Fast eine Stunde hat uns die Fahrt auf den Gestelenpass gekostet. Der Stadtflitzer hat geächzt unter den zweistelligen Steigungsprozenten hoch auf die 1850 Meter über Meer. Von der Postautolinie sind wir schon vor einigen Spitzkehren abgezweigt. Nachdem wir das Auto durch das letzte Kuhgatter gezirkelt haben, führt das Schottersträsschen endlich auf die Passhöhe, wo der Viehanhänger schon wartet.

Wir befinden uns im Berner Oberland, am hinteren Ende des Diemtigtals, kurz, bevor die Strasse rasant in Richtung Zweisimmen abfällt. Hier wartet Hugo Frieden bereits auf uns. Und er ist nicht allein. Der drahtige, braun gebrannte Mann mit dem Pferdeschwanz ist gerade daran, unsere Packtiere für den heutigen Tag zu rüsten. Frieden bietet zusammen mit seiner Frau unter dem Namen «Lama & Co.» Trekkings an – mit ebenjenen Lamas, aber auch mit Ziegen, mit denen wir heute unterwegs sein werden.

In Honduras den Tourismus entdeckt
Mit festem Händedruck begrüsst uns Frieden und präsentiert uns seine Equipe. Vier massive Geissböcke. «Alle kastriert, sie stinken also nicht», beruhigt der Wanderführer gleich. Bepackt sind sie mit je zwei Satteltaschen, auf dem Rücken fixiert. Darin landen unsere Wasserflaschen und das Picknick. Am Geschirr ist eine Leine angemacht, wie sie auch einem Hund stünde. An ihr werden die Ziegen geführt.

Frieden drückt jedem von uns eine Leine in die Hand und stellt seine Böcke vor. Quarz, der auf seinen Namen hört. Ferdinand, der Chef der Herde. Solidago, der Verschmuste. Und Fuchur. «Der ist so auf mich fixiert, der läuft sowieso ständig mir hinterher.» Die Geissböcke hat Frieden vor rund zwölf Jahren in der ganzen Schweiz zusammengekauft.Möglichst unterschiedliche Tiere sollten es sein, völlig egal, ob reinrassig oder nicht «Die ‹Tierwelt› hat mir dabei sehr geholfen», sagt er und schmunzelt. 

Weitere Anbieter

BL: www.geissen-wandern.ch
GL: www.packziegen.ch
GR: www.cavradelsass.ch
GR: www.geissherz.ch
SG: www.packgeiss.ch

Und so trottet nun Stiefelgeiss-Mischling Fuchur mit Frieden quer über die Wiese voran. Wir Trekking-Neulinge gewöhnen uns derweil an unsere meckernden Begleiter – und sie sich an uns. Verständlicherweise sind die frischen Bergkräuter auf der saftigen Weide erst einmal interessanter für die Böcke als unsere Wünsche nach einem zügigen Wandertempo. Nach ein paar Knabbereien links und rechts lassen sie sich jedoch auch auf einen gemächlichen, aber geradlinigen Trott ein. Die Leinen brauchts ab jetzt kaum mehr; höchstens mal, um die Böcke mit ihren ausladenden Hörnern durch eine Engstelle zu dirigieren.

Ziegentrekking, so Frieden, sei gerade etwas im Kommen, aber Lamatreks würden bei ihm noch immer deutlich öfter gebucht. Mit Lamas hat der gelernte Zimmermann vor gut 15 Jahren auch angefangen. Auf einer langen Amerika-Reise hat er den Tourismus entdeckt, leitete River-Rafting-Touren und führte eine Dschungel-Lodge in Honduras. Und wollte danach nicht zurück in seinen alten Brotjob. Also richtete er für sich und seine Partnerin die elterliche Alphütte her, baute eigenhändig Ställe für die Lamas und später für die Ziegen. «Vom Extremtourismus zum Soft-Adventure», nennt Frieden den Übergang vom Dschungel- zum Ziegentrek.

Das Geissentrekking im Video (Video: Meret Signer):

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Die Attraktion am Seebergsee
Solidago, der verschmuste Ziegenbock, nutzt eine kleine Trinkpause zum Wellnessprogramm. Während die anderen Böcke Farne, junge Tannentriebe und würzige Kräuter knabbern, legt er sich vor seinem Begleiter ins Gras und streckt ihm das Bein hin. «Zwischen den Hufen mag er es besonders, gestreichelt zu werden», sagt Frieden. Er hat ihm beigebracht, sich auf diese Weise verwöhnen zu lassen. Der mächtige, beigefarbene Bock ist ein Mischling aus einer weissen Saanenziege und einer schwarzen Nera Verzasca. 

Die beiden reinrassigen Tiere sind Quarz – eine Capra Grigia – und Pfauengeiss-Bock Ferdinand, der ab und an zeigen muss, dass er der Chef der kleinen Herde ist. Mit seinen Steinbock-artigen Hörnern geht er immer mal wieder auf Quarz los, der sich zwar kurz wehrt, aber bald einsieht, dass er keinen Stich gegen den Boss hat. Auch wir müssen uns ab und an in Sicherheit bringen. Nicht, weil uns Ferdinand ans Leder will, sondern schlicht, weil wir zwischen die Fronten
geraten. Gefährlich ist das laut Frieden höchstens für Kinder, die ihren Kopf auf Hornhöhe haben. Passiert sei aber noch nichts Schlimmes. «Höchstens mal ein paar Tränen hat es gegeben.»

Nach einer knappen Stunde Wanderzeit eröffnet sich die Aussicht des Tages. Ein Trampelpfad schlängelt sich steil nach unten, wo der stahlblaue Seebergsee vor einem schroffen Bergpanorama eingebettet liegt. Hier unten, am kleinen See, sind wir jedoch nicht die einzigen Picknicker. Aber mit unseren Begleitern stehen wir sofort im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. «Sind das wirklich Ziegen? Die sind ja riesig», tönt es von links. «Was sind das für Rassen?» von rechts. Die Ausflügler und Wandervögel interessieren sich für die nicht ganz alltägliche Trekking-Truppe.

Für uns gibt es unterdessen ein Picknick, während sich der zuvor noch klare Himmel allmählich zuzieht. Als die ersten Tropfen fallen, werden die Ziegen unruhig, beginnen zu meckern und drängen sich unter einen grossen Baum. «Regen mögen sie gar nicht», sagt Frieden. Auch baden im See sei nichts für seine Böcke. Und auch wir passen, obwohl das Wasser im unterirdisch gespiesenen See locker warm genug für einen Schwumm wäre.

Früh aufs Mitlaufen geprägt
Zwei Monate alt waren die Böcke, als er sie gekauft hat, erzählt Frieden. Genau wie bei den Lamas wollte er bewusst nur Männchen haben, die andernfalls im Schlachthof gelandet wären. Mit ihnen hat er das Spazieren früh geübt. «Man muss es ihnen beibringen, wenn sie noch klein sind, das ist die Prägungszeit», sagt er. Das Laufen an der Leine, daran müssen sich die Ziegen erst etwas gewöhnen, das freie Mitlaufen sei hingegen kein Problem. «Wenn sie klein sind, schauen sie dich als Chef ihrer Herde an. Dann laufen sie dir von selber hinterher.»

Acht Ziegenböcke hat Frieden in seinem Stall und zehn Lamas. Seine Trekkingtouren bietet er für vier bis etwa 15 Personen an. Mit Ziegen, Lamas oder in der gemischten Herde. «Bei den Geissen hat man mehr Nähe zum Tier», erklärt der Wanderführer den Unterschied zum Lamatrekking. «Sie sind anhänglich, legen sich zu einem hin. Junge Böckchen springen vor Freude auf Steine.» Das Lama sei indes eher das stolze Tier, das schön an der Leine mitläuft.

Nach der Picknickpause legen die Ziegen anschliessend ein zügiges Tempo vor. Sie kennen den Heimweg; aber auch die kurzen Regengüsse, die immer wieder für Gemecker sorgen, lassen die Böcke spurten. Nur die edelsten Kräuter vermögen nun noch ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Und auch für Gerangel ist keine Zeit mehr. So ist die Passhöhe rasch wieder erreicht, wo Hugo Frieden seine vier Böcke wieder in den Vieh­anhänger lädt. Viel Überzeugungsarbeit braucht er dafür allerdings nicht, schliesslich regnets dort nicht rein.

lama-und-co.ch