Herr Götti, der Artikel «Bienen bevölkern die Stadt» in der «NZZ» lässt Hoffnung aufkeimen. So schlecht, wie mitunter behauptet wird, scheint es um die Tiere nicht bestellt zu sein. Oder täuscht die Wahrnehmung?
In Bezug auf die Honigbienen in der Schweiz ist tatsächlich zu sagen, dass sich der Bestand anzahlmässig erholt hat. Die Frage ist allerdings, wie gut es den einzelnen Völkern geht.

Wegen der Varroa-Milbe, die gefährlich für sie werden kann?
Sie ist in jedem Bienenvolk zu finden. Zu den Aufgaben eines Imkers gehört es, dafür zu sorgen, dass sie nicht Überhand nimmt. Nach wie vor ist es übrigens ein grosser Traum, den Weg zu Varroa-resistenten Bienen zu finden. Einen wichtigen Einfluss auf die Gesundheit der Völker haben aber auch Umweltgifte und Pestizide oder ein zu knappes Nahrungs-, sprich Blütenangebot. 

Wie geht es also den Bienen in der Schweiz?
Zur Beantwortung dieser Frage muss man auch die Wildbienen in die Betrachtung einbeziehen. Dann kann ich nicht sagen, dass es den Bienen gut geht. Über 40 Prozent der rund 600 bei uns vorkommenden Arten sind stark gefährdet. Denn nebst dem guten Nahrungsangebot fehlen den Wildbienen auch Nistgelegenheiten. Es werden zwar vermehrt Wildbienenhotels aufgestellt. Doch dies reicht nicht. Die Mehrheit der gefährdeten Arten Nisten im Boden.

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Zur Person:
Mathias Götti Limacher ist Zentralpräsident BienenSchweiz (ehemals VDRB) und Schulleiter Imkerbildung Schweiz.

Was bedeutet das?
Wichtig wäre es, dass mehr Stellen mit offenem Boden geschaffen würden, in denen sie sich niederlassen können. Gerade in der Schweiz haben wir die Tendenz, alles «sauber» zu Asphaltieren oder jeden Weg bis an den Rand mit Platten zu belegen. Generell bietet etwas mehr Unordnung Unterschlupf. So auch abgestorbene Pflanzen über den Winter im Garten oder auch tote Bäume, die stehen gelassen werden. 

Nach Medienberichten der letzten Wochen, in denen Bienenschwärme etwa Badegästen Angst einjagten, scheinen die Völker im urbanen Raum vermehrt auszuschwärmen.
Das Schwärmen ist ein völlig natürlicher Vorgang, wenn sich ein Bienenvolk teilt. Werden mehr Honigbienen in Städten gehalten, sind auch Schwärme in der Stadt häufiger zu beobachten. Dabei kann es vorkommen, dass sich eine solche Traube auf einem Velosattel niederlässt. Sie besteht dann gut und gerne aus rund 10'000 Bienen.

Wann ist die Hauptsaison für das Schwärmen?
Vor allem im April und Mai. Sobald ihr Volk zu gross und der Platz eng geworden ist, ziehen die Bienen eine neue junge Königin heran. Kurz bevor diese schlüpft, begibt sich die ehemalige mit rund einem Drittel des Volkes auf die Suche nach einem neuen Nistplatz. Wer als Nichtimker einen solchen Schwarm erblickt, erschrickt mitunter. Denn die Kraft, die von ihm ausgeht, ist eindrücklich. 

Diese Begegnungen und die Bienendichte ganz allgemein scheinen im urbanen Raum zuzunehmen. Weshalb?
Bienenhaltung in der Stadt funktioniert gut. Wider Erwarten gibt es dort genug Nahrung, und zwar über das ganze Jahr.

Wie lässt sich das erklären?
In der Natur setzt auf dem Land im Frühling ein Schub ein, bei dem viele Pflanzen blühen. Die Bienen finden in dieser Zeit viel Nahrung. Im Sommer hingegen ist es damit weitgehend vorbei, zumal viele Landwirtschaftsflächen dann auch abgeerntet sind. In den Städten hingegen sorgt man dafür, dass es auch im Sommer blüht und grünt. Um das Stadtbild zu verschönern setzt man dabei gerne auch auf ausländische Pflanzen, welche teilweise auch im Sommer viel Nektar liefern. Mit der Folge, dass die Bienen länger Nahrung finden.   

Und welche Gefahren gehen von den Abgasen aus, deren Konzentration in der Stadt naturgemäss höher ist als auf dem Land?
Bienen sind in der Lage, Schadstoffe zu filtern. Dabei hilft ihnen ihre Honigblase. Alles, was sie einsammeln, wird dadurch gereinigt.

Dennoch werden gelegentlich Rückstände von Antibiotika im Honig entdeckt.
Das geschieht, wenn diese Substanzen im Bienenstock angewendet werden. Sprich, wenn die Bienen ihr gesammeltes Material bereits abgeliefert haben. Dazu ist allerdings zu sagen, dass der Einsatz von Antibiotika in der Schweiz strikte verboten ist. Der Dokumentarfilm «More Than Honey» zeigt, wie Antibiotika in der Bienenzucht der USA eingesetzt werden.

Zurück zu den urbanen Gebieten der Schweiz. Welche Gefahr geht von einem Bienenschwarm aus, der sich in der Nähe niederlässt, etwa in der Badi?
Obwohl diese Schwärme wie gesagt imposant aussehen – aggressiv sind sie nicht. Es ist unwahrscheinlich, dass Bienen von sich aus auf jemanden losgehen. Vorausgesetzt natürlich, man hält einen normalen Abstand zu ihnen ein und versucht nicht, herumzumanipulieren. Wenn sie sich etwa auf einem Velosattel niedergelassen haben, sollte man das Einfangen den Imkern überlassen.

Laut der «NZZ» nimmt deren Anzahl in der Stadt zu. Müssen wir uns auf vermehrte Konflikte mit der Stadtbevölkerung einstellen?
Ich denke schon, wobei der Höhepunkt des «Urban Beekeepings», damit meine ich die Anzahl in der Stadt gehaltener Bienenvölker, wohl erreicht ist. Dieses Jahr hat aber witterungsbedingt auch zu vielen Schwärmen geführt. Grundsätzlich trägt der Imker die Verantwortung dafür, dass die Schwärme nicht irgendwo verschwinden. Wobei es da natürlich verschiedene Haltungen gibt.

Welche?
Die einen wollen die Bienen nicht zu fest einschränken und lassen auch einmal ein Schwärmen zu. Die anderen wiederum beugen diesem natürlichen Vorgang vor, zum Beispiel indem sie die Königin rechtzeitig aus dem Volk nehmen. Wichtig ist aber auf jeden Fall, dass allfällige Schwärme fachgerecht eingefangen werden.

In diesem Punkt scheint es allerdings Nachholbedarf zu geben. «20 Minuten» monierte diese Woche unter anderem, dass es zu viele unerfahrene Imker gebe. Versagt die Ausbildung?
Im Gegensatz zur Haltung von anderen Nutztieren etwa wird bei der Bienenhaltung keine Ausbildung vorgeschrieben. Man muss sich lediglich beim Veterinäramt melden. Unser Verband fordert schon lange, dass minimale Grundkenntnisse die Voraussetzung dafür sind, Bienen halten zu dürfen. Allerdings ist da die Politik gefragt, die ein entsprechendes Gesetz erlassen müsste. Kein einfaches Unterfangen, die Kritik an neuen Vorschriften ist vorprogrammiert. Dabei würde eine Ausbildungspflicht allen zugutekommen.

In welcher Hinsicht?   
Durch unsachgemässe Haltung können Krankheiten ausbrechen, die dann auch auf andere Völker übertragen werden. Zudem sollte man sich bewusst sein, dass eine zu hohe Dichte an Bienenvölkern ebenfalls zu Problemen führen kann. 500 Meter bis einen Kilometer sollten Bienenstände schon auseinander sein, wobei pro Stand nur maximal zehn Völker gehalten werden sollen.