Beccy Routledge züchtet Herdwick-Schafe daheim beim Loch Lomond in Schottland. Eines schönen Nachmittags sass ihre Familie im Garten beim Tee zusammen, als zwei ihrer Lieblings-Lämmer aus ihrem kleinen Gehege ausbüxten. Sie kamen herübergetrottet, um zu sehen, was da im Gange war. «Hamish und Dougal schien es Spass zu machen, mit dabei zu sein», sagt Routledge. Und die Familie fand es lustig. «Weil wir ein Airbnb betreiben, dachte ich mir, das wäre doch ein schönes Extra für unsere Gäste.»

Also fing sie an, Tee mit den beiden Lämmchen als Fun-Aktivität anzubieten – und es war ein Hit. Kaum wurde die Sache bekannt, tauchten Tierfreunde und Ausflügler auf der Suche nach etwas Ungewöhnlichem auf. Danach pilgerten Millennials zur Farm, die mit den Nerven am Ende waren und beim Tee eine «meditative Erfahrung» machen wollten. Das Herdwick-Schaf, eine Rasse aus dem Lake District im Norden Englands nahe der Grenze zu Schottland, ist bekannt als ruhig, sanft und besonders freundlich (siehe Box).

Das Herdwick-Schaf Der Ursprung der Rasse ist unbekannt. Der Legende nach soll es nach einem Schiffsunglück nach Grossbritannien gekommen sein. Wer die Geschichte ausschmückt, verweist auf die Spanische Armada, deren Invasion Britanniens 1588 an schweren Stürmen scheiterte. Dasselbe behauptet der Volksmund auch vom Portlandschaf und Jacobschaf. Im Gegensatz zu ihnen gibt es aber in Spanien keine Rassen, die dem Herdwick ähneln.

Der Name stammt von «Herdwyke» ab, dem altnordischen Wort für Schafweide. Mutmasslich nannte man früher alle Schafe, die im Lake District weideten, Herdwick. Die weitere Geschichte der Rasse ist eng mit der englischen Kinderbuchautorin Beatrix Potter (1866 – 1943) verbunden: Sie züchtete diese Schafe im Lake District und vermachte ihre Farmen dem National Trust mit der Auflage, auf dem Land seien Herdwicks zu halten. Heute leben dort mehrere Zehntausend Herdwick-Schafe.

Auf einen Tee mit Hamish

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Tatsächlich sind sie ideale Geschöpfe für die im vorigen Herbst ins Leben gerufene «Animal Experience» von Airbnb, die Besucherinnen und Besuchern Spass mit Tieren als Teil ihres Urlaubs anbieten will. Gäste können wählen, ob sie mit Rettungshunden wandern, sich mit Alpakas entspannen oder Kühe streicheln wollen.

«Wie bei all unseren Angeboten mit Tieren bietet auch der Umgang mit Schafen geschäftigen Städtern eine Gelegenheit für behutsame Beobachtung und dafür, wieder eine Verbindung zur Tierwelt herzustellen», heisst es bei Airbnb. Der Onlineübernachtungsdienst beteuert zugleich, dass für das Wohlergehen der Tiere gesorgt sei. Entwickelt worden sind die «Animal-Experience»-Projekte in Zusammenarbeit mit «World Animal Protection», einer globalen Tierschutz-Organisation.

Ausbrechen aus den Alltags-Zwängen
Nahe den Ufern des schönen Loch Lomond sind Beccy Routledges Lämmer, die sie 2018 adoptiert hatte, unterdessen schnell herangewachsen – zu anhänglichen und naseweisen Schafen, denen es nur leider am rechten Benehmen fehlt. «Jetzt bieten wir Tee mit frechen Schafen an», erklärt Beccy Routledge, «Dougal ist der Sensible, Intelligente, der in aller Ruhe die Führung übernimmt. Hamish ist eher keck und kontaktfreudig, er steckt seine Nase in alles.» Stets auch dabei die im April 2019 geborenen Benny und Lochie.

Schüchtern ist keines der Schafe mehr. Sie laufen munter um den Tisch herum. Einem ist es sogar gelungen, die Schnürsenkel eines Besuchers aufzuziehen. Die Gäste dürfen die Schafe streicheln, sie verhätscheln und füttern. Freilich nicht mit Sandwiches, Kuchen oder Teegebäck. Sondern mit Futterpellets, die zum Afternoon Tea in speziellen Schälchen serviert werden. Trotzdem versuchen die Schafe natürlich immer wieder, etwas vom Tisch zu stibitzen.

Frisch geborenen Lämmern darf man das Milchfläschchen reichen. Und nach dem Tee kann man die Schafe zurück in ihre Scheune begleiten und auf dem Weg mit den Hühnern und Katzen der Farm Bekanntschaft schlies­sen, bevor man noch rasch das obligatorische Selfie macht und sich verabschiedet.

 «Cuddle Power» – pure Kuschelkraft – ist jedenfalls, wie man auch in Grossbritannien weiss, nicht zu unterschätzen. Forscher an den Universitäten Manchester, Liverpool und Southampton haben in Untersuchungen bestätigt, dass Haustiere zum Beispiel Menschen mit hartnäckigen psychischen Problemen zu besserer Gesundheit verhelfen.

 In ganz Schottland sind sogenannte «therapets», zu therapeutischen Zwecken eingesetzte Tiere, inzwischen eine feste Einrichtung in Schulen, in Colleges oder auch an Flughäfen. Aberdeen Airport beispielsweise verfügt über eine ganze Staffel speziell ausgebildeter Therapie-Hunde, die bereitstehen, um nervösen und von Flugangst geplagten Passagieren zu helfen. Border Collies und Labradore gehören zu dieser Truppe.

 «Tee mit frechen Schafen» zieht Besucher aus aller Welt an, von denen viele den Alltags-Zwängen des 21. Jahrhunderts zu entkommen versuchen. Routeledge kann kaum glauben, dass ihre Schafe in so kurzer Zeit «weltberühmt» geworden sind. Ein Pärchen aus Sunny Florida hat sich offenbar jüngst dem harschen schottischen Winterklima ausgesetzt, um sie kennenzulernen. Eine italienische Besucherin ist, hört man, von der Begegnung zu Tränen gerührt gewesen.

 «Schafe sind ziemlich intuitiv», sagt Beccy Routeledge aus Erfahrung. Je ruhiger und grosszügiger jemand sei, desto mehr würden die Schafe ihn oder sie mögen. «Unsere
Besucher wiederum suchen gezielt die Nähe zu diesen schönen Geschöpfen und haben Spass an deren miserablen Tischmanieren.»

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