Die sogenannte neolithische Revolution in der Jungsteinzeit vor rund 5000 bis 10'000 Jahren brachte eine grosse Veränderung in das Leben unserer Vorfahren. Die Jäger und Sammler – Nomaden, die den Viehherden hinterherziehen mussten, um in der Nähe ihrer Nahrungsquellen zu bleiben – wurden sesshaft. Sie begannen ihren eigenen Grund und Boden zu bewirtschaften, Getreide zu ziehen. Und anstatt den Tieren hinterherzuwandern, hielten sie diese auf ihren Gehöften. Damals wurden die allermeisten unserer heutigen Nutztiere domestiziert.

Zuerst lebten die Tiere noch hauptsächlich im Freien. Das änderte sich im 9. Jahrhundert. «Während heute über den oft übertriebenen Fleischkonsum der Kopf geschüttelt wird, wissen wenige, dass mittelalterliche Chronisten von 100 Kilogramm Fleischverzehr pro Kopf und Jahr erzählen», sagt Hansuli Huber. Der Geschäftsführer Fachbereich des Schweizer Tierschutzes (STS) hat zur Geschichte der Tierhaltung eine Schrift publiziert mit dem Titel «Tierschutz und Landwirtschaft – Tierwohl geht uns alle an». Wegen der damals rund 150 fleischlosen kirchlichen Feiertage bedeutete der Zentner Fleisch pro Kopf und Jahr damals einen enormen täglichen Fleischkonsum. Die immer grösseren Viehherden brauchten mehr Weideland; doch Wald roden war nicht einfach. 

Erst ab 1850 wurde die Viehhaltung in der Schweiz wirklich wichtig
Also wurde die Tierhaltung vermehrt in Ställe verlagert. Mit zum Teil schrecklichen Folgen: Kälber, Lämmer und Schafe hatten unter lebenslänglicher Dunkelhaltung zu leiden. Kochbücher empfahlen, Gänse für rascheres Wachstum an den Schwimmhäuten festzunageln oder Kälber und Ferkel für zarteres Fleisch mit Seilen zu Tode zu prügeln. «Zu Recht empört man sich heute über überlange und unnötige Schlachttiertransporte», sagt Huber. «Doch gegen Ende des Mittelalters mussten die Tiere in Schlachtviehtrecks von Ungarn nach Deutschland oder von Dänemark nach Holland Hunderte bis Tausende von Kilometern zu Fuss zurücklegen.» 

Besonders schlimm behandelte der Mensch das Pferd: «Bis ins 20. Jahrhundert hinein war es ein geschundenes Kriegs- und Arbeitsgerät. Lebenslang mussten die Tiere unter Tage in Kohlengruben arbeiten und erblindeten dabei», sagt Huber. In Grossstädten zogen sie Busse und Kutschen, entlang von Kanälen und Flüssen Lastschiffe. Von  der schweiss­treibenden Arbeit mit dem Pflug auf dem Feld gar nicht zu sprechen. Letzteres änderte sich erst, als Mitte des 20. Jahrhunderts Traktoren die schwere Feld- und Zugarbeit übernahmen. 

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Hansuli Huber: «Tierschutz und Landwirtschaft.
Tierwohl geht uns alle an».

Farbdruck, 63 Seiten. Kostenlos erhältlich
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In der Schweiz war um das Jahr 1800 die Viehhaltung noch relativ unbedeutend. Grös­sere Bestände gab es nur bei Rindern und Schafen. Das änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wegen zunehmender Absatzmöglichkeiten im In- und Ausland sowie der günstigen klimatischen und topografischen Voraussetzungen wurde die Viehhaltung auf Kosten des Getreideanbaus stark ausgebaut. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erlangte die Milchproduktion in der Schweiz die hohe wirtschaftliche Bedeutung, die sie bis heute hat. Auslöser waren die Erfindung der Schokolade, der Kondensmilch und der Käseherstellung mittels Lab.

In den 1960er-Jahren litten die Tiere unter der Intensivierung der Landwirtschaft
Die einsetzende Hochkonjunktur in den 1960er-Jahren brachte der Schweiz Vollbeschäftigung und Arbeitermangel verbunden mit steigenden Löhnen. Dies führte zur Nachfrage nach mehr Luxusprodukten – wie etwa Fleisch. Rationalisierung, wissenschaftliche, technische und biologische Erkenntnisse erlaubten es, Lebensmittel kostengünstiger zu produzieren und anzubieten. Davon profitieren wir noch heute: mit einer hohen Ernährungssicherheit sowie einem breiten und kostengünstigen Lebensmittelangebot.

«Grundsätzlich ist Menschen in der Schweiz das Wohlergehen der Nutztiere wichtig», sagt Huber. Bei einer Umfrage von Coop Isopublic 2009 war der Nutztierschutz für 87 Prozent der Befragten wichtig bis sehr wichtig. 73 Prozent gaben an, beim Einkaufen auf Labelfleisch zu achten. Eine Umfrage der ETH im gleichen Jahr kam zum selben Ergebnis: Das Tierwohl ist stets das wichtigste Anliegen der Befragten.

Dennoch existieren bis heute keine verbindlichen Tierschutzrichtlinien für die Haltung von Kühen, Rindern, Schafen, Ziegen, Pferden und Truten. Ab etwa 1960 kam es für die Nutztiere immer schlimmer. Sie sollten so produktiv sein und so wenig Kosten verursachen wie möglich. Die Freilandhaltung wurde gestrichen. Die Nutztiere in den Ställen auf immer weniger Platz eingepfercht. Eine Sau hatte angebunden in einem Kasten gerade noch Platz, um sich hinzulegen, umdrehen unmöglich. Auf eine Fläche von 30 Quadratmeter quetschte man bis zu fünfzehn 500 Kilogramm schwere Munis. Die Ställe hatten keine Einstreu, die Tiere siechten auf vollperforierten Betonböden voller Kot und Harn der Schlachtung entgegen. 

Die Bedürfnisse der Tiere wurden auf Nahrung und Wasser reduziert. Tageslicht und Sozialleben gestrichen. Mutter-Kind-Bindung nicht erlaubt. Ab 1960 begannen sich die in den USA entwickelten Käfigbatterien für Hühner auch bei uns durchzusetzen. «Daneben wurde auf Extremzuchten gesetzt. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten steigerte sich die Milch-Leistung einer Kuh auf das Doppelte», erzählt Huber. «Schweinen wurde bis zu 57 Prozent mehr verwertbares Fleisch angezüchtet.»

Laut dem Schweizer Tierschutz steht noch lange nicht alles zum Besten für die Tiere
1981 trat auf Drängen von Tierschützern, verantwortungsvollen Bauern und Konsumenten das eidgenössische Tierschutzgesetz in Kraft. Nach einer umfassenden Überarbeitung 2008 stellt es das strengste Tierschutzgesetz der Welt dar. 1991 sind sämtliche Käfigbatterien für Legehennen in der Schweiz entfernt worden. An ihre Stelle trat eine von der ETH Zürich entwickelte Volierenhaltung mit Einstreu zum Picken, Scharren und Staubbaden.

1996 werden Tierschutzvorschriften für Pferde, Ziegen, Schafe in die Tierschutzverordnung aufgenommen. Extremzuchten sowie das betäubungslose Kastrieren von Ferkeln werden verboten. Ein Jahr später schreibt eine Überarbeitung des Tierschutzgesetzes Gruppenhaltung für Kälber vor und ein Verbot für Vollspalten-Betonböden sowie für das Anbinden und die Kastenhaltung von Sauen wird erlassen.

1999 folgt der grosse Durchbruch, wie es Huber nennt: Das Tier ist von Gesetzes wegen keine Sache mehr. Dank Direktzahlungen an Bauern, welche ihre Nutztiere tiergerechter halten, und höheren Krediten für Bauern, welche ihren Hof zu einem tiergerechten Hof umbauen, ziehen die Bauern beim Umsetzen der Forderungen nach tiergerechter Haltung mit. Auch die grossen Detailhändler wie Coop oder Migros mit ihren Bio-Labels sorgen dafür, dass sich tiergerechte Haltung durchsetzt. Als eine der wenigen Restaurantketten setzt auch McDonald’s auf Produkte aus artgerechter Haltung.

Der Ist-Zustand ist den Tierschützern aber immer noch zu niedrig. Huber sagt: «Das Schweizer Tierschutzgesetz ist immer noch lediglich so formuliert, dass Tierquälerei verhindert wird. Für Tierwohl braucht es aber noch einiges mehr.»