Kylja, Dóttla, Maidis – die Namen der drei Stuten verraten Kennern ihre Herkunft schnell. Islandpferde haben es Salome Siegenthaler-Lüthi angetan. Mit ihren beiden Töchtern Flurina und Sofie kommt sie über eine kleine Holzbrücke geritten.

Dicke Schneeflecken liegen hier auf den Hängen, dort, wo die Sonne noch zu wenig lang hinstrahlen konnte. Zwischen den Bäumen fällt der Blick hinaus aus dem Glarner Hinterland in Richtung Schwanden. Und immer wieder springt ein blondes Fohlen ungestüm und neugierig durchs Bild. 

Die Islandpferde bleiben hier unten, im Stall, wo Ehemann André gerade dem Hufschmied hilft, ihre Gspänli neu zu beschlagen. Rund zwanzig Dexterrinder – horntragende Mutterkühe mit ihren Kälbern – teilen sich ihr Dach über dem Kopf mit den zehn Pferden und geben ihre Meinung laut muhend kund. Salome Siegenthaler-Lüthi hingegen macht sich auf den Weg hoch in Richtung gute Stube. Der steile Kiesweg ist zumindest jetzt noch, im Spätwinter, nur zu Fuss zu bewältigen.

Aussicht auf die Alp
Vor dem kleinen Holzhaus streiten sich Katz und Hund um die Gunst der Besucher – wobei die Katze eher daran interessiert ist, sich den Bauch von ein paar Sonnenstrahlen kitzeln zu lassen. Ähnlich geht es den Strahlenziegen im alten Stall oberhalb des Hauses. Auch sie gehören den Siegenthalers.

«Es hat mich schon immer in die Berge gezogen», sagt die Herrin des Hauses, nachdem sie Sohn Aaron verabschiedet hat. Das holzlastige Interieur und die tiefhängende Decke versprühen denn auch eine gute Portion Alp­hüttencharme. Siegenthaler-Lüthi zeigt aus dem Fenster, über das Dorf Engi hinweg, auf den gegenüberliegenden Hang: «Als die anderen sich um eine Kindergartenstelle beworben haben, habe ich mich dort drüben als Rinderhirtin beworben.»

Die 47-Jährige ist gelernte Kindergärtnerin. «Eigentlich wollte ich direkt nach der obligatorischen Schule ‹z’Alp›, aber meine Mutter wollte, dass ich zuerst eine Ausbildung mache.» Gut so, findet sie heute. Auf die Alp ging sie trotzdem, bevor sie je vor einer Kindergartenklasse stand. Erst ein Sommer, dann zwei, am Ende waren’s mehr als zehn. Erst als Angestellte, dann als Pächterin der Alp. Dafür zog sie auch extra aus ihrer Heimat zwischen Fricktal und Baselbiet ins Glarnerland. «Ich wusste, solange ich nicht hier wohne, habe ich als Frau keine Chance, die Alp zugesprochen zu bekommen.»

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(Foto: Matthias Gräub)

 

Während sie im Sommer Vieh hütete, bildete sich Siegenthaler-Lüthi im Winter weiter. Erst als Bühnenbildnerin, dann absolvierte sie die landwirtschaftliche Schule, die ihr letztlich auch ihren Hof ob Engi ermöglichte, auf den sie mit ihrem damaligen Partner zog. «Nach der Trennung wurde es aber auf einmal schwierig, allein mit zwei kleinen Kindern hier», erinnert sie sich. Sie gab ein Inserat auf und brauchte nur einen der zwanzig Briefe zu lesen, bis sie André gefunden hatte. «Bäuerin, ledig, sucht» sei das fast gewesen, einfach ohne Fernsehen. Sie lacht und staunt noch heute, wie gut das damals geklappt hat: «Er hat sein ganzes Leben in Zürich einfach zurückgelassen und kam hierher. Zack, bumm.»

In ihren dreizehn Alpsommern, aber schon weit vorher, waren die Islandpferde in Salome Siegenthaler-Lüthis Leben eine Konstante. Skjöldur, ihr erstes Pferd, bekam sie mit zwölf. Ländlich im aargauischen Olsberg aufgewachsen, lernte die junge Pferdenärrin schnell das bäuerliche Leben kennen, half dem Nachbarn mit seinen Ackerpferden aus und durfte ab und an mal auf einem heimreiten. 

Das Pferd als Rückhalt
Ein eigenes Pferd wollte ihr die Mutter aber erst nicht zugestehen. «Erst als ich ein Büchlein gefunden habe, das meine Mutter aus Island heimgebracht hatte, wurde sie hellhörig.» Sie hatte Schwarz-Weiss-Fotos von Islandpferden darin entdeckt, Gefallen daran gefunden und bei ihrer Mutter Island-Erinnerungen geweckt. So war bald Skjöldur da und bekam nicht viel später Gesellschaft.

«Die Pubertät war für mich sonst eine sehr schwierige Zeit», erinnert sie sich. «Ich kam in der Schule ziemlich unter die Räder, da hat mir Skjöldur sehr viel Halt gegeben. Ich wusste, ich musste für ihn da sein.» Sie verbrachte ihre ganze Freizeit mit dem Pferd, lehrte ihm die verschiedenen Gangarten und erwies sich als Naturtalent mit der robusten Rasse. 

So kam es denn irgendwann auch, wie es kommen musste: Siegenthaler-Lüthi kaufte sich eine vielversprechende Stute, begann, Islandpferde zu züchten, und wurde eine ebenso begnadete Reiterin wie Reitlehrerin. Und inzwischen ist sie obendrauf sogar noch eine erfolgreiche Kinderbuch-Autorin. Ihr erstes Büchlein «Mit Sofie auf der Alp» flog ihr quasi zu. «Der Verlag suchte jemanden, der ein Kinderbuch zum Thema Alp schreibt», erzählt sie. Wer wäre da geeigneter als die Kindergärtnerin und Älplerin Siegenthaler-Lüthi, deren wahre Alp-Geschichten schon tausendfach an ihren Kindern erprobt waren. «Flurina kommt zum Beispiel immer und verlangt: ‹Erzähl mir von der Alp – aber nur, wenn nichts stirbt ...›»

Island im Herzen – und auf der Stirn
Nach dem Erfolg des ersten Buchs hatte sie bald freie Hand für Nummer zwei. Ihr war klar: Es musste sich um Skjöldur drehen. Das Islandpferd aus ihrer Jugend wurde zum namensgebenden Titelhelden des Kinderbuchs. Beim Jungen namens Jonas, der das Pferd darin für sich entdeckt, handelt es sich eigentlich um die Autorin selbst. «Ein grosser Teil ist schon autobiografisch, ja. Und der echte Skjöldur hatte wirklich wie im Buch die Umrisse von Italien auf der Seite», sagt sie und lacht. «Und mit viel Fantasie sogar die Konturen von Island auf der Stirn.»

Die beiden vielleicht grössten Leidenschaften in ihrem Leben hat Siegenthaler-Lüthi nun zu Kinderbüchern verarbeitet, die sie ihrer Klasse regelmässig vorliest. Drei Tage die Woche arbeitet sie im Nachbardorf als Kindergärtnerin. Aber in den Bergen ist sie noch immer oft, geht regelmässig auf ausgedehnte Alpenritte mit den Pferden und ihren Kindern. «Ich bin auch schon über den Panixerpass geritten, um meine Stute in Flims decken zu lassen», erzählt sie stolz.

Ob diese Episode Stoff für ein neues Kinderbuch geben wird, weiss Salome Siegenthaler-Lüthi noch nicht. Vielleicht wird es sich auch um die sonnenbadenden Strahlenziegen drehen. Oder um die lauten Dexterkühe im Stall unten. «Mir fehlt im Moment grad noch die zündende Idee», sagt sie. Aber das nächste Buch, da ist sie überzeugt, das kommt dann bestimmt.

 

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Bhuchtipp: Freundschaft zu einem Islandpferd
Das Islandpferd Skjöldur gilt als eigenwillig. Doch das stört den kleinen Jonas überhaupt nicht. Im Gegenteil: Er fühlt sich von dem gescheckten Ross magisch angezogen. Mit viel Einfühlungsvermögen und einer grossen Portion Geduld gelingt es dem Jungen schliesslich, das Vertrauen von Skjöldur zu gewinnen. Das beeindruckt Jonas’ Eltern so sehr, dass sie den Isländer mit auf den eigenen Hof nehmen. Auf den Alpweiden blüht Skjöldur vollends auf und das Glück ist perfekt. «Skjöldur» erzählt die liebevoll bebilderte Geschichte von einer tiefen Freundschaft zwischen Mensch und Tier. Das Buch eignet sich für Kinder ab vier Jahren. (Oliver Loga)

Salome Siegenthaler-Luthi, Karin Widmer: «Skjöldur. Mein Pferd aus Island», gebunden, 32 Seiten, Verlag: Baeschlin, ISBN: 978-3- 85546-329-9, ca. Fr. 30.–