Eine Faser, die isoliert und gleichzeitig atmungsaktiv ist, im Winter die Wärme beim Körper hält, im Sommer vor Hitze schützt: Das tönt nach jahrelanger Forschungsarbeit. Soll sie dann auch noch wasserabstossend, knitterfrei und schwer entflammbar sein, antistatisch und damit schmutzabweisend und nicht zuletzt nachhaltig, abbaubar und umweltfreundlich, denkt man an eine Superfaser der Zukunft, an der Wissenschaftler seit Jahren vergebens herumtüfteln. 

Weit gefehlt: Diese Hightech-Faser gibt es bereits seit mehr als 10 000 Jahren, und entwickelt wurde sie im Labor der Natur – es ist Schafwolle! Am Anfang steht das Gras. Während Schafe weiden, wächst auf ihrem Rücken nebenbei und als Dreingabe Wolle. 

Begehrter Rohstoff
Was uns selbstverständlich und einigen Schafzüchtern heute sogar lästig ist, muss den Steinzeitmenschen wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein. Die Wolle der damaligen Schafe war zwar kürzer und unter groben Deckhaaren versteckt, aber ihre Wärmefähigkeit entdeckten die Menschen sicher schnell, verwendeten die Fasern vielleicht zuerst als heilende Auflage, bis sie erkannten, wie sich die im Fellwechsel abgestossenen Wollflocken zu wärmender Kleidung verarbeiten liessen. 

Ob werkzeuglos zu Filz verfestigt, oder auf Spindeln zu Fäden gedreht und dann verwoben, wärmten die Wollprodukte bald unsere kältegeplagten Urahnen. So wurde Wolle zu einem begehrten Rohstoff und zum hauptsächlichen Zuchtziel bei Schafen. Über die Jahrhunderte entstanden unterschiedlichste Schafrassen, angepasst an lokale Gegebenheiten und mit verschiedenen Wollqualitäten je nach Verwendung. Da gab es kleine Schafe fürs Gebirge, grössere fürs Flachland, das Wollkleid jeweils perfekt angepasst an Temperatur und Feuchtigkeit des lokalen Klimas. Feine Wolle wurde für Bekleidung eingesetzt, robuste Wolle für Teppiche, filzende Wolle für Schuhe, nicht filzende Wolle als Füllung von Bettzeug. 

In der Schweiz war die Schafzucht bis in die 1950er-Jahre auf zweifachen Nutzen ausgerichtet, das Interesse lag etwa zu gleichen Teilen auf Fleisch und auf Wolle. Erhielten die Züchter damals rund 12 Franken pro Kilogramm frisch geschorener Wolle, ist es seit Jahren nur noch ein Zehntel davon – das deckt nicht einmal mehr die Schurkosten. In den letzten 30 Jahren landete deshalb die Schweizer Wolle immer öfters im Abfall. 

Schattendasein
In Grossbritannien, Irland, Island und Skandinavien hingegen wurde die Wolle weiterhin geschätzt und zu hochwertigen Produkten verarbeitet. Vielleicht muss man in einem kühlen Land leben, damit man den Unterschied zwischen Polyester und Wolle hautnah spürt. In diesen Ländern werden an Schafshows nicht nur die schönsten Tiere prämiert, sondern auch die besten geschorenen Vliese erkoren; gute Wolle ist ein zentrales Zuchtziel, die Züchter sind stolz darauf. Solche prämierten Vliese sind bei Verarbeiterinnen heiss begehrt und werden direkt vom Züchter zu einem guten Preis gekauft. 

Bei uns fristet Schafwolle nach einem Handspinn- und Strickboom in den 1970er-­Jahren ein Schattendasein. «Handgestrickt» als Bezeichnung einer alternativen Lebenshaltung ist beinahe ein Schimpfwort. Ein Grossteil der Schweizer Schafwolle wird noch immer vernichtet. Haarschafe wie Nolana oder Dorper, die nicht geschoren werden müssen, finden zunehmend Anhänger – die Wolle gilt nur noch als lästiges Anhängsel. 

Einige Idealisten blieben jedoch der Schafwolle treu. Sie retteten ein paar letzte Wollverarbeitungsmaschinen vor dem Verkauf ins Ausland und brachten sie wieder auf Vordermann. Die Maschinen stammen glücklicherweise aus einer Zeit, in der man Qualität hochhielt; so verrichten die über 100-jährigen Veteranen auch heute noch ihren Dienst. 

Ein besonders sympathisches Wollprojekt haben zwei engagierte Frauen in diesem Jahr auf die Beine gestellt: Mirjam Ziebart aus Wiesendangen ZH und Dominique Beinroth aus Wängi TG möchten die Wolle seltener Schafrassen als hochwertiges Strickgarn verfügbar machen. Dazu kontaktierten sie Züchter von Bündner Oberländer Schafen, Spiegelschafen, Engadinerschafen und Saaser Mutten – Rassen mit recht feiner Wolle – und baten um frisch geschorene Vliese. Tagelang sortierten sie die Rohwolle, schöne Wolle kam in den Sack für Spinnwolle, stark verschmutzte Wolle, raue Wolle oder Wolle mit Heuteilchen landete auf dem Haufen für die Fiwo, einen Verein für Wollverwertung, der minderwertige Wolle zu Industriefilz, Dämmplatten oder Dünger verarbeitet. 

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Mirjam Ziebart (l.) und Dominique Beinroth setzen auf die Wolle alter Rassen.
Bild: Rita Schmidlin

Auch für empfindliche Haut geeignet 
Insgesamt 450 Kilogramm Rohwolle sortierten die beiden in mühsamer Kleinarbeit – nur rund zehn Prozent konnten sie für ihr Projekt gebrauchen. «Die Qualität der Wolle war teilweise ernüchternd», erzählt Mirjam Ziebart. Oft seien die Vliese von Heu oder Stroh durchsetzt und damit als Spinnwolle ungeeignet gewesen. «Das bleibt beim Verarbeiten teilweise drin und würde beim Spinnen den Faden reissen lassen oder im fertigen Strickstück kratzen», sagt Dominique Beinroth. Daneben seien auch Grannenhaare ein Ausschlussgrund gewesen. «Das Schlimmste, das wir antrafen, waren blutige Wolle, Klauenreste und völlig kotverdreckte Wolle.» 

In Hans-Ueli Sturzenegger, der in Grabs SG die letzte Schweizer Wollwäscherei, und in Christoph Vetsch, Pragg-Jenaz GR, der eine Karderei und eine der letzten Wollspinnereien  in der Schweiz betreibt, fanden die beiden Initiantinnen hilfsbereite und von der Idee begeisterte Unterstützer. So konnte der Traum wahr werden: An der ProSpecieRara-Tier-Expo Anfang Oktober wird unter der Bezeichnung «Lana Rara» erstmals Strickwolle von alten Schweizer Rassen angeboten. 

Nach langer Überlegung wurde ein Drittel Merinowolle beigemischt, garantiert mulesing-frei, also nicht von Schafen, denen zur Verhinderung von Fliegenmadenbefall die Haut rund um den Schwanz weggeschnitten wurde. So dürfte das Lana-Rara-Strickgarn auch zarterer Haut gerecht werden. Naturfarbig und in vier Farbtönen, dazu verschiedene Modelle mit Anleitungen, soll es Strickerinnen begeistern und sie zu den Nadeln greifen lassen. Daneben wird an der Tier-Expo der arbeitsintensive Weg vom Schaf zum strickfertigen Garn aufgezeigt. 

Mirjam Ziebart und Dominique Beinroth jedenfalls haben bereits jetzt viel gelernt. «Mit der Zeit spürten wir schon am Griff, ob die Wolle brauchbar war, ja sogar von welcher Rasse sie stammte», sagt Beinroth. Nun müssten die 45 Kilogramm Strickgarn erst einmal verkauft werden. «Wenn es gut läuft, machen wir weiter.» Beim Sortieren allerdings sehen die beiden Optimierungspotenzial. «Und die Züchter müssten wir sensibilisieren, damit die Vliese weniger mit Heu und Stroh durchsetzt sind.»