In Mittelhäusern im Kanton Bern bei Ueli Niederhauser und seiner Frau Ester leben 300 Gänse. Im Alter von einem Tag kommen die Gössel, wie die Gänse-Küken genannt werden, jeweils Mitte Juni zu den Niederhausers. Ausgebrütet werden sie auf einem Hof in Deutschland. «Die kleinen Gösselchen sind so unglaublich niedliche Tierchen», sagt Ueli Niederhauser.

Die meiste Zeit ihres Lebens verbringen die Tiere draussen auf der Weide. Ihnen steht eine Fläche von der Grösse dreier Fussballfelder zum Fressen und Herumwatscheln zur Verfügung. Zwei grosszügige Planschwannen sind für ausgiebiges Baden vorhanden. Doch bevor die Gössel die Grünflächen in Besitz nehmen können, müssen sie wachsen. «Für die Jungtiere wäre der Freilauf viel zu gefährlich, denn sie wären willkommene Beute für jeden Raubvogel.» Deshalb leben die Tiere die ersten paar Tage im umgestalteten Rindvieh-Stall. Dann kommen sie in den Baby-Auslauf, der ebenfalls gut gesichert ist gegen die gierigen Schnäbel der Raubvögel.

Doch sobald die Gänse gross genug sind, dürfen sie täglich auf die Wiese. «Von klein auf gehen wir immer nur mit einem Glöckchen in der Hand zu den Gänsen. So gewöhnen sie sich an den Ton und sobald sie ihn hören, kommen sie herbei», sagt Ueli Niederhauser. Gänse seien gelehrige und sehr aufmerksame Tiere. Ihnen entgehe nicht die kleinste Veränderung, und alles Neue werde zuerst einmal argwöhnisch gemieden.

Sobald es gegen die Abendstunden zu geht, holt das Ehepaar Niederhauser die Tiere wieder in den Stall. "Das Liedchen 'Fuchs du hast die Gans gestohlen' gibt es nicht umsonst. Immer mal wieder sehen wir einen Fuchs herumschleichen und seinen Bau hat er direkt neben dem Zaun gebaut."

Coop als Grosskunde
Vor neun Jahren hat Niederhauser davon gehört, dass in Österreich Gänse auf Bauernhöfen gehalten werden – ganz artgerecht auf der Weide. Lange Zeit schwelgten diese Gedanken im Hinterkopf, bis dann im Frühjahr 2013 eine Gänse-Tagung in der Ostschweiz stattfand. Der Zufall wollte es, dass er mit Berufskollegen aus der Region an einem Tisch sass. Es wurde nicht lange gefackelt: Bald nach dem ersten Kennenlernen wurde der Verein Berner Weidegänse gegründet und bald darauf auch ein Schweizerischer Weidegans-Verein, welchem aktuell knapp 50 Produzenten angehören.

Bald darauf zogen die ersten 100 Gössel bei der Familie Niederhauser ein. Ein Wagnis, wusste doch zu Beginn niemand mit Sicherheit, ob es genügend Nachfrage nach Gänsebraten gibt. Doch die Bedenken waren umsonst: "Ich hätte noch mehr Gänse verkaufen können, deshalb habe ich die Anzahl in diesem Jahr verdreifacht", sagt Ueli Niederhauser. Dank den Bemühungen des Berner Vereins und der zusätzlich gegründeten Schweizer Gänse GmbH kam auch Coop auf den Geschmack und kaufte insgesamt rund 450 Tiere von den Produzenten. Die Schlachtreife erlangen die Gänse Ende November, Anfang Dezember. Danach wird es wieder still auf dem Hof in Mittelhäusern. Bis zum nächsten Juni, wenn wieder Nachwuchs einzieht.

Doch warum bleibt der Stall ein halbes Jahr Gänse-leer? «Weil Gänse nur im Frühling Eier legen und zwar insgesamt etwa 30 bis 70 Eier. Es ist also gar nicht möglich im Herbst oder Winter Gössel zu bekommen.» Während den Wintermonaten leben 20 Kühe im Stall von Ueli Niederhauser. Im Sommer ist das Rindvieh bei einem Kollegen in Zollikofen.

Delikatesse auf dem Teller
Geschlachtet werden die Gänse von Ueli Niederhauser und seinen Kollegen rund um Bern und dem Mittelland in der Metzgerei von Christian Kopp im emmentalischen Heimisbach. Diesem Metzger vertrauen die Gänseproduzenten voll und ganz. Und dies sei wichtig, immerhin sei Qualität bei einem Gourmetprodukt wie dem Gänsebraten an oberster Stelle, sagt Ueli Niederhauser.

Rund fünf Kilogramm wiegt eine geschlachtete Gans. Das Kilo kostet 35 Franken. Die Leber, welche als Delikatesse sondergleichen gilt, wiegt 60 bis 75 Gramm. Die Leber einer gestopften Gans wiegt rund das Zehnfache. Vor dem Kochen hat der Braten einen Fettanteil von bis zu 900 Gramm.

«Ich muss vor allem den weiblichen Kunden jeweils erklären, dass sich das schlimmer anhört, als es ist. Denn im Gegensatz zu Entenfleisch, bei welchem das Fett auch beim Kochen erhalten bleibt, verschwindet dieses bei der Gans durch Hitze komplett.» Dran lassen muss man das Fett aber, denn dieses ist ein wichtiger Geschmacksträger.

Daunen werden noch entsorgt
Eine Gans besteht aber nicht nur aus Fleisch, Fett und Knochen sondern auch aus Federn – den Gänsedaunen. Diese muss Ueli Niederhauser schweren Herzens entsorgen. Er und seine Kollegen wollen das ändern und in Zukunft auch diese verarbeiten lassen. Mehr verraten will er aber nicht. «Wir möchten die ganze Gänse-Produktion in die Schweiz holen. Das gilt auch für die Jungtier-Produktion.»

Potenzial in der Schweiz gibt es: In Österreich hat man bereits 1999 mit der Gänse-Produktion begonnen. Was in sehr bescheidenem Rahmen gestartet ist, ist heute ein florierendes Geschäft: 2012 wurden über 31‘000 Gänse eingestallt und machten somit aus Landwirten mit wenig Perspektive tüchtige Geschäftsleute.