatz von Bilis Flugeinlage ist das Landwirtschaftliche Zentrum Liebegg in Gränichen AG. Eine Berufsschule für angehende Landwirte – und ab und an auch Ausbildungsort für Feuerwehrleute, die etwas über den Umgang mit Nutztieren, deren Verhalten und mögliche Gefahren im Ereignisfall lernen möchten. Insgesamt 40 Männer und Frauen sind auf Platz. In Vollmontur. Sie kommen aus allen Ecken der Schweiz: Düdingen FR, Kaltbrunn SG, Frutigen BE, Vaulruz FR, Yverdon-les-Bains VD. Sogar ausländische Vertreter der Tierschutzorganisation «Vier Pfoten» sind dabei. Angereist aus Hamburg und Wien. Sie möchten sich das nötige Wissen aneignen, um bei Bedarf Rettungskräfte in Katastrophengebieten unterstützen zu können. Etwa nach einem Erdbeben. 

«Den Kurs ‹Grosstierrettung› veranstalten wir alle zwei Jahre», sagt Reto Graber, Leiter Ausbildung beim Schweizerischen Feuerwehrverband. Er dauert einen Tag und umfasst unter anderem Übungen mit Pferden, Rindern, Lamas und sogar Schlangen. Auch rechtliche Aspekte werden thematisiert. Wer zum Beispiel haftet, wenn die Rettung eines 200 000-fränkigen Rennpferds schiefgeht? 

Die meisten Teilnehmer kommen aus ländlichen Gebieten. In Städten wie Genf würden Nutztiere eine untergeordnete Rolle spielen, sagt Graber. Zudem gebe es Kantone, die eigene Kurse anbieten. Dafür zuständig seien die Gebäudeversicherungen. Doch es gebe Lücken. «Unser Angebot richtet sich an all jene Feuerwehren, die über keine Alternativen verfügen.» Dass solche Weiterbildungen sinnvoll sind, darauf deutet die Statistik: 2017 wurden schweizweit 2364 Tiere bei Bränden und Unwettern aus ihren Stallungen gerettet.

Das A und O einer Weiterbildung mit lebenden Tieren ist deren Sicherheit und Wohlbefinden. Als Erstes braucht es eine Bewilligung durch den Kantonstierarzt, denn vom Gesetz her gelten solche Übungen als Tierversuche. Zweitens sind erfahrene Instruktoren gefragt. Nebst GTRD-Chef Ruedi Keller sind Tierärzte sowie Feuerwehrangehörige mit entsprechendem Fachwissen vor Ort. 

Schweine schwieriger als Rinder
Dazu gehören auch Anita und Ueli Windisch vom GTRD-Stützpunkt Aargau. Sie stehen gerade mit einer Gruppe vor dem Eisengatter eines Laufhofs, in dem zwei Dutzend Rinder um die Wette muhen. Zwei Feuerwehrmänner machen sich ans Werk, aber das Gatter lässt sich nicht öffnen. «Manchmal bereiten die einfachsten Dinge die grössten Probleme», sagt Anita Windisch mit einem Schmunzeln und zeigt sogleich, wie es geht.

Hat man das Gatter oder das Tor eines brennenden Stalls endlich auf, reicht es oft, die Tiere mit Lärm von hinten kommend ins Freie zu treiben. Denn Rinder und Kühe sind es gewohnt, auf die Weide zu gehen. Allenfalls könne man sie mithilfe von Holzbrettern «rausschieben», sagt Windisch. Wichtig sei, dies mit möglichst vielen Leuten zu tun, damit es schnell gehe. Doch nicht alle Tiere reagieren gleich. «Wir hatten mal einen Brand mit 70 Kälbern. Die standen zuhinterst im Stall, wo sie Schutz suchten», erzählt Windisch. Glücklicherweise trugen sie Halsbänder und konnten herausgezogen werden. Denn Tragen kam nicht infrage: «Schon kleine Kälber bringen es auf 60 und mehr Kilo», sagt er. 

Ebenfalls schwer und besonders schwierig sind Schweine. Sie kennen in der Regel nur den Stall. Dort fühlen sie sich sicher. Schafft man es, sie rauszubekommen, muss man dafür sorgen, dass sie nicht zurück ins brennende Gebäude rennen. Denn in ihren Augen herrscht draussen das pure Chaos. «Ich empfehle euch zudem, die Bauernhöfe in eurer Region zu besuchen. Es ist immer hilfreich, wenn man einen möglichen Einsatzort schon kennt», sagt Windisch.

Mit Fluchttieren wie Pferden und Lamas sind Evakuierungen oft einfacher. Letztere sind besonders scheu und hauen schnell ab, wenn Menschen kommen, die sie nicht kennen. Das merken auch die Feuerwehrleute auf der Wiese nebenan. Instruktor Thomas Rothlin wirft sie denn auch gleich ins kalte Wasser. «So, jetzt nehmt ihr je ein Halfter und fangt dieses, dieses und dieses Lama ein. Viel Glück!», sagt er. Bald stellt sich heraus, dass Lamas am besten von mehreren Leuten eingekreist oder in eine Ecke getrieben werden. Wenn sie nämlich merken, dass sie keine Fluchtmöglichkeit mehr haben, ergeben sie sich in der Regel. Angespuckt haben sie jedenfalls niemanden.

Vor Schlangen muss man sich dagegen mehr in Acht nehmen. Die mögen zwar träge wirken, können aber blitzschnell sein, wenn sie sich bedroht fühlen. Das gilt sowohl für Gift- als auch für Würgeschlangen. «Zack! Schon hast du sie am Arm, bevor du sie mit dem Haken fixieren konntest», sagt Fachausbilderin Moni Binz, während sie zwei Königspythons aus Stoffsäcken holt und in die Runde gibt. Man dürfe auch nicht davon ausgehen, dass Schlangen, die sich in einem brennenden Haus befinden, automatisch tot sein müssen, sagt Binz. Riechen sie nämlich Rauch, versuchen sie diesem zu entfliehen. Sie können zudem ihre Atmung deutlich verringern, ja quasi die Luft anhalten.  

Ruhig bleiben und nicht bewegen
Auf die Frage eines Feuerwehrmanns, wie viel Zeit einem nach dem Biss einer Giftschlange bleibe, antwortet Binz: «Das hängt von der Schlangenart ab. Von der Bissstelle. Von der injizierten Giftmenge, also davon, ob es sich um einen Beute-, Abwehr- oder Trockenbiss handelt. Von der gebissenen Person selbst.» Man müsse auf jeden Fall versuchen, ruhig zu bleiben, sich möglichst nicht zu bewegen und sofort ins nächste Spital zu gehen.

Ruhig bleiben, sich nicht bewegen. Das tut auch Bili, der wieder festen Boden unter den Hufen hat. Die Feuerwehrleute, die ihm das Rettungsgeschirr abnehmen, haben trotzdem Respekt vor ihm. «Der Vorteil von Übungen mit lebenden Tieren ist, dass viel feiner ge­arbeitet wird als mit Dummys», sagt Ruedi Keller. Dann darf Bili endlich eine Pause einlegen. Gemütlich trottet er auf die angrenzende Weide und beginnt zu grasen.